allgemeine Grundsatz wird noch von Fischer (Polizeirecht I. §. 587) als geltend erkannt (1785). Erst das allgemeine Landrecht Th. II. 17. 127--141 hat den Grundsatz der Freiheit der Auswanderung auf- gestellt; und obgleich dieß Princip durch Edikt vom 2. Juli 1812 auf- gehoben wurde, ist es durch Gesetz vom 15. September 1818 in seinem vollen Umfang wieder eingeführt. Die Quellen für die Gesetzgebung der übrigen deutschen Staaten im 18. Jahrhundert gehen uns ab; gewiß werden manche unserer Leser hier interessante Beiträge nachtragen können. Mit diesen Gesetzen nun trat, namentlich gegen das Ende des Jahr- hunderts, die Theorie in lebhaften Gegensatz, und sie hat nicht wenig dazu beigetragen, die Freiheit auch auf diesem Gebiete vorzubereiten.
Der erste, der eine vollständige Theorie der Auswanderung auf- stellt, ist Justi (II. Bd. IX. Hauptst. 2. Abschn.) "Von denen Maßregeln wider die Auswanderung und Ausführung der Unterthanen." Trotz seiner Ansicht, daß jeder Staat die Auswanderung verhindern solle, steht dieser bedeutende Mann doch auf einem viel freieren Standpunkt als die Gesetzgebung seiner Zeit. Er erkennt drei Ursachen der Aus- wanderung: üble Beschaffenheit der Regierung, Mangel an Gewissens- freiheit, und erst in dritter Reihe Mangel an Nahrung im Lande. Nun kann man "dem Staate nicht gänzlich das Recht absprechen, die Auswanderung zu verbieten" -- aber es ist "nicht rathsam, sich dieses Mittels zu bedienen." "So lange ein Staat," sagt er (§. 309), "die Ursache von der Auswanderung seiner Unterthanen nicht hebet, so wird er sich vergeblich bemühen, sie davon abzuhalten." In gleicher Weise spricht er sich über das Abzugsgeld aus: "Eben so wenig ist es rath- sam, die Unterthanen durch ein hohes Abzugsgeld von der Auswan- derung abzuhalten" (§. 305). In ähnlicher freier Weise faßt auch Süßmilch die Frage auf, wenn auch unbestimmter (1. Bd. Cap. 14), wie denn Süßmilch überhaupt bei viel größern Kenntnissen viel weniger Charakter als Justi besitzt (Verfass. §. 276). Auf einen viel höheren Standpunkt steht der treffliche Berg, ein Mann, dessen Leistungen so wenig wie seine Gesinnungen gehörig gewürdigt sind. Allerdings meint er, daß "kein Staat schuldig sei, Personen, welche die Einwohner zum Auswandern verleiten, zu dulden," allein "durch Strafverbote und andere Zwangsmittel dürfe das Auswandern nicht verhindert werden." Er stellt vielmehr ausdrücklich den Grundsatz auf: "der freie deutsche Unterthan ist nicht an die Erde gebunden, die er bewohnt, und keine Polizeigewalt ist berechtigt, ihn wider seinen Willen zurückzuhalten" (S. 51). Wir führen diesen Ausspruch mit Stolz an, denn er beweist uns, daß die deutsche Wissenschaft auch in dieser Beziehung schon damals mindestens eben so hoch stand als die
allgemeine Grundſatz wird noch von Fiſcher (Polizeirecht I. §. 587) als geltend erkannt (1785). Erſt das allgemeine Landrecht Th. II. 17. 127—141 hat den Grundſatz der Freiheit der Auswanderung auf- geſtellt; und obgleich dieß Princip durch Edikt vom 2. Juli 1812 auf- gehoben wurde, iſt es durch Geſetz vom 15. September 1818 in ſeinem vollen Umfang wieder eingeführt. Die Quellen für die Geſetzgebung der übrigen deutſchen Staaten im 18. Jahrhundert gehen uns ab; gewiß werden manche unſerer Leſer hier intereſſante Beiträge nachtragen können. Mit dieſen Geſetzen nun trat, namentlich gegen das Ende des Jahr- hunderts, die Theorie in lebhaften Gegenſatz, und ſie hat nicht wenig dazu beigetragen, die Freiheit auch auf dieſem Gebiete vorzubereiten.
Der erſte, der eine vollſtändige Theorie der Auswanderung auf- ſtellt, iſt Juſti (II. Bd. IX. Hauptſt. 2. Abſchn.) „Von denen Maßregeln wider die Auswanderung und Ausführung der Unterthanen.“ Trotz ſeiner Anſicht, daß jeder Staat die Auswanderung verhindern ſolle, ſteht dieſer bedeutende Mann doch auf einem viel freieren Standpunkt als die Geſetzgebung ſeiner Zeit. Er erkennt drei Urſachen der Aus- wanderung: üble Beſchaffenheit der Regierung, Mangel an Gewiſſens- freiheit, und erſt in dritter Reihe Mangel an Nahrung im Lande. Nun kann man „dem Staate nicht gänzlich das Recht abſprechen, die Auswanderung zu verbieten“ — aber es iſt „nicht rathſam, ſich dieſes Mittels zu bedienen.“ „So lange ein Staat,“ ſagt er (§. 309), „die Urſache von der Auswanderung ſeiner Unterthanen nicht hebet, ſo wird er ſich vergeblich bemühen, ſie davon abzuhalten.“ In gleicher Weiſe ſpricht er ſich über das Abzugsgeld aus: „Eben ſo wenig iſt es rath- ſam, die Unterthanen durch ein hohes Abzugsgeld von der Auswan- derung abzuhalten“ (§. 305). In ähnlicher freier Weiſe faßt auch Süßmilch die Frage auf, wenn auch unbeſtimmter (1. Bd. Cap. 14), wie denn Süßmilch überhaupt bei viel größern Kenntniſſen viel weniger Charakter als Juſti beſitzt (Verfaſſ. §. 276). Auf einen viel höheren Standpunkt ſteht der treffliche Berg, ein Mann, deſſen Leiſtungen ſo wenig wie ſeine Geſinnungen gehörig gewürdigt ſind. Allerdings meint er, daß „kein Staat ſchuldig ſei, Perſonen, welche die Einwohner zum Auswandern verleiten, zu dulden,“ allein „durch Strafverbote und andere Zwangsmittel dürfe das Auswandern nicht verhindert werden.“ Er ſtellt vielmehr ausdrücklich den Grundſatz auf: „der freie deutſche Unterthan iſt nicht an die Erde gebunden, die er bewohnt, und keine Polizeigewalt iſt berechtigt, ihn wider ſeinen Willen zurückzuhalten“ (S. 51). Wir führen dieſen Ausſpruch mit Stolz an, denn er beweist uns, daß die deutſche Wiſſenſchaft auch in dieſer Beziehung ſchon damals mindeſtens eben ſo hoch ſtand als die
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127—141 hat den Grundſatz der Freiheit der Auswanderung auf-
geſtellt; und obgleich dieß Princip durch Edikt vom 2. Juli 1812 auf-
gehoben wurde, iſt es durch Geſetz vom 15. September 1818 in ſeinem
vollen Umfang wieder eingeführt. Die Quellen für die Geſetzgebung
der übrigen deutſchen Staaten im 18. Jahrhundert gehen uns ab; gewiß
werden manche unſerer Leſer hier intereſſante Beiträge nachtragen können.
Mit dieſen Geſetzen nun trat, namentlich gegen das Ende des Jahr-
hunderts, die Theorie in lebhaften Gegenſatz, und ſie hat nicht wenig
dazu beigetragen, die Freiheit auch auf dieſem Gebiete vorzubereiten.
Der erſte, der eine vollſtändige Theorie der Auswanderung auf-
ſtellt, iſt Juſti (II. Bd. IX. Hauptſt. 2. Abſchn.) „Von denen Maßregeln
wider die Auswanderung und Ausführung der Unterthanen.“ Trotz
ſeiner Anſicht, daß jeder Staat die Auswanderung verhindern ſolle,
ſteht dieſer bedeutende Mann doch auf einem viel freieren Standpunkt
als die Geſetzgebung ſeiner Zeit. Er erkennt drei Urſachen der Aus-
wanderung: üble Beſchaffenheit der Regierung, Mangel an Gewiſſens-
freiheit, und erſt in dritter Reihe Mangel an Nahrung im Lande.
Nun kann man „dem Staate nicht gänzlich das Recht abſprechen, die
Auswanderung zu verbieten“ — aber es iſt „nicht rathſam, ſich dieſes
Mittels zu bedienen.“ „So lange ein Staat,“ ſagt er (§. 309), „die
Urſache von der Auswanderung ſeiner Unterthanen nicht hebet, ſo wird
er ſich vergeblich bemühen, ſie davon abzuhalten.“ In gleicher Weiſe
ſpricht er ſich über das Abzugsgeld aus: „Eben ſo wenig iſt es rath-
ſam, die Unterthanen durch ein hohes Abzugsgeld von der Auswan-
derung abzuhalten“ (§. 305). In ähnlicher freier Weiſe faßt auch
Süßmilch die Frage auf, wenn auch unbeſtimmter (1. Bd. Cap. 14),
wie denn Süßmilch überhaupt bei viel größern Kenntniſſen viel weniger
Charakter als Juſti beſitzt (Verfaſſ. §. 276). Auf einen viel höheren
Standpunkt ſteht der treffliche Berg, ein Mann, deſſen Leiſtungen ſo
wenig wie ſeine Geſinnungen gehörig gewürdigt ſind. Allerdings meint
er, daß „kein Staat ſchuldig ſei, Perſonen, welche die Einwohner zum
Auswandern verleiten, zu dulden,“ allein „durch Strafverbote und
andere Zwangsmittel dürfe das Auswandern nicht verhindert werden.“
Er ſtellt vielmehr ausdrücklich den Grundſatz auf: „der freie deutſche
Unterthan iſt nicht an die Erde gebunden, die er bewohnt,
und keine Polizeigewalt iſt berechtigt, ihn wider ſeinen
Willen zurückzuhalten“ (S. 51). Wir führen dieſen Ausſpruch
mit Stolz an, denn er beweist uns, daß die deutſche Wiſſenſchaft auch
in dieſer Beziehung ſchon damals mindeſtens eben ſo hoch ſtand als die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/221>, abgerufen am 27.07.2024.
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