recht bestimmen und enthalten. Die Städte legten dafür zuerst die beiden Grundsätze der freien Geschlechterdorfschaft zu Grunde, die wir in der früheren Epoche dargestellt haben, und zwar meist in folgender Form: Grundbesitz gibt Vollbürgerrecht, Arbeit gibt Angehörig- keit. Für jenes zweite Verhältniß aber, das weder auf Arbeit, noch auf Grundbesitz beruhte, nämlich den gewerblichen Wohnsitz, stellten sich alsbald folgende Grundsätze fest: der gewerbliche Wohnsitz gibt zwar das Schutzbürgerthum, aber erst die formelle Aufnahme in die Gemeinde gibt das Vollbürgerthum. Mit dem Wechsel des gewerb- lichen Wohnsitzes wechselt daher auch die Angehörigkeit, während das Gemeindebürgerthum bleibt; oder sie kann durch denselben Akt, der sie erworben hat, auch wieder verloren werden. Dieser Akt hieß die Niederlassung, das ist, das Aufschlagen des Wohnsitzes zum Erwerbe des dauernden Unterhalts. Da aber auf diese Weise diese Niederlassung die in der Angehörigkeit liegende Zuständigkeit zum städtischen Gericht begründet, und daher wenigstens die gerichtliche, und in derselben die polizeiliche Schutzpflicht für die Stadtgemeinde erzeugt, und da zweitens jener Begriff der Dauer ein an sich unbestimmter ist, so entstanden jetzt zwei neue Fragen. Die erste Frage war die, ob diese Niederlassung jedem Fremden frei stehe, die zweite war die, wie lange sie gedauert haben müsse, um die Angehörigkeit des Schutz- bürgerthums zu erzeugen? Die natürlichste mit den Interessen und der Selbständigkeit der Gemeinde von selbst gegebene Antwort mußte offen- bar die seyn, daß zwar jedem Ankömmling die Niederlassung an sich frei stehe, daß aber zugleich die städtische Gemeinde das Recht der Ausweisung habe, so gut als sie das Recht der freien Aufnahme in das Vollbürgerthum unbestritten besaß; und daß ferner jede einzelne Stadt die für den Erwerb und den Verlust der Schutzbürgerschaft bei ihr erforderliche Zeitdauer selbst zu bestimmen habe. Eben so einfach war es, daß sich allmählig gewisse Bedingungen durch (administra- tives) Gewohnheitsrecht hinausbildeten, welche als Voraussetzungen einerseits die Aufnahme in das Vollbürgerthum, andrerseits die Be- lassung als Schutzbürger galten. Aber zu gesetzlichen Normen werden diese Bedingungen noch nicht, und konnten es nicht werden, da die Städte ja noch selbständige Verwaltungskörper waren. Jede Stadt hatte daher ihr eigenes Vollbürgerrecht, ihre eigene Tra- dition in Beziehung auf die Zulassung der Schutzbürger durch die Nieder- lassung, sowie auf die Ausweisung derselben. Ein Heimathsrecht ent- steht daraus noch nicht. Es ist ganz wesentlich festzuhalten, daß dies letztere erst mit der folgenden Epoche entsteht.
So bildet sich für die Stadt ihr zuerst dem feudalen Princip
recht beſtimmen und enthalten. Die Städte legten dafür zuerſt die beiden Grundſätze der freien Geſchlechterdorfſchaft zu Grunde, die wir in der früheren Epoche dargeſtellt haben, und zwar meiſt in folgender Form: Grundbeſitz gibt Vollbürgerrecht, Arbeit gibt Angehörig- keit. Für jenes zweite Verhältniß aber, das weder auf Arbeit, noch auf Grundbeſitz beruhte, nämlich den gewerblichen Wohnſitz, ſtellten ſich alsbald folgende Grundſätze feſt: der gewerbliche Wohnſitz gibt zwar das Schutzbürgerthum, aber erſt die formelle Aufnahme in die Gemeinde gibt das Vollbürgerthum. Mit dem Wechſel des gewerb- lichen Wohnſitzes wechſelt daher auch die Angehörigkeit, während das Gemeindebürgerthum bleibt; oder ſie kann durch denſelben Akt, der ſie erworben hat, auch wieder verloren werden. Dieſer Akt hieß die Niederlaſſung, das iſt, das Aufſchlagen des Wohnſitzes zum Erwerbe des dauernden Unterhalts. Da aber auf dieſe Weiſe dieſe Niederlaſſung die in der Angehörigkeit liegende Zuſtändigkeit zum ſtädtiſchen Gericht begründet, und daher wenigſtens die gerichtliche, und in derſelben die polizeiliche Schutzpflicht für die Stadtgemeinde erzeugt, und da zweitens jener Begriff der Dauer ein an ſich unbeſtimmter iſt, ſo entſtanden jetzt zwei neue Fragen. Die erſte Frage war die, ob dieſe Niederlaſſung jedem Fremden frei ſtehe, die zweite war die, wie lange ſie gedauert haben müſſe, um die Angehörigkeit des Schutz- bürgerthums zu erzeugen? Die natürlichſte mit den Intereſſen und der Selbſtändigkeit der Gemeinde von ſelbſt gegebene Antwort mußte offen- bar die ſeyn, daß zwar jedem Ankömmling die Niederlaſſung an ſich frei ſtehe, daß aber zugleich die ſtädtiſche Gemeinde das Recht der Ausweiſung habe, ſo gut als ſie das Recht der freien Aufnahme in das Vollbürgerthum unbeſtritten beſaß; und daß ferner jede einzelne Stadt die für den Erwerb und den Verluſt der Schutzbürgerſchaft bei ihr erforderliche Zeitdauer ſelbſt zu beſtimmen habe. Eben ſo einfach war es, daß ſich allmählig gewiſſe Bedingungen durch (adminiſtra- tives) Gewohnheitsrecht hinausbildeten, welche als Vorausſetzungen einerſeits die Aufnahme in das Vollbürgerthum, andrerſeits die Be- laſſung als Schutzbürger galten. Aber zu geſetzlichen Normen werden dieſe Bedingungen noch nicht, und konnten es nicht werden, da die Städte ja noch ſelbſtändige Verwaltungskörper waren. Jede Stadt hatte daher ihr eigenes Vollbürgerrecht, ihre eigene Tra- dition in Beziehung auf die Zulaſſung der Schutzbürger durch die Nieder- laſſung, ſowie auf die Ausweiſung derſelben. Ein Heimathsrecht ent- ſteht daraus noch nicht. Es iſt ganz weſentlich feſtzuhalten, daß dies letztere erſt mit der folgenden Epoche entſteht.
So bildet ſich für die Stadt ihr zuerſt dem feudalen Princip
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recht beſtimmen und enthalten. Die Städte legten dafür zuerſt die
beiden Grundſätze der freien Geſchlechterdorfſchaft zu Grunde, die wir
in der früheren Epoche dargeſtellt haben, und zwar meiſt in folgender
Form: Grundbeſitz gibt Vollbürgerrecht, Arbeit gibt Angehörig-
keit. Für jenes zweite Verhältniß aber, das weder auf Arbeit, noch
auf Grundbeſitz beruhte, nämlich den gewerblichen Wohnſitz, ſtellten
ſich alsbald folgende Grundſätze feſt: der gewerbliche Wohnſitz gibt
zwar das Schutzbürgerthum, aber erſt die formelle Aufnahme in die
Gemeinde gibt das Vollbürgerthum. Mit dem Wechſel des gewerb-
lichen Wohnſitzes wechſelt daher auch die Angehörigkeit, während das
Gemeindebürgerthum bleibt; oder ſie kann durch denſelben Akt, der ſie
erworben hat, auch wieder verloren werden. Dieſer Akt hieß
die Niederlaſſung, das iſt, das Aufſchlagen des Wohnſitzes zum
Erwerbe des dauernden Unterhalts. Da aber auf dieſe Weiſe dieſe
Niederlaſſung die in der Angehörigkeit liegende Zuſtändigkeit zum
ſtädtiſchen Gericht begründet, und daher wenigſtens die gerichtliche, und
in derſelben die polizeiliche Schutzpflicht für die Stadtgemeinde erzeugt,
und da zweitens jener Begriff der Dauer ein an ſich unbeſtimmter iſt,
ſo entſtanden jetzt zwei neue Fragen. Die erſte Frage war die, ob
dieſe Niederlaſſung jedem Fremden frei ſtehe, die zweite war die, wie
lange ſie gedauert haben müſſe, um die Angehörigkeit des Schutz-
bürgerthums zu erzeugen? Die natürlichſte mit den Intereſſen und der
Selbſtändigkeit der Gemeinde von ſelbſt gegebene Antwort mußte offen-
bar die ſeyn, daß zwar jedem Ankömmling die Niederlaſſung an ſich
frei ſtehe, daß aber zugleich die ſtädtiſche Gemeinde das Recht der
Ausweiſung habe, ſo gut als ſie das Recht der freien Aufnahme
in das Vollbürgerthum unbeſtritten beſaß; und daß ferner jede einzelne
Stadt die für den Erwerb und den Verluſt der Schutzbürgerſchaft bei
ihr erforderliche Zeitdauer ſelbſt zu beſtimmen habe. Eben ſo einfach
war es, daß ſich allmählig gewiſſe Bedingungen durch (adminiſtra-
tives) Gewohnheitsrecht hinausbildeten, welche als Vorausſetzungen
einerſeits die Aufnahme in das Vollbürgerthum, andrerſeits die Be-
laſſung als Schutzbürger galten. Aber zu geſetzlichen Normen
werden dieſe Bedingungen noch nicht, und konnten es nicht
werden, da die Städte ja noch ſelbſtändige Verwaltungskörper waren.
Jede Stadt hatte daher ihr eigenes Vollbürgerrecht, ihre eigene Tra-
dition in Beziehung auf die Zulaſſung der Schutzbürger durch die Nieder-
laſſung, ſowie auf die Ausweiſung derſelben. Ein Heimathsrecht ent-
ſteht daraus noch nicht. Es iſt ganz weſentlich feſtzuhalten, daß dies
letztere erſt mit der folgenden Epoche entſteht.
So bildet ſich für die Stadt ihr zuerſt dem feudalen Princip
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/341>, abgerufen am 17.07.2024.
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