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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Gemeindebürgerrecht unberührt läßt, das der vollziehenden Gewalt gehört,
das Heimathswesen dagegen oder die administrative Armen-
zuständigkeit auf Grundlage der neuen Armenverwaltungs-
gemeinden ordnet
.

Sachsen. Es dürfte im Grunde kein Zweifel sein, daß unter
allen deutschen Staaten das Königreich Sachsen derjenige ist, der sich
durch die umfassende Grundlage seiner Gesetzgebung über Armenwesen
und durch richtiges Verständniß der Heimathsfrage am meisten aus-
zeichnet. Sein Gemeindebürgerrecht hat im Grunde keine besondere
Eigenthümlichkeiten gegenüber den übrigen deutschen, nur daß die Ge-
meindegesetzgebung hier den Ortsgemeinden große Freiheit in der
Bildung der Localstatute einräumt. Von Bedeutung dagegen ist die
Landgemeindeordnung vom 7. November 1838 (Weiske S. 105 ff.)
In ihr sehen wir den Gedanken ausgesprochen, auf dem wohl überhaupt
die Zukunft des Gemeindewesens in Deutschland beruht, und den wir
eben so in Württemberg antreffen -- §. 17. Auch können mehrere be-
nachbarte Orte, deren jeder bisher eine Gemeinde gebildet hat, zu einer
Gesammtgemeinde vereinigt werden, worüber nach §. 28 wieder
die in diesen Dingen in Sachsen überhaupt sehr mächtige Regierung
zuletzt entscheidet. Diese Gesammtgemeinden sind die natürlichen Grund-
lagen der Verwaltungsgemeinden, und der Gedanke, der hier in der
Gemeindeordnung zur Geltung kommt, hat denn auch fast von jeher
schon das Heimaths- und Armenwesen durchdrungen. Nach Bitzer
S. 200 ist allerdings schon seit dem 16. Jahrhundert der Satz fest-
gestellt, daß die Stadt als Ortsgemeinde zugleich Armengemeinde sein
solle; doch wird auf dem Lande statt der Ortsgemeinde vielmehr das
Kirchspiel aufgestellt. (Schauberg, Entwurf einer Ortsarmen-
ordnung. 1861. Ausschreiben vom 1. October 1855). Die bestimmte
Ordnung empfängt jedoch das Armenwesen wohl zuerst durch das
Mandat vom 3. April 1729, welches das Betteln verbietet, und
den Behörden den Befehl gibt, die Armen an ihrem Heimathsort
zur Versorgung zu bringen, wobei als Heimath der Geburtsort, oder
der Ort des mit Steuerzahlung verbundenen längeren Aufent-
halts angesehen wird. Es ist dabei charakteristisch, daß die Entscheidung
im streitigen Falle den Obrigkeiten zugewiesen wird, die freilich noch
nach der Landgemeindeordnung Gerichte sind. Dieser Gedanke ist in
Sachsen geblieben; denn noch nach der Landgemeindeordnung §. 20,
Weiske S. 109 sind "Gesuche um Aufnahme in eine Landgemeinde
bei der Obrigkeit anzubringen," welche entscheidet. Man sieht ganz
deutlich hier den Charakter der Verwaltungsgemeinde den der Orts-
gemeinde überragen. Dieselbe Idee greift dann für Heimaths- und

Gemeindebürgerrecht unberührt läßt, das der vollziehenden Gewalt gehört,
das Heimathsweſen dagegen oder die adminiſtrative Armen-
zuſtändigkeit auf Grundlage der neuen Armenverwaltungs-
gemeinden ordnet
.

Sachſen. Es dürfte im Grunde kein Zweifel ſein, daß unter
allen deutſchen Staaten das Königreich Sachſen derjenige iſt, der ſich
durch die umfaſſende Grundlage ſeiner Geſetzgebung über Armenweſen
und durch richtiges Verſtändniß der Heimathsfrage am meiſten aus-
zeichnet. Sein Gemeindebürgerrecht hat im Grunde keine beſondere
Eigenthümlichkeiten gegenüber den übrigen deutſchen, nur daß die Ge-
meindegeſetzgebung hier den Ortsgemeinden große Freiheit in der
Bildung der Localſtatute einräumt. Von Bedeutung dagegen iſt die
Landgemeindeordnung vom 7. November 1838 (Weiske S. 105 ff.)
In ihr ſehen wir den Gedanken ausgeſprochen, auf dem wohl überhaupt
die Zukunft des Gemeindeweſens in Deutſchland beruht, und den wir
eben ſo in Württemberg antreffen — §. 17. Auch können mehrere be-
nachbarte Orte, deren jeder bisher eine Gemeinde gebildet hat, zu einer
Geſammtgemeinde vereinigt werden, worüber nach §. 28 wieder
die in dieſen Dingen in Sachſen überhaupt ſehr mächtige Regierung
zuletzt entſcheidet. Dieſe Geſammtgemeinden ſind die natürlichen Grund-
lagen der Verwaltungsgemeinden, und der Gedanke, der hier in der
Gemeindeordnung zur Geltung kommt, hat denn auch faſt von jeher
ſchon das Heimaths- und Armenweſen durchdrungen. Nach Bitzer
S. 200 iſt allerdings ſchon ſeit dem 16. Jahrhundert der Satz feſt-
geſtellt, daß die Stadt als Ortsgemeinde zugleich Armengemeinde ſein
ſolle; doch wird auf dem Lande ſtatt der Ortsgemeinde vielmehr das
Kirchſpiel aufgeſtellt. (Schauberg, Entwurf einer Ortsarmen-
ordnung. 1861. Ausſchreiben vom 1. October 1855). Die beſtimmte
Ordnung empfängt jedoch das Armenweſen wohl zuerſt durch das
Mandat vom 3. April 1729, welches das Betteln verbietet, und
den Behörden den Befehl gibt, die Armen an ihrem Heimathsort
zur Verſorgung zu bringen, wobei als Heimath der Geburtsort, oder
der Ort des mit Steuerzahlung verbundenen längeren Aufent-
halts angeſehen wird. Es iſt dabei charakteriſtiſch, daß die Entſcheidung
im ſtreitigen Falle den Obrigkeiten zugewieſen wird, die freilich noch
nach der Landgemeindeordnung Gerichte ſind. Dieſer Gedanke iſt in
Sachſen geblieben; denn noch nach der Landgemeindeordnung §. 20,
Weiske S. 109 ſind „Geſuche um Aufnahme in eine Landgemeinde
bei der Obrigkeit anzubringen,“ welche entſcheidet. Man ſieht ganz
deutlich hier den Charakter der Verwaltungsgemeinde den der Orts-
gemeinde überragen. Dieſelbe Idee greift dann für Heimaths- und

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[349/0371] Gemeindebürgerrecht unberührt läßt, das der vollziehenden Gewalt gehört, das Heimathsweſen dagegen oder die adminiſtrative Armen- zuſtändigkeit auf Grundlage der neuen Armenverwaltungs- gemeinden ordnet. Sachſen. Es dürfte im Grunde kein Zweifel ſein, daß unter allen deutſchen Staaten das Königreich Sachſen derjenige iſt, der ſich durch die umfaſſende Grundlage ſeiner Geſetzgebung über Armenweſen und durch richtiges Verſtändniß der Heimathsfrage am meiſten aus- zeichnet. Sein Gemeindebürgerrecht hat im Grunde keine beſondere Eigenthümlichkeiten gegenüber den übrigen deutſchen, nur daß die Ge- meindegeſetzgebung hier den Ortsgemeinden große Freiheit in der Bildung der Localſtatute einräumt. Von Bedeutung dagegen iſt die Landgemeindeordnung vom 7. November 1838 (Weiske S. 105 ff.) In ihr ſehen wir den Gedanken ausgeſprochen, auf dem wohl überhaupt die Zukunft des Gemeindeweſens in Deutſchland beruht, und den wir eben ſo in Württemberg antreffen — §. 17. Auch können mehrere be- nachbarte Orte, deren jeder bisher eine Gemeinde gebildet hat, zu einer Geſammtgemeinde vereinigt werden, worüber nach §. 28 wieder die in dieſen Dingen in Sachſen überhaupt ſehr mächtige Regierung zuletzt entſcheidet. Dieſe Geſammtgemeinden ſind die natürlichen Grund- lagen der Verwaltungsgemeinden, und der Gedanke, der hier in der Gemeindeordnung zur Geltung kommt, hat denn auch faſt von jeher ſchon das Heimaths- und Armenweſen durchdrungen. Nach Bitzer S. 200 iſt allerdings ſchon ſeit dem 16. Jahrhundert der Satz feſt- geſtellt, daß die Stadt als Ortsgemeinde zugleich Armengemeinde ſein ſolle; doch wird auf dem Lande ſtatt der Ortsgemeinde vielmehr das Kirchſpiel aufgeſtellt. (Schauberg, Entwurf einer Ortsarmen- ordnung. 1861. Ausſchreiben vom 1. October 1855). Die beſtimmte Ordnung empfängt jedoch das Armenweſen wohl zuerſt durch das Mandat vom 3. April 1729, welches das Betteln verbietet, und den Behörden den Befehl gibt, die Armen an ihrem Heimathsort zur Verſorgung zu bringen, wobei als Heimath der Geburtsort, oder der Ort des mit Steuerzahlung verbundenen längeren Aufent- halts angeſehen wird. Es iſt dabei charakteriſtiſch, daß die Entſcheidung im ſtreitigen Falle den Obrigkeiten zugewieſen wird, die freilich noch nach der Landgemeindeordnung Gerichte ſind. Dieſer Gedanke iſt in Sachſen geblieben; denn noch nach der Landgemeindeordnung §. 20, Weiske S. 109 ſind „Geſuche um Aufnahme in eine Landgemeinde bei der Obrigkeit anzubringen,“ welche entſcheidet. Man ſieht ganz deutlich hier den Charakter der Verwaltungsgemeinde den der Orts- gemeinde überragen. Dieſelbe Idee greift dann für Heimaths- und

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/371>, abgerufen am 07.05.2024.