ihrem Vollzuge findet nicht statt. Jedes Vollzugsorgan steht daher bei jeder Funktion unter der Möglichkeit eines Processes, und die spezielle Beziehung auf Anwendung der Waffengewalt war daher hier gar nicht nöthig. Die große Unsicherheit der Vollziehung, die durch diese Verschmelzung von Beschwerde und Klage entstehen mußte, erzeugte nun ein Gegengewicht in dem Grundsatz, daß man zwar nicht das Klagrecht aufhob, wohl aber demselben ein System von gesetzlichen Einreden für die Vollziehungsorgane zur Seite stellte, welches die letzteren vor unbegründeten und leichtsinnigen Klagen schützen solle. Das Princip dafür lag schon lange im englischen Recht; das System selbst ward durch das St. 11. 12. Vict. 44. (An act to protect Justices of the Peace from vexatious actions done by them in execution of their office 1848) ausgeführt; Grundlage ist, daß der Kläger vollständig beweisen muß, daß die Vollziehung maliciously und ohne reasonable and probable cause entweder überhaupt statt- gefunden, oder ihre Gränzen überschritten habe. Der Mangel einer Unterscheidung des Beschwerderechts vom Klagerecht würde selbst nach diesem Akte die Vollziehung in England ernstlich beeinträchtigen, wenn nicht die Processe so theuer wären. S. Gneist, Engl. Verwaltungs- recht II. a. a. O. Vergl. auch Kries, Engl. Armenpflege S. 56--57, der sich freilich nur auf das Verordnungs- und nicht auf das Vollzugs- recht bezieht; es ist aber nicht zu übersehen, daß für beide dieselben Rechtsgrundsätze gelten.
Während somit in England das Haftungsrecht auf dem Klag- recht allein beruht, und zugleich ein für alle Vollziehung geltendes Recht bildet, ohne Unterschied der gegen Sachen oder Personen ange- wendeten Gewalt, sehen wir in Frankreich eine wesentlich andere Gestalt dieses Rechts auftreten. Hier ist nämlich die Haftung zwar grundsätz- lich auf das Klagerecht gegen jeden Beamteten basirt, der in der Voll- ziehung die Form und das Maß überschreitet, praktisch aber gilt dennoch fast nur das Beschwerderecht, so daß jenes die Ausnahme, dieses die Regel bildet. Die Aufstellung des Rechts der strafrechtlichen Haftung ist durch den Art. 186 des Code Penal ganz allgemein und ohne alle Beschränkung sowohl für die Handlungen der Vollzugsorgane gegen Sachen als gegen Personen ausgesprochen; die spezielle Beziehung auf unberechtigte Vergewaltigung der Personen enthält Art. 309, zu welchem die Art. 485 und 486 des Code d'Instr. Crim. hinzugenommen werden müssen. Allein dieser einfache Grundsatz ist nun fast illusorisch gemacht durch eine Reihe von Bestimmungen, welche sich an den noch geltenden Art. 75 der Constitution vom 22 Frim. an VIII anschließen: "Les agents du Gouvernement autres que les Ministres ne peuvent
ihrem Vollzuge findet nicht ſtatt. Jedes Vollzugsorgan ſteht daher bei jeder Funktion unter der Möglichkeit eines Proceſſes, und die ſpezielle Beziehung auf Anwendung der Waffengewalt war daher hier gar nicht nöthig. Die große Unſicherheit der Vollziehung, die durch dieſe Verſchmelzung von Beſchwerde und Klage entſtehen mußte, erzeugte nun ein Gegengewicht in dem Grundſatz, daß man zwar nicht das Klagrecht aufhob, wohl aber demſelben ein Syſtem von geſetzlichen Einreden für die Vollziehungsorgane zur Seite ſtellte, welches die letzteren vor unbegründeten und leichtſinnigen Klagen ſchützen ſolle. Das Princip dafür lag ſchon lange im engliſchen Recht; das Syſtem ſelbſt ward durch das St. 11. 12. Vict. 44. (An act to protect Justices of the Peace from vexatious actions done by them in execution of their office 1848) ausgeführt; Grundlage iſt, daß der Kläger vollſtändig beweiſen muß, daß die Vollziehung maliciously und ohne reasonable and probable cause entweder überhaupt ſtatt- gefunden, oder ihre Gränzen überſchritten habe. Der Mangel einer Unterſcheidung des Beſchwerderechts vom Klagerecht würde ſelbſt nach dieſem Akte die Vollziehung in England ernſtlich beeinträchtigen, wenn nicht die Proceſſe ſo theuer wären. S. Gneiſt, Engl. Verwaltungs- recht II. a. a. O. Vergl. auch Kries, Engl. Armenpflege S. 56—57, der ſich freilich nur auf das Verordnungs- und nicht auf das Vollzugs- recht bezieht; es iſt aber nicht zu überſehen, daß für beide dieſelben Rechtsgrundſätze gelten.
Während ſomit in England das Haftungsrecht auf dem Klag- recht allein beruht, und zugleich ein für alle Vollziehung geltendes Recht bildet, ohne Unterſchied der gegen Sachen oder Perſonen ange- wendeten Gewalt, ſehen wir in Frankreich eine weſentlich andere Geſtalt dieſes Rechts auftreten. Hier iſt nämlich die Haftung zwar grundſätz- lich auf das Klagerecht gegen jeden Beamteten baſirt, der in der Voll- ziehung die Form und das Maß überſchreitet, praktiſch aber gilt dennoch faſt nur das Beſchwerderecht, ſo daß jenes die Ausnahme, dieſes die Regel bildet. Die Aufſtellung des Rechts der ſtrafrechtlichen Haftung iſt durch den Art. 186 des Code Pénal ganz allgemein und ohne alle Beſchränkung ſowohl für die Handlungen der Vollzugsorgane gegen Sachen als gegen Perſonen ausgeſprochen; die ſpezielle Beziehung auf unberechtigte Vergewaltigung der Perſonen enthält Art. 309, zu welchem die Art. 485 und 486 des Code d’Instr. Crim. hinzugenommen werden müſſen. Allein dieſer einfache Grundſatz iſt nun faſt illuſoriſch gemacht durch eine Reihe von Beſtimmungen, welche ſich an den noch geltenden Art. 75 der Conſtitution vom 22 Frim. an VIII anſchließen: „Les agents du Gouvernement autres que les Ministres ne peuvent
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[84/0106]
ihrem Vollzuge findet nicht ſtatt. Jedes Vollzugsorgan ſteht daher
bei jeder Funktion unter der Möglichkeit eines Proceſſes, und die
ſpezielle Beziehung auf Anwendung der Waffengewalt war daher hier
gar nicht nöthig. Die große Unſicherheit der Vollziehung, die durch
dieſe Verſchmelzung von Beſchwerde und Klage entſtehen mußte, erzeugte
nun ein Gegengewicht in dem Grundſatz, daß man zwar nicht das
Klagrecht aufhob, wohl aber demſelben ein Syſtem von geſetzlichen
Einreden für die Vollziehungsorgane zur Seite ſtellte, welches
die letzteren vor unbegründeten und leichtſinnigen Klagen ſchützen
ſolle. Das Princip dafür lag ſchon lange im engliſchen Recht; das
Syſtem ſelbſt ward durch das St. 11. 12. Vict. 44. (An act to protect
Justices of the Peace from vexatious actions done by them in
execution of their office 1848) ausgeführt; Grundlage iſt, daß
der Kläger vollſtändig beweiſen muß, daß die Vollziehung maliciously
und ohne reasonable and probable cause entweder überhaupt ſtatt-
gefunden, oder ihre Gränzen überſchritten habe. Der Mangel einer
Unterſcheidung des Beſchwerderechts vom Klagerecht würde ſelbſt nach
dieſem Akte die Vollziehung in England ernſtlich beeinträchtigen, wenn
nicht die Proceſſe ſo theuer wären. S. Gneiſt, Engl. Verwaltungs-
recht II. a. a. O. Vergl. auch Kries, Engl. Armenpflege S. 56—57,
der ſich freilich nur auf das Verordnungs- und nicht auf das Vollzugs-
recht bezieht; es iſt aber nicht zu überſehen, daß für beide dieſelben
Rechtsgrundſätze gelten.
Während ſomit in England das Haftungsrecht auf dem Klag-
recht allein beruht, und zugleich ein für alle Vollziehung geltendes
Recht bildet, ohne Unterſchied der gegen Sachen oder Perſonen ange-
wendeten Gewalt, ſehen wir in Frankreich eine weſentlich andere Geſtalt
dieſes Rechts auftreten. Hier iſt nämlich die Haftung zwar grundſätz-
lich auf das Klagerecht gegen jeden Beamteten baſirt, der in der Voll-
ziehung die Form und das Maß überſchreitet, praktiſch aber gilt
dennoch faſt nur das Beſchwerderecht, ſo daß jenes die Ausnahme,
dieſes die Regel bildet. Die Aufſtellung des Rechts der ſtrafrechtlichen
Haftung iſt durch den Art. 186 des Code Pénal ganz allgemein und
ohne alle Beſchränkung ſowohl für die Handlungen der Vollzugsorgane
gegen Sachen als gegen Perſonen ausgeſprochen; die ſpezielle Beziehung
auf unberechtigte Vergewaltigung der Perſonen enthält Art. 309, zu
welchem die Art. 485 und 486 des Code d’Instr. Crim. hinzugenommen
werden müſſen. Allein dieſer einfache Grundſatz iſt nun faſt illuſoriſch
gemacht durch eine Reihe von Beſtimmungen, welche ſich an den noch
geltenden Art. 75 der Conſtitution vom 22 Frim. an VIII anſchließen:
„Les agents du Gouvernement autres que les Ministres ne peuvent
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/106>, abgerufen am 27.07.2024.
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