Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.der Vollendung der innern Zustände redet, so soll man nie ver- Hat nun die Verwaltung überhaupt, vor allem aber die Verwal- Stein, die Verwaltungslehre. II. 4
der Vollendung der innern Zuſtände redet, ſo ſoll man nie ver- Hat nun die Verwaltung überhaupt, vor allem aber die Verwal- Stein, die Verwaltungslehre. II. 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0071" n="49"/> der Vollendung der innern Zuſtände redet, ſo ſoll man nie ver-<lb/> geſſen, daß die Freiheit in der Verwaltung nicht nur einen andern<lb/> Sinn, ſondern auch einen andern Werth hat als den in der Verfaſſung.<lb/> Der Freiheit in der Verwaltung iſt <hi rendition="#g">die Unterwerfung jedes<lb/> Sonderintereſſes unter das Geſammtintereſſe</hi>, und die Er-<lb/> kenntniß, daß die wahre Entwicklung jedes Einzelnen erſt durch das<lb/> Ganze möglich iſt, und daß die Entwicklung des Ganzen wieder ihre<lb/> wahre Grundlage erſt im Einzelnen hat. <hi rendition="#g">Jede freie Verfaſſung,<lb/> die nicht in unſerm Sinne zur freien Verwaltung führt</hi>,<lb/> iſt ſchon an und für ſich keine geſunde Verfaſſung mehr. Jede Ver-<lb/> faſſung, welche dieſe freie Verwaltung vorbereitet oder verwirklicht, iſt<lb/> die beſte. <hi rendition="#g">Der Werth aller Verfaſſungen beruht daher in<lb/> ihrem Verhältniß zur Verwaltung</hi>. Und die Staatswiſſen-<lb/> ſchaften werden erſt dann ihre wahre Aufgabe vollziehen, wenn ſie dieß<lb/> erkennen. Denn durch das gewaltige, geſellſchaftbildende Element, das<lb/> wieder ſeinerſeits eben in der guten Verwaltung liegt, wird die Ver-<lb/> waltung von ſelbſt die beſte Verfaſſung <hi rendition="#g">erzeugen</hi>. Das ſind und<lb/> bleiben die Ausgangspunkte der Staatswiſſenſchaft unſerer Zeit und<lb/> unſerer Zukunft.</p><lb/> <p>Hat nun die Verwaltung überhaupt, vor allem aber die Verwal-<lb/> tung des Innern, eine ſo hohe Bedeutung, ſo iſt damit natürlich nicht<lb/> bloß die rein hiſtoriſche Auffaſſung von Polizei oder ähnlicher Be-<lb/> griffe als Uebergangsſtadium zu betrachten. Wir müſſen vielmehr<lb/> jene Geſammtheit von Thätigkeiten und Aufgaben, welche wir als<lb/> Verwaltung bezeichnet haben, als ein großes und lebendiges Ganze<lb/> erkennen. Wir müſſen nicht bloß die Verwaltung von der Vollziehung<lb/> ſcheiden, welche wir als die Selbſtbeſtimmung der Verwaltung zwiſchen<lb/> Verfaſſung und Verwaltung ſelbſtändig hingeſtellt haben. Wir müſſen<lb/> ſie als ein eigenthümliches Ganze betrachten, das ſeinen Inhalt eben<lb/> durch die ſelbſtändige Aufgabe des Geſammtintereſſes und der indivi-<lb/> duellen Entwicklung bekommt, zweier ſtets thätiger und ſtets mächtiger<lb/> Faktoren, die ihr Wirken nicht etwa von dem guten Willen und dem<lb/> Verſtande einzelner Organe abhängig machen. Wir müſſen uns daher<lb/> nicht die Sache ſo vorſtellen, als ob Verfaſſung und Vollziehung erſt<lb/> dieſe Objekte freiwillig und nach Gutdünken erfaßten, und nach ihrem<lb/> gleichſam ſubjektiven Ermeſſen regelten. Im Gegentheil iſt die Sache<lb/> in Wahrheit umgekehrt. Jene Potenzen, die hohe ethiſche Forderung<lb/> der Geſammtentwicklung und der Forderung der Einzelnen greifen ſelb-<lb/> ſtändig und mächtig in Verfaſſung und Vollziehung hinein, und machen<lb/> ſie zum <hi rendition="#g">Mittel für ſich</hi>. Sie kryſtalliſiren gleichſam die Verfaſſungs-<lb/> und Vollziehungsgewalt um ſich herum und in ſich, und erſcheinen<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">II.</hi> 4</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0071]
der Vollendung der innern Zuſtände redet, ſo ſoll man nie ver-
geſſen, daß die Freiheit in der Verwaltung nicht nur einen andern
Sinn, ſondern auch einen andern Werth hat als den in der Verfaſſung.
Der Freiheit in der Verwaltung iſt die Unterwerfung jedes
Sonderintereſſes unter das Geſammtintereſſe, und die Er-
kenntniß, daß die wahre Entwicklung jedes Einzelnen erſt durch das
Ganze möglich iſt, und daß die Entwicklung des Ganzen wieder ihre
wahre Grundlage erſt im Einzelnen hat. Jede freie Verfaſſung,
die nicht in unſerm Sinne zur freien Verwaltung führt,
iſt ſchon an und für ſich keine geſunde Verfaſſung mehr. Jede Ver-
faſſung, welche dieſe freie Verwaltung vorbereitet oder verwirklicht, iſt
die beſte. Der Werth aller Verfaſſungen beruht daher in
ihrem Verhältniß zur Verwaltung. Und die Staatswiſſen-
ſchaften werden erſt dann ihre wahre Aufgabe vollziehen, wenn ſie dieß
erkennen. Denn durch das gewaltige, geſellſchaftbildende Element, das
wieder ſeinerſeits eben in der guten Verwaltung liegt, wird die Ver-
waltung von ſelbſt die beſte Verfaſſung erzeugen. Das ſind und
bleiben die Ausgangspunkte der Staatswiſſenſchaft unſerer Zeit und
unſerer Zukunft.
Hat nun die Verwaltung überhaupt, vor allem aber die Verwal-
tung des Innern, eine ſo hohe Bedeutung, ſo iſt damit natürlich nicht
bloß die rein hiſtoriſche Auffaſſung von Polizei oder ähnlicher Be-
griffe als Uebergangsſtadium zu betrachten. Wir müſſen vielmehr
jene Geſammtheit von Thätigkeiten und Aufgaben, welche wir als
Verwaltung bezeichnet haben, als ein großes und lebendiges Ganze
erkennen. Wir müſſen nicht bloß die Verwaltung von der Vollziehung
ſcheiden, welche wir als die Selbſtbeſtimmung der Verwaltung zwiſchen
Verfaſſung und Verwaltung ſelbſtändig hingeſtellt haben. Wir müſſen
ſie als ein eigenthümliches Ganze betrachten, das ſeinen Inhalt eben
durch die ſelbſtändige Aufgabe des Geſammtintereſſes und der indivi-
duellen Entwicklung bekommt, zweier ſtets thätiger und ſtets mächtiger
Faktoren, die ihr Wirken nicht etwa von dem guten Willen und dem
Verſtande einzelner Organe abhängig machen. Wir müſſen uns daher
nicht die Sache ſo vorſtellen, als ob Verfaſſung und Vollziehung erſt
dieſe Objekte freiwillig und nach Gutdünken erfaßten, und nach ihrem
gleichſam ſubjektiven Ermeſſen regelten. Im Gegentheil iſt die Sache
in Wahrheit umgekehrt. Jene Potenzen, die hohe ethiſche Forderung
der Geſammtentwicklung und der Forderung der Einzelnen greifen ſelb-
ſtändig und mächtig in Verfaſſung und Vollziehung hinein, und machen
ſie zum Mittel für ſich. Sie kryſtalliſiren gleichſam die Verfaſſungs-
und Vollziehungsgewalt um ſich herum und in ſich, und erſcheinen
Stein, die Verwaltungslehre. II. 4
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