Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

dadurch als eine Welt für sich, welche Verfassung und Vollziehung zur
Voraussetzung haben, und ihnen durch ihre eigene inwohnende Kraft
ein eigenes Leben geben. Und in dieser Kraft, in diesem eigenen Leben
gilt es nun, sie zu erfassen und ihren organischen Inhalt darzulegen.
Das, was wir die Verwaltung nennen, löst sich dadurch in seinen
eigenthümlichen Inhalt auf; jedes Stück desselben wird für sich betrachtet
leicht verständlich; die wahre geistige Arbeit besteht dann nur in dem,
wir sagen unbedenklich künstlerischen Elemente der Wissenschaft,
jene Theile in Einem geistigen Leben zusammenzufassen und zu verstehen.
Und wir wollen versuchen, an dieser Aufgabe mitzuarbeiten. Denn es
ist unmöglich, sich in dem Gefühle und der wissenschaftlich auf der Ge-
sellschaftslehre ruhenden Ueberzeugung zu täuschen, daß die Zukunft
aller menschlichen Dinge, und speciell diejenige der europäischen Staaten
nicht mehr in der Bildung der Verfassungen, sondern in
der Verwaltung des innern Lebens des Volkes beruhen
wird
. --

In diesem Sinne können wir nun Wesen und Bedeutung der
innern Verwaltung und der Verwaltungslehre als organischen Theil
der Staatswissenschaft bestimmt charakterisiren.

Die Verfassung enthält den Staat als organische Persönlichkeit in
seiner freien Selbstbestimmung, die Verwaltung im allgemeinsten Sinn
enthält ihn in seiner Thätigkeit. Die Vollziehung zeigt ihn in seiner
selbständigen organischen Kraft, welche die Selbstbestimmung verwirk-
lichen soll; die Verwaltung im eigentlichen Sinne enthält ihn in seiner
concreten Thätigkeit. In der Staatswirthschaft ist er die Persönlichkeit
des allgemeinen Güterlebens; in der Rechtspflege ist er das Recht als
Inhalt seiner persönlichen That; in der innern Verwaltung wird er
zur persönlichen Form der allgemeinen Bedingungen der
individuellen Entwicklung
. Hier ist er der Träger der praktischen
sittlichen Idee der Gemeinschaft; in ihr erscheint das Ethos des Staats-
lebens in der Gesammtheit der wirklichen Handlungen des Staats; und
darum ist erst die innere Verwaltung die Vollendung der Idee des
Staats. Und von diesem Standpunkte aus ordnen sich die Aufgaben
des allgemeinen Theiles der innern Verwaltungslehre zu einem har-
monischen Ganzen, das wir das System derselben nennen.

2) Das System der Verwaltung und die Verwaltungslehre.

1) Soll die Verwaltungslehre den ihr gebührenden Platz und ihre
volle Bedeutung in der Staatswissenschaft gewinnen, so ist es unab-
weisbar, daß man sich nicht bloß über den allgemeinen Begriff und

dadurch als eine Welt für ſich, welche Verfaſſung und Vollziehung zur
Vorausſetzung haben, und ihnen durch ihre eigene inwohnende Kraft
ein eigenes Leben geben. Und in dieſer Kraft, in dieſem eigenen Leben
gilt es nun, ſie zu erfaſſen und ihren organiſchen Inhalt darzulegen.
Das, was wir die Verwaltung nennen, löst ſich dadurch in ſeinen
eigenthümlichen Inhalt auf; jedes Stück deſſelben wird für ſich betrachtet
leicht verſtändlich; die wahre geiſtige Arbeit beſteht dann nur in dem,
wir ſagen unbedenklich künſtleriſchen Elemente der Wiſſenſchaft,
jene Theile in Einem geiſtigen Leben zuſammenzufaſſen und zu verſtehen.
Und wir wollen verſuchen, an dieſer Aufgabe mitzuarbeiten. Denn es
iſt unmöglich, ſich in dem Gefühle und der wiſſenſchaftlich auf der Ge-
ſellſchaftslehre ruhenden Ueberzeugung zu täuſchen, daß die Zukunft
aller menſchlichen Dinge, und ſpeciell diejenige der europäiſchen Staaten
nicht mehr in der Bildung der Verfaſſungen, ſondern in
der Verwaltung des innern Lebens des Volkes beruhen
wird
. —

In dieſem Sinne können wir nun Weſen und Bedeutung der
innern Verwaltung und der Verwaltungslehre als organiſchen Theil
der Staatswiſſenſchaft beſtimmt charakteriſiren.

Die Verfaſſung enthält den Staat als organiſche Perſönlichkeit in
ſeiner freien Selbſtbeſtimmung, die Verwaltung im allgemeinſten Sinn
enthält ihn in ſeiner Thätigkeit. Die Vollziehung zeigt ihn in ſeiner
ſelbſtändigen organiſchen Kraft, welche die Selbſtbeſtimmung verwirk-
lichen ſoll; die Verwaltung im eigentlichen Sinne enthält ihn in ſeiner
concreten Thätigkeit. In der Staatswirthſchaft iſt er die Perſönlichkeit
des allgemeinen Güterlebens; in der Rechtspflege iſt er das Recht als
Inhalt ſeiner perſönlichen That; in der innern Verwaltung wird er
zur perſönlichen Form der allgemeinen Bedingungen der
individuellen Entwicklung
. Hier iſt er der Träger der praktiſchen
ſittlichen Idee der Gemeinſchaft; in ihr erſcheint das Ethos des Staats-
lebens in der Geſammtheit der wirklichen Handlungen des Staats; und
darum iſt erſt die innere Verwaltung die Vollendung der Idee des
Staats. Und von dieſem Standpunkte aus ordnen ſich die Aufgaben
des allgemeinen Theiles der innern Verwaltungslehre zu einem har-
moniſchen Ganzen, das wir das Syſtem derſelben nennen.

2) Das Syſtem der Verwaltung und die Verwaltungslehre.

1) Soll die Verwaltungslehre den ihr gebührenden Platz und ihre
volle Bedeutung in der Staatswiſſenſchaft gewinnen, ſo iſt es unab-
weisbar, daß man ſich nicht bloß über den allgemeinen Begriff und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0072" n="50"/>
dadurch als eine Welt für &#x017F;ich, welche Verfa&#x017F;&#x017F;ung und Vollziehung zur<lb/>
Voraus&#x017F;etzung haben, und ihnen durch ihre eigene inwohnende Kraft<lb/>
ein eigenes Leben geben. Und in die&#x017F;er Kraft, in die&#x017F;em eigenen Leben<lb/>
gilt es nun, &#x017F;ie zu erfa&#x017F;&#x017F;en und ihren organi&#x017F;chen Inhalt darzulegen.<lb/>
Das, was wir die Verwaltung nennen, löst &#x017F;ich dadurch in &#x017F;einen<lb/>
eigenthümlichen Inhalt auf; jedes Stück de&#x017F;&#x017F;elben wird für &#x017F;ich betrachtet<lb/>
leicht ver&#x017F;tändlich; die wahre gei&#x017F;tige Arbeit be&#x017F;teht dann nur in dem,<lb/>
wir &#x017F;agen unbedenklich <hi rendition="#g">kün&#x017F;tleri&#x017F;chen</hi> Elemente der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft,<lb/>
jene Theile in Einem gei&#x017F;tigen Leben zu&#x017F;ammenzufa&#x017F;&#x017F;en und zu ver&#x017F;tehen.<lb/>
Und wir wollen ver&#x017F;uchen, an die&#x017F;er Aufgabe mitzuarbeiten. Denn es<lb/>
i&#x017F;t unmöglich, &#x017F;ich in dem Gefühle und der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich auf der Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaftslehre ruhenden Ueberzeugung zu täu&#x017F;chen, daß die Zukunft<lb/>
aller men&#x017F;chlichen Dinge, und &#x017F;peciell diejenige der europäi&#x017F;chen Staaten<lb/><hi rendition="#g">nicht mehr in der Bildung der Verfa&#x017F;&#x017F;ungen, &#x017F;ondern in<lb/>
der Verwaltung des innern Lebens des Volkes beruhen<lb/>
wird</hi>. &#x2014;</p><lb/>
                <p>In die&#x017F;em Sinne können wir nun We&#x017F;en und Bedeutung der<lb/>
innern Verwaltung und der Verwaltungslehre als organi&#x017F;chen Theil<lb/>
der Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft be&#x017F;timmt charakteri&#x017F;iren.</p><lb/>
                <p>Die Verfa&#x017F;&#x017F;ung enthält den Staat als organi&#x017F;che Per&#x017F;önlichkeit in<lb/>
&#x017F;einer freien Selb&#x017F;tbe&#x017F;timmung, die Verwaltung im allgemein&#x017F;ten Sinn<lb/>
enthält ihn in &#x017F;einer Thätigkeit. Die Vollziehung zeigt ihn in &#x017F;einer<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändigen organi&#x017F;chen Kraft, welche die Selb&#x017F;tbe&#x017F;timmung verwirk-<lb/>
lichen &#x017F;oll; die Verwaltung im eigentlichen Sinne enthält ihn in &#x017F;einer<lb/>
concreten Thätigkeit. In der Staatswirth&#x017F;chaft i&#x017F;t er die Per&#x017F;önlichkeit<lb/>
des allgemeinen Güterlebens; in der Rechtspflege i&#x017F;t er das Recht als<lb/>
Inhalt &#x017F;einer per&#x017F;önlichen That; in der innern Verwaltung <hi rendition="#g">wird er<lb/>
zur per&#x017F;önlichen Form der allgemeinen Bedingungen der<lb/>
individuellen Entwicklung</hi>. Hier i&#x017F;t er der Träger der prakti&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;ittlichen Idee der Gemein&#x017F;chaft; in ihr er&#x017F;cheint das Ethos des Staats-<lb/>
lebens in der Ge&#x017F;ammtheit der wirklichen Handlungen des Staats; und<lb/>
darum i&#x017F;t er&#x017F;t die innere Verwaltung die Vollendung der Idee des<lb/>
Staats. Und von die&#x017F;em Standpunkte aus ordnen &#x017F;ich die Aufgaben<lb/>
des allgemeinen Theiles der innern Verwaltungslehre zu einem har-<lb/>
moni&#x017F;chen Ganzen, das wir das Sy&#x017F;tem der&#x017F;elben nennen.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>2) <hi rendition="#g">Das Sy&#x017F;tem der Verwaltung und die Verwaltungslehre</hi>.</head><lb/>
                <p>1) Soll die Verwaltungslehre den ihr gebührenden Platz und ihre<lb/>
volle Bedeutung in der Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gewinnen, &#x017F;o i&#x017F;t es unab-<lb/>
weisbar, daß man &#x017F;ich nicht bloß über den allgemeinen Begriff und<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0072] dadurch als eine Welt für ſich, welche Verfaſſung und Vollziehung zur Vorausſetzung haben, und ihnen durch ihre eigene inwohnende Kraft ein eigenes Leben geben. Und in dieſer Kraft, in dieſem eigenen Leben gilt es nun, ſie zu erfaſſen und ihren organiſchen Inhalt darzulegen. Das, was wir die Verwaltung nennen, löst ſich dadurch in ſeinen eigenthümlichen Inhalt auf; jedes Stück deſſelben wird für ſich betrachtet leicht verſtändlich; die wahre geiſtige Arbeit beſteht dann nur in dem, wir ſagen unbedenklich künſtleriſchen Elemente der Wiſſenſchaft, jene Theile in Einem geiſtigen Leben zuſammenzufaſſen und zu verſtehen. Und wir wollen verſuchen, an dieſer Aufgabe mitzuarbeiten. Denn es iſt unmöglich, ſich in dem Gefühle und der wiſſenſchaftlich auf der Ge- ſellſchaftslehre ruhenden Ueberzeugung zu täuſchen, daß die Zukunft aller menſchlichen Dinge, und ſpeciell diejenige der europäiſchen Staaten nicht mehr in der Bildung der Verfaſſungen, ſondern in der Verwaltung des innern Lebens des Volkes beruhen wird. — In dieſem Sinne können wir nun Weſen und Bedeutung der innern Verwaltung und der Verwaltungslehre als organiſchen Theil der Staatswiſſenſchaft beſtimmt charakteriſiren. Die Verfaſſung enthält den Staat als organiſche Perſönlichkeit in ſeiner freien Selbſtbeſtimmung, die Verwaltung im allgemeinſten Sinn enthält ihn in ſeiner Thätigkeit. Die Vollziehung zeigt ihn in ſeiner ſelbſtändigen organiſchen Kraft, welche die Selbſtbeſtimmung verwirk- lichen ſoll; die Verwaltung im eigentlichen Sinne enthält ihn in ſeiner concreten Thätigkeit. In der Staatswirthſchaft iſt er die Perſönlichkeit des allgemeinen Güterlebens; in der Rechtspflege iſt er das Recht als Inhalt ſeiner perſönlichen That; in der innern Verwaltung wird er zur perſönlichen Form der allgemeinen Bedingungen der individuellen Entwicklung. Hier iſt er der Träger der praktiſchen ſittlichen Idee der Gemeinſchaft; in ihr erſcheint das Ethos des Staats- lebens in der Geſammtheit der wirklichen Handlungen des Staats; und darum iſt erſt die innere Verwaltung die Vollendung der Idee des Staats. Und von dieſem Standpunkte aus ordnen ſich die Aufgaben des allgemeinen Theiles der innern Verwaltungslehre zu einem har- moniſchen Ganzen, das wir das Syſtem derſelben nennen. 2) Das Syſtem der Verwaltung und die Verwaltungslehre. 1) Soll die Verwaltungslehre den ihr gebührenden Platz und ihre volle Bedeutung in der Staatswiſſenſchaft gewinnen, ſo iſt es unab- weisbar, daß man ſich nicht bloß über den allgemeinen Begriff und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/72
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/72>, abgerufen am 21.11.2024.