amtliche Competenz und Zuständigkeit in Finanz- und In- nerer Verwaltung. Seine Competenz und Zuständigkeit beschränkt sich auf die gerichtliche. Diese aber ist wieder von der continentalen dadurch verschieden, daß sie sich nicht etwa bloß auf die Rechtsverhält- nisse bezieht, welche zwischen den Einzelnen vorkommen, sondern sie umfaßt eben so sehr die Selbstverwaltungskörper in Beziehung auf ihre Verwaltungsthätigkeit. Das Recht des auf diese Weise die Voll- ziehung des Staatswillens ordnenden Organismus der Gerichte beruht mithin darauf, daß der letztere nur das Gesetz zur Ausführung bringt, wie das bürgerliche und Strafgericht auf dem Continent. Eine Competenz und Zuständigkeit der Staatsdiener für Verordnungen im Sinne des Continents gibt es nicht; nur der Richter darf im Namen des Gesetzes Gehorsam fordern. Die administrative Ordnung der Bevölkerung ist daher in Beziehung auf die amtliche Verwaltung mit wenigen Ausnahmen eine rein gerichtliche.
Dem nun entspricht der zweite Grundsatz, daß, da die amtliche Verwaltung die Verwaltungsaufgaben nicht vollzieht, sondern die Selbst- verwaltungskörper dieselbe unter gerichtlicher Haftung zu vollziehen haben, die Ordnung der Bevölkerung in Beziehung auf die innere Verwaltung in der Ordnung der Selbstverwaltungskörper gegeben ist. Auf dem Continent ist nun die Grundform der letzteren, wie wir früher gezeigt haben, die Ortsgemeinde. Es ist daher leicht erklärlich, daß man sich die englische Selbstverwaltung als ein System von Orts- gemeinden gedacht hat, und daher geneigt ist, auf die englische Selbst- verwaltung den Begriff der Gemeindeangehörigkeit und des Gemeinde- bürgerrechts des Continents anzuwenden. Und darin liegt der Grund fast aller Unklarheit über die Verhältnisse der englischen Selbstverwaltung.
In der That muß man sich daran gewöhnen, den Begriff, das Recht und die Bedeutung der Ortsgemeinde in England als ganz untergeordnet zu betrachten, und sich daher vor der Anwendung des Begriffs der continentalen Gemeindeangehörigkeit auf englische Verhält- nisse zu hüten. Wir haben schon im ersten Band gezeigt, daß man an die Stelle des ersteren in England Begriff, Recht und Gestalt der Verwaltungsgemeinde zu setzen hat. Das Wesen der Orts- gemeinde, auf dem ganzen Continent, historisch begründet, besteht nämlich darin, daß sie die Gesammtheit aller Aufgaben der Ver- waltung innerhalb ihrer örtlichen Gränzen zu verwalten hat. Die englische Verwaltungsgemeinde ist dagegen die, für einen bestimmten Verwaltungszweck vereinigte, und innerhalb ihrer örtlichen Gränzen für die Erfüllung dieser gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben haftende Genossenschaft. Das Wesen der englischen Verwaltungsgemeinde
Stein, die Verwaltungslehre. II. 19
amtliche Competenz und Zuſtändigkeit in Finanz- und In- nerer Verwaltung. Seine Competenz und Zuſtändigkeit beſchränkt ſich auf die gerichtliche. Dieſe aber iſt wieder von der continentalen dadurch verſchieden, daß ſie ſich nicht etwa bloß auf die Rechtsverhält- niſſe bezieht, welche zwiſchen den Einzelnen vorkommen, ſondern ſie umfaßt eben ſo ſehr die Selbſtverwaltungskörper in Beziehung auf ihre Verwaltungsthätigkeit. Das Recht des auf dieſe Weiſe die Voll- ziehung des Staatswillens ordnenden Organismus der Gerichte beruht mithin darauf, daß der letztere nur das Geſetz zur Ausführung bringt, wie das bürgerliche und Strafgericht auf dem Continent. Eine Competenz und Zuſtändigkeit der Staatsdiener für Verordnungen im Sinne des Continents gibt es nicht; nur der Richter darf im Namen des Geſetzes Gehorſam fordern. Die adminiſtrative Ordnung der Bevölkerung iſt daher in Beziehung auf die amtliche Verwaltung mit wenigen Ausnahmen eine rein gerichtliche.
Dem nun entſpricht der zweite Grundſatz, daß, da die amtliche Verwaltung die Verwaltungsaufgaben nicht vollzieht, ſondern die Selbſt- verwaltungskörper dieſelbe unter gerichtlicher Haftung zu vollziehen haben, die Ordnung der Bevölkerung in Beziehung auf die innere Verwaltung in der Ordnung der Selbſtverwaltungskörper gegeben iſt. Auf dem Continent iſt nun die Grundform der letzteren, wie wir früher gezeigt haben, die Ortsgemeinde. Es iſt daher leicht erklärlich, daß man ſich die engliſche Selbſtverwaltung als ein Syſtem von Orts- gemeinden gedacht hat, und daher geneigt iſt, auf die engliſche Selbſt- verwaltung den Begriff der Gemeindeangehörigkeit und des Gemeinde- bürgerrechts des Continents anzuwenden. Und darin liegt der Grund faſt aller Unklarheit über die Verhältniſſe der engliſchen Selbſtverwaltung.
In der That muß man ſich daran gewöhnen, den Begriff, das Recht und die Bedeutung der Ortsgemeinde in England als ganz untergeordnet zu betrachten, und ſich daher vor der Anwendung des Begriffs der continentalen Gemeindeangehörigkeit auf engliſche Verhält- niſſe zu hüten. Wir haben ſchon im erſten Band gezeigt, daß man an die Stelle des erſteren in England Begriff, Recht und Geſtalt der Verwaltungsgemeinde zu ſetzen hat. Das Weſen der Orts- gemeinde, auf dem ganzen Continent, hiſtoriſch begründet, beſteht nämlich darin, daß ſie die Geſammtheit aller Aufgaben der Ver- waltung innerhalb ihrer örtlichen Gränzen zu verwalten hat. Die engliſche Verwaltungsgemeinde iſt dagegen die, für einen beſtimmten Verwaltungszweck vereinigte, und innerhalb ihrer örtlichen Gränzen für die Erfüllung dieſer geſetzlich vorgeſchriebenen Aufgaben haftende Genoſſenſchaft. Das Weſen der engliſchen Verwaltungsgemeinde
Stein, die Verwaltungslehre. II. 19
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amtliche Competenz und Zuſtändigkeit in Finanz- und In-
nerer Verwaltung. Seine Competenz und Zuſtändigkeit beſchränkt
ſich auf die gerichtliche. Dieſe aber iſt wieder von der continentalen
dadurch verſchieden, daß ſie ſich nicht etwa bloß auf die Rechtsverhält-
niſſe bezieht, welche zwiſchen den Einzelnen vorkommen, ſondern ſie
umfaßt eben ſo ſehr die Selbſtverwaltungskörper in Beziehung auf
ihre Verwaltungsthätigkeit. Das Recht des auf dieſe Weiſe die Voll-
ziehung des Staatswillens ordnenden Organismus der Gerichte beruht
mithin darauf, daß der letztere nur das Geſetz zur Ausführung
bringt, wie das bürgerliche und Strafgericht auf dem Continent. Eine
Competenz und Zuſtändigkeit der Staatsdiener für Verordnungen
im Sinne des Continents gibt es nicht; nur der Richter darf im
Namen des Geſetzes Gehorſam fordern. Die adminiſtrative Ordnung
der Bevölkerung iſt daher in Beziehung auf die amtliche Verwaltung
mit wenigen Ausnahmen eine rein gerichtliche.
Dem nun entſpricht der zweite Grundſatz, daß, da die amtliche
Verwaltung die Verwaltungsaufgaben nicht vollzieht, ſondern die Selbſt-
verwaltungskörper dieſelbe unter gerichtlicher Haftung zu vollziehen haben,
die Ordnung der Bevölkerung in Beziehung auf die innere Verwaltung
in der Ordnung der Selbſtverwaltungskörper gegeben iſt.
Auf dem Continent iſt nun die Grundform der letzteren, wie wir früher
gezeigt haben, die Ortsgemeinde. Es iſt daher leicht erklärlich, daß
man ſich die engliſche Selbſtverwaltung als ein Syſtem von Orts-
gemeinden gedacht hat, und daher geneigt iſt, auf die engliſche Selbſt-
verwaltung den Begriff der Gemeindeangehörigkeit und des Gemeinde-
bürgerrechts des Continents anzuwenden. Und darin liegt der Grund
faſt aller Unklarheit über die Verhältniſſe der engliſchen Selbſtverwaltung.
In der That muß man ſich daran gewöhnen, den Begriff, das
Recht und die Bedeutung der Ortsgemeinde in England als ganz
untergeordnet zu betrachten, und ſich daher vor der Anwendung des
Begriffs der continentalen Gemeindeangehörigkeit auf engliſche Verhält-
niſſe zu hüten. Wir haben ſchon im erſten Band gezeigt, daß man
an die Stelle des erſteren in England Begriff, Recht und Geſtalt der
Verwaltungsgemeinde zu ſetzen hat. Das Weſen der Orts-
gemeinde, auf dem ganzen Continent, hiſtoriſch begründet, beſteht
nämlich darin, daß ſie die Geſammtheit aller Aufgaben der Ver-
waltung innerhalb ihrer örtlichen Gränzen zu verwalten hat. Die
engliſche Verwaltungsgemeinde iſt dagegen die, für einen beſtimmten
Verwaltungszweck vereinigte, und innerhalb ihrer örtlichen Gränzen
für die Erfüllung dieſer geſetzlich vorgeſchriebenen Aufgaben haftende
Genoſſenſchaft. Das Weſen der engliſchen Verwaltungsgemeinde
Stein, die Verwaltungslehre. II. 19
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/311>, abgerufen am 16.02.2025.
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