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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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will statt der Thatsache des Bestehenden in den meisten Fällen Gründe
für das Neue, das sie herzustellen wünscht. Die Specialarbeiten aus
dem Rechte der Verwaltung fangen daher jetzt an, jeden ihnen eignenden
Gegenstand theils rationell mit allen möglichen sachlichen Erwägungen,
theils auch historisch zu behandeln, theils endlich sogar die Vergleichung
fremder Verwaltungsbestimmungen hinzuzufügen. Dadurch wird viel
gewonnen. Aus rein objektiven, gegen administrativen Werth und Un-
werth des einmal geltenden Stoffes ganz gleichgültigen Sammlungen
entstehen jetzt förmliche Untersuchungen, Abhandlungen, eingehende
und zum Theil höchst ausgezeichnete Werke, die für ihre Gebiete von
unendlichem Nutzen sind. Es ist ganz natürlich, daß dabei sehr viel
Gerede und sehr viel Parteilichkeit und Einseitigkeit unterläuft; allein
mehr und mehr wird es der Literatur klar, daß man das Wesen des
Gegenstandes, seine concrete Natur und sein Leben durchdringen
und erfassen müsse, um aus demselben das richtige Ver-
waltungsrecht bilden zu können
. Man kann diese Bewegung
der rationellen Behandlung der Verwaltungsfragen, die namentlich seit
etwa dreißig Jahren sich Bahn gebrochen, nicht hoch genug anschlagen.
Sie ist es, welche die Verwaltung aus ihrer abstrakten, gegen die
großen Gesetze und Thatsachen der wirklichen Welt gleichgültigen Stel-
lung herausgerissen, und sie gezwungen hat, die Dinge zu kennen, ehe
sie sie verwalten will. Sie hat die Wissenschaften, die früher ganz
außerhalb der Verwaltung lagen, Chemie, Physik, Naturlehre u. a.
in ihren Bereich gezogen, und sie der Verwaltung zum Grunde gelegt.
Sie hat dadurch bewirkt, was bis zu einem gewissen Grade als höchst
natürlich und wohlthätig angesehen werden kann, daß sich die Verwal-
tung in ihren concreten Aufgaben den Grundsätzen und Lehren der
übrigen Wissenschaften unterordnet, so daß das geltende Verwaltungs-
recht selbst nur noch als ein Moment an der Darstellung des Verwal-
tungszweiges erschien, und in dieser seine beständige und lebhafte Kritik
findet. Das ist ohne Zweifel vortrefflich, und Niemand wird ohne die
größte Achtung die Literatur über das Bildungswesen, über die Presse,
über Eisenbahnen, Münze, Maß und Gewicht, Bankwesen, Landwirth-
schaft, Forstwirthschaft, Bergbau, Gewerbe, anderes, nennen. Es ist
keine Frage, daß diese ganze Behandlungsweise, wie sie sich aus der
ursprünglich rein casuistischen Specialliteratur des vorigen Jahrhunderts
herausgebildet hat, einen unendlichen Fortschritt bildet und dem weiteren
Fortschritte überdieß zum Grunde liegt, sei es, daß wir dabei großen
Werken wie Franke's Medicinalpolizei, Hübners Bankwesen, Hundes-
hagens Forstpolizei, Hingenaus Bergrecht, Knies' Telegraphenwesen,
Kries' Armenwesen, Bitzers Heimathswesen, Rönne's landwirthschaftliche

will ſtatt der Thatſache des Beſtehenden in den meiſten Fällen Gründe
für das Neue, das ſie herzuſtellen wünſcht. Die Specialarbeiten aus
dem Rechte der Verwaltung fangen daher jetzt an, jeden ihnen eignenden
Gegenſtand theils rationell mit allen möglichen ſachlichen Erwägungen,
theils auch hiſtoriſch zu behandeln, theils endlich ſogar die Vergleichung
fremder Verwaltungsbeſtimmungen hinzuzufügen. Dadurch wird viel
gewonnen. Aus rein objektiven, gegen adminiſtrativen Werth und Un-
werth des einmal geltenden Stoffes ganz gleichgültigen Sammlungen
entſtehen jetzt förmliche Unterſuchungen, Abhandlungen, eingehende
und zum Theil höchſt ausgezeichnete Werke, die für ihre Gebiete von
unendlichem Nutzen ſind. Es iſt ganz natürlich, daß dabei ſehr viel
Gerede und ſehr viel Parteilichkeit und Einſeitigkeit unterläuft; allein
mehr und mehr wird es der Literatur klar, daß man das Weſen des
Gegenſtandes, ſeine concrete Natur und ſein Leben durchdringen
und erfaſſen müſſe, um aus demſelben das richtige Ver-
waltungsrecht bilden zu können
. Man kann dieſe Bewegung
der rationellen Behandlung der Verwaltungsfragen, die namentlich ſeit
etwa dreißig Jahren ſich Bahn gebrochen, nicht hoch genug anſchlagen.
Sie iſt es, welche die Verwaltung aus ihrer abſtrakten, gegen die
großen Geſetze und Thatſachen der wirklichen Welt gleichgültigen Stel-
lung herausgeriſſen, und ſie gezwungen hat, die Dinge zu kennen, ehe
ſie ſie verwalten will. Sie hat die Wiſſenſchaften, die früher ganz
außerhalb der Verwaltung lagen, Chemie, Phyſik, Naturlehre u. a.
in ihren Bereich gezogen, und ſie der Verwaltung zum Grunde gelegt.
Sie hat dadurch bewirkt, was bis zu einem gewiſſen Grade als höchſt
natürlich und wohlthätig angeſehen werden kann, daß ſich die Verwal-
tung in ihren concreten Aufgaben den Grundſätzen und Lehren der
übrigen Wiſſenſchaften unterordnet, ſo daß das geltende Verwaltungs-
recht ſelbſt nur noch als ein Moment an der Darſtellung des Verwal-
tungszweiges erſchien, und in dieſer ſeine beſtändige und lebhafte Kritik
findet. Das iſt ohne Zweifel vortrefflich, und Niemand wird ohne die
größte Achtung die Literatur über das Bildungsweſen, über die Preſſe,
über Eiſenbahnen, Münze, Maß und Gewicht, Bankweſen, Landwirth-
ſchaft, Forſtwirthſchaft, Bergbau, Gewerbe, anderes, nennen. Es iſt
keine Frage, daß dieſe ganze Behandlungsweiſe, wie ſie ſich aus der
urſprünglich rein caſuiſtiſchen Specialliteratur des vorigen Jahrhunderts
herausgebildet hat, einen unendlichen Fortſchritt bildet und dem weiteren
Fortſchritte überdieß zum Grunde liegt, ſei es, daß wir dabei großen
Werken wie Franke’s Medicinalpolizei, Hübners Bankweſen, Hundes-
hagens Forſtpolizei, Hingenaus Bergrecht, Knies’ Telegraphenweſen,
Kries’ Armenweſen, Bitzers Heimathsweſen, Rönne’s landwirthſchaftliche

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[37/0059] will ſtatt der Thatſache des Beſtehenden in den meiſten Fällen Gründe für das Neue, das ſie herzuſtellen wünſcht. Die Specialarbeiten aus dem Rechte der Verwaltung fangen daher jetzt an, jeden ihnen eignenden Gegenſtand theils rationell mit allen möglichen ſachlichen Erwägungen, theils auch hiſtoriſch zu behandeln, theils endlich ſogar die Vergleichung fremder Verwaltungsbeſtimmungen hinzuzufügen. Dadurch wird viel gewonnen. Aus rein objektiven, gegen adminiſtrativen Werth und Un- werth des einmal geltenden Stoffes ganz gleichgültigen Sammlungen entſtehen jetzt förmliche Unterſuchungen, Abhandlungen, eingehende und zum Theil höchſt ausgezeichnete Werke, die für ihre Gebiete von unendlichem Nutzen ſind. Es iſt ganz natürlich, daß dabei ſehr viel Gerede und ſehr viel Parteilichkeit und Einſeitigkeit unterläuft; allein mehr und mehr wird es der Literatur klar, daß man das Weſen des Gegenſtandes, ſeine concrete Natur und ſein Leben durchdringen und erfaſſen müſſe, um aus demſelben das richtige Ver- waltungsrecht bilden zu können. Man kann dieſe Bewegung der rationellen Behandlung der Verwaltungsfragen, die namentlich ſeit etwa dreißig Jahren ſich Bahn gebrochen, nicht hoch genug anſchlagen. Sie iſt es, welche die Verwaltung aus ihrer abſtrakten, gegen die großen Geſetze und Thatſachen der wirklichen Welt gleichgültigen Stel- lung herausgeriſſen, und ſie gezwungen hat, die Dinge zu kennen, ehe ſie ſie verwalten will. Sie hat die Wiſſenſchaften, die früher ganz außerhalb der Verwaltung lagen, Chemie, Phyſik, Naturlehre u. a. in ihren Bereich gezogen, und ſie der Verwaltung zum Grunde gelegt. Sie hat dadurch bewirkt, was bis zu einem gewiſſen Grade als höchſt natürlich und wohlthätig angeſehen werden kann, daß ſich die Verwal- tung in ihren concreten Aufgaben den Grundſätzen und Lehren der übrigen Wiſſenſchaften unterordnet, ſo daß das geltende Verwaltungs- recht ſelbſt nur noch als ein Moment an der Darſtellung des Verwal- tungszweiges erſchien, und in dieſer ſeine beſtändige und lebhafte Kritik findet. Das iſt ohne Zweifel vortrefflich, und Niemand wird ohne die größte Achtung die Literatur über das Bildungsweſen, über die Preſſe, über Eiſenbahnen, Münze, Maß und Gewicht, Bankweſen, Landwirth- ſchaft, Forſtwirthſchaft, Bergbau, Gewerbe, anderes, nennen. Es iſt keine Frage, daß dieſe ganze Behandlungsweiſe, wie ſie ſich aus der urſprünglich rein caſuiſtiſchen Specialliteratur des vorigen Jahrhunderts herausgebildet hat, einen unendlichen Fortſchritt bildet und dem weiteren Fortſchritte überdieß zum Grunde liegt, ſei es, daß wir dabei großen Werken wie Franke’s Medicinalpolizei, Hübners Bankweſen, Hundes- hagens Forſtpolizei, Hingenaus Bergrecht, Knies’ Telegraphenweſen, Kries’ Armenweſen, Bitzers Heimathsweſen, Rönne’s landwirthſchaftliche

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/59>, abgerufen am 03.05.2024.