Körper eine möglichst große administrative Selbständigkeit zu ge- winnen und zu erhalten trachtet und daher dem andern unbedingt entgegen tritt. Die praktische, hochwichtige Consequenz dieses ersten Princips, das für alle drei Stände in ihren Körperschaften gilt und noch jetzt im deutschen Gemeindebürgerrecht -- nicht im englischen und französischen -- sich erhalten hat, ist der Grundsatz, daß die volle Angehörigkeit an einen solchen Körper sich von der unvollständigen, äußerlichen scheidet. Die volle Angehörigkeit kann nur geschehen durch förmliche Aufnahme (Reception) in die Körperschaft und gibt daher auch das Recht des Miteigenthums am Vermögen. Die unvoll- ständige dagegen tritt oft durch den bloßen Aufenthalt, oft erst durch die Niederlassung, oft erst durch längere Dauer desselben ein. Und so entstehen hier die Grade, Stufen, oder Classen der Angehörig- keit, denen wir sogleich wieder begegnen werden. Das zweite Princip ist, daß auch jetzt noch bei dem Mangel der eigentlichen Verwaltung die Angehörigkeit anfänglich nur als gerichtliche Competenz und Zu- ständigkeit erscheint, während jedes jener Systeme eine andere Gestalt der innern Organisation hat. Die Anerkennung eines solchen stän- dischen Körpers geschieht daher durch Zusprechung der Jurisdiction, welche aber in der That nur die Anerkennung der Selbstverwaltung ist, für welche die Jurisdiction nur die Form abgibt. Der Streit zwischen den verschiedenen Körpern tritt aus demselben Grunde stets als Streit in der Gerichtsbarkeit auf, und der Begriff Juris- diction und Gerichtsbarkeit bedeutet daher in dieser Zeit eben jene Selbständigkeit der Verwaltung. Daraus folgt dann weiter, daß in dieser Epoche die Organisation der Gerichtsverfassung die eigent- lich administrative Organisation ist, und daß die Gerichte zu ver- walten haben. Und da nun endlich diese gerichtliche Competenz und Zuständigkeit als forum und domicilium in der römischen Jurisprudenz zur rein bürgerlich rechtlichen Theorie ward, so ging auch theoretisch die ganze Lehre von Competenz, Zuständigkeit, Bürgerrecht und Hei- mathswesen in den processualen Begriffen von forum und domicilium unter, so daß namentlich die deutsche Wissenschaft während dieser ganzen Epoche zu keinem Begriff von Bürgerrecht und Heimathsrecht gelangte. Das hatte zur Folge, daß man seit jener Zeit das wissenschaftliche Be- wußtsein des organischen Zusammenhangs von Competenz und Gemeindeangehörigkeit verlor, das man auch in neuester Zeit noch nicht wieder gefunden hat, indem man das Heimathsrecht als etwas ganz Geschiedenes behandelt. -- Von dieser Grundlage aus müssen nun die drei Systeme der ständischen Angehörigkeit betrachtet werden.
Das System der Angehörigkeit an den eigentlichen und reinen
Körper eine möglichſt große adminiſtrative Selbſtändigkeit zu ge- winnen und zu erhalten trachtet und daher dem andern unbedingt entgegen tritt. Die praktiſche, hochwichtige Conſequenz dieſes erſten Princips, das für alle drei Stände in ihren Körperſchaften gilt und noch jetzt im deutſchen Gemeindebürgerrecht — nicht im engliſchen und franzöſiſchen — ſich erhalten hat, iſt der Grundſatz, daß die volle Angehörigkeit an einen ſolchen Körper ſich von der unvollſtändigen, äußerlichen ſcheidet. Die volle Angehörigkeit kann nur geſchehen durch förmliche Aufnahme (Reception) in die Körperſchaft und gibt daher auch das Recht des Miteigenthums am Vermögen. Die unvoll- ſtändige dagegen tritt oft durch den bloßen Aufenthalt, oft erſt durch die Niederlaſſung, oft erſt durch längere Dauer deſſelben ein. Und ſo entſtehen hier die Grade, Stufen, oder Claſſen der Angehörig- keit, denen wir ſogleich wieder begegnen werden. Das zweite Princip iſt, daß auch jetzt noch bei dem Mangel der eigentlichen Verwaltung die Angehörigkeit anfänglich nur als gerichtliche Competenz und Zu- ſtändigkeit erſcheint, während jedes jener Syſteme eine andere Geſtalt der innern Organiſation hat. Die Anerkennung eines ſolchen ſtän- diſchen Körpers geſchieht daher durch Zuſprechung der Jurisdiction, welche aber in der That nur die Anerkennung der Selbſtverwaltung iſt, für welche die Jurisdiction nur die Form abgibt. Der Streit zwiſchen den verſchiedenen Körpern tritt aus demſelben Grunde ſtets als Streit in der Gerichtsbarkeit auf, und der Begriff Juris- diction und Gerichtsbarkeit bedeutet daher in dieſer Zeit eben jene Selbſtändigkeit der Verwaltung. Daraus folgt dann weiter, daß in dieſer Epoche die Organiſation der Gerichtsverfaſſung die eigent- lich adminiſtrative Organiſation iſt, und daß die Gerichte zu ver- walten haben. Und da nun endlich dieſe gerichtliche Competenz und Zuſtändigkeit als forum und domicilium in der römiſchen Jurisprudenz zur rein bürgerlich rechtlichen Theorie ward, ſo ging auch theoretiſch die ganze Lehre von Competenz, Zuſtändigkeit, Bürgerrecht und Hei- mathsweſen in den proceſſualen Begriffen von forum und domicilium unter, ſo daß namentlich die deutſche Wiſſenſchaft während dieſer ganzen Epoche zu keinem Begriff von Bürgerrecht und Heimathsrecht gelangte. Das hatte zur Folge, daß man ſeit jener Zeit das wiſſenſchaftliche Be- wußtſein des organiſchen Zuſammenhangs von Competenz und Gemeindeangehörigkeit verlor, das man auch in neueſter Zeit noch nicht wieder gefunden hat, indem man das Heimathsrecht als etwas ganz Geſchiedenes behandelt. — Von dieſer Grundlage aus müſſen nun die drei Syſteme der ſtändiſchen Angehörigkeit betrachtet werden.
Das Syſtem der Angehörigkeit an den eigentlichen und reinen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><pbfacs="#f0338"n="316"/>
Körper eine möglichſt große adminiſtrative <hirendition="#g">Selbſtändigkeit</hi> zu ge-<lb/>
winnen und zu erhalten trachtet und daher dem andern unbedingt<lb/>
entgegen tritt. Die praktiſche, hochwichtige Conſequenz dieſes erſten<lb/>
Princips, das für <hirendition="#g">alle drei</hi> Stände in ihren Körperſchaften gilt und<lb/>
noch jetzt im deutſchen Gemeindebürgerrecht —<hirendition="#g">nicht</hi> im engliſchen und<lb/>
franzöſiſchen —ſich erhalten hat, iſt der Grundſatz, daß die <hirendition="#g">volle</hi><lb/>
Angehörigkeit an einen ſolchen Körper ſich von der <hirendition="#g">unvollſtändigen</hi>,<lb/>
äußerlichen <hirendition="#g">ſcheidet</hi>. Die volle Angehörigkeit kann nur geſchehen durch<lb/><hirendition="#g">förmliche Aufnahme</hi> (Reception) in die Körperſchaft und gibt daher<lb/>
auch das Recht des <hirendition="#g">Miteigenthums</hi> am Vermögen. Die unvoll-<lb/>ſtändige dagegen tritt oft durch den bloßen <hirendition="#g">Aufenthalt</hi>, oft erſt durch<lb/>
die <hirendition="#g">Niederlaſſung</hi>, oft erſt durch längere <hirendition="#g">Dauer</hi> deſſelben ein.<lb/>
Und ſo entſtehen hier die Grade, Stufen, oder Claſſen der Angehörig-<lb/>
keit, denen wir ſogleich wieder begegnen werden. Das <hirendition="#g">zweite</hi> Princip<lb/>
iſt, daß auch jetzt noch bei dem Mangel der eigentlichen Verwaltung<lb/>
die Angehörigkeit anfänglich nur als <hirendition="#g">gerichtliche</hi> Competenz und Zu-<lb/>ſtändigkeit erſcheint, während jedes jener Syſteme eine andere Geſtalt<lb/>
der innern Organiſation hat. Die <hirendition="#g">Anerkennung</hi> eines ſolchen ſtän-<lb/>
diſchen Körpers geſchieht daher durch Zuſprechung der Jurisdiction, welche<lb/>
aber in der That nur die <hirendition="#g">Anerkennung der Selbſtverwaltung</hi><lb/>
iſt, für welche die Jurisdiction nur die Form abgibt. Der <hirendition="#g">Streit</hi><lb/>
zwiſchen den verſchiedenen Körpern tritt aus demſelben Grunde ſtets<lb/>
als Streit <hirendition="#g">in der Gerichtsbarkeit</hi> auf, und der Begriff Juris-<lb/>
diction und Gerichtsbarkeit bedeutet daher in dieſer Zeit eben jene<lb/>
Selbſtändigkeit der Verwaltung. Daraus folgt dann weiter, daß<lb/>
in dieſer Epoche die Organiſation der Gerichtsverfaſſung die eigent-<lb/>
lich adminiſtrative Organiſation iſt, und daß die <hirendition="#g">Gerichte zu ver-<lb/>
walten</hi> haben. Und da nun endlich dieſe gerichtliche Competenz und<lb/>
Zuſtändigkeit als <hirendition="#aq">forum</hi> und <hirendition="#aq">domicilium</hi> in der römiſchen Jurisprudenz<lb/>
zur rein bürgerlich rechtlichen Theorie ward, ſo ging auch theoretiſch<lb/>
die ganze Lehre von Competenz, Zuſtändigkeit, Bürgerrecht und Hei-<lb/>
mathsweſen in den proceſſualen Begriffen von <hirendition="#aq">forum</hi> und <hirendition="#aq">domicilium</hi><lb/>
unter, ſo daß namentlich die deutſche Wiſſenſchaft während dieſer ganzen<lb/>
Epoche zu keinem Begriff von Bürgerrecht und Heimathsrecht gelangte.<lb/>
Das hatte zur Folge, daß man ſeit jener Zeit das wiſſenſchaftliche Be-<lb/>
wußtſein des organiſchen <hirendition="#g">Zuſammenhangs</hi> von Competenz und<lb/>
Gemeindeangehörigkeit verlor, das man auch in neueſter Zeit noch nicht<lb/>
wieder gefunden hat, indem man das Heimathsrecht als etwas ganz<lb/>
Geſchiedenes behandelt. — Von dieſer Grundlage aus müſſen nun die<lb/><hirendition="#g">drei Syſteme der ſtändiſchen Angehörigkeit</hi> betrachtet werden.</p><lb/><p>Das Syſtem der Angehörigkeit an den eigentlichen und reinen<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[316/0338]
Körper eine möglichſt große adminiſtrative Selbſtändigkeit zu ge-
winnen und zu erhalten trachtet und daher dem andern unbedingt
entgegen tritt. Die praktiſche, hochwichtige Conſequenz dieſes erſten
Princips, das für alle drei Stände in ihren Körperſchaften gilt und
noch jetzt im deutſchen Gemeindebürgerrecht — nicht im engliſchen und
franzöſiſchen — ſich erhalten hat, iſt der Grundſatz, daß die volle
Angehörigkeit an einen ſolchen Körper ſich von der unvollſtändigen,
äußerlichen ſcheidet. Die volle Angehörigkeit kann nur geſchehen durch
förmliche Aufnahme (Reception) in die Körperſchaft und gibt daher
auch das Recht des Miteigenthums am Vermögen. Die unvoll-
ſtändige dagegen tritt oft durch den bloßen Aufenthalt, oft erſt durch
die Niederlaſſung, oft erſt durch längere Dauer deſſelben ein.
Und ſo entſtehen hier die Grade, Stufen, oder Claſſen der Angehörig-
keit, denen wir ſogleich wieder begegnen werden. Das zweite Princip
iſt, daß auch jetzt noch bei dem Mangel der eigentlichen Verwaltung
die Angehörigkeit anfänglich nur als gerichtliche Competenz und Zu-
ſtändigkeit erſcheint, während jedes jener Syſteme eine andere Geſtalt
der innern Organiſation hat. Die Anerkennung eines ſolchen ſtän-
diſchen Körpers geſchieht daher durch Zuſprechung der Jurisdiction, welche
aber in der That nur die Anerkennung der Selbſtverwaltung
iſt, für welche die Jurisdiction nur die Form abgibt. Der Streit
zwiſchen den verſchiedenen Körpern tritt aus demſelben Grunde ſtets
als Streit in der Gerichtsbarkeit auf, und der Begriff Juris-
diction und Gerichtsbarkeit bedeutet daher in dieſer Zeit eben jene
Selbſtändigkeit der Verwaltung. Daraus folgt dann weiter, daß
in dieſer Epoche die Organiſation der Gerichtsverfaſſung die eigent-
lich adminiſtrative Organiſation iſt, und daß die Gerichte zu ver-
walten haben. Und da nun endlich dieſe gerichtliche Competenz und
Zuſtändigkeit als forum und domicilium in der römiſchen Jurisprudenz
zur rein bürgerlich rechtlichen Theorie ward, ſo ging auch theoretiſch
die ganze Lehre von Competenz, Zuſtändigkeit, Bürgerrecht und Hei-
mathsweſen in den proceſſualen Begriffen von forum und domicilium
unter, ſo daß namentlich die deutſche Wiſſenſchaft während dieſer ganzen
Epoche zu keinem Begriff von Bürgerrecht und Heimathsrecht gelangte.
Das hatte zur Folge, daß man ſeit jener Zeit das wiſſenſchaftliche Be-
wußtſein des organiſchen Zuſammenhangs von Competenz und
Gemeindeangehörigkeit verlor, das man auch in neueſter Zeit noch nicht
wieder gefunden hat, indem man das Heimathsrecht als etwas ganz
Geſchiedenes behandelt. — Von dieſer Grundlage aus müſſen nun die
drei Syſteme der ſtändiſchen Angehörigkeit betrachtet werden.
Das Syſtem der Angehörigkeit an den eigentlichen und reinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/338>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.