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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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französische Auffassung, die sich namentlich bei der Berathung über das
Emigrantengesetz zwar in ihrer Energie, aber auch in ihrer Einseitigkeit
zeigte (Thiers, Histoire de le Revolution I. p. 186 sq.). Die deutsche
Rechtswissenschaft übrigens hatte diesem Satze bereits vorgearbeitet;
Berg sagt: "Dieß Recht ist durch das allgemeine deutsche Herkommen
anerkannt und durch reichsgerichtliche Erkenntniß außer Zweifel gesetzt."
Nach Faber (Staatskanzlei Thl. 49, S. 463) erklärte der deutsche
Reichshofrath, "es laufe wider die teutsche Freiheit, den Unterthanen
das jus emigrandi zu entziehen;" die früheren Ansichten, die gegenüber
den damaligen polizeilichen Verboten dieß Recht vom juristischen Stand-
punkt vertraten, hat Wiesand (de limitibus, quibus facultas domi-
cilii circumscribitur
1791) gesammelt. (Vgl. Berg a. a. O. S. 52.)
In Württemberg bestand das im Tübinger Vertrag festgesetzte Recht
der freien Auswanderung bis zur Regierung König Friedrichs, wo es
erst durch die Verordnung vom 21. Juni 1811 aufgehoben wurde
(Mohl, württemb. Verfassungsrecht S. 388). Es ist daher gewiß und
darf nicht vergessen werden, daß Deutschlands Wissenschaft damals in
der freien Auffassung des Auswanderungsrechts viel höher stand, als
England, wo nach Roscher noch im im Jahre 1744 J. Tucker in
seinen Four tracts (p. 226) das gesetzliche Verbot der Auswanderung von
Arbeitern billigte. Im Gegentheil leidet es keinen Zweifel, daß es die
deutsche Rechts- und Staatswissenschaft ist, welche die populationistischen
Auswanderungsverbote gebrochen und das Princip der freien Aus-
wanderung
zum Siege geführt hat, das die Grundlage des heutigen
Auswanderungsrechts bildet, und zu dem wir jetzt übergehen können.

Was nun, um auch diese Seite nicht zu übergehen, die äußere
Colonisation als Anlegung von überseeischen Colonien unter Mitwirkung
der Regierung betrifft, so glauben wir an diesem Orte dieselbe mit
Einer Bemerkung erledigen zu können. Obwohl sie natürlich theils in
der Form der Auswanderung, theils in der der Einwanderung (Herbei-
ziehen fremder Colonisten) geschieht, so hat sie von Anfang an mit dem
Bevölkerungswesen gar nichts zu thun, sondern ist lediglich aufgefaßt
als eine Maßregel zur Förderung der Volkswirthschaft, speciell des aus-
wärtigen Handels und der Schiffahrt, wenn auch Rau diese Seite
gänzlich übersieht, und Roscher sie nicht genügend hervorhebt. Sie
bildet in diesem Sinne ein eigenes Gebiet, das auf eigenthümlichen
Gründen beruht, und daher auch mit Recht den eignen Namen der
Colonialpolitik führt. Die verschiedene Gestalt, die bewegenden
Gründe und die Geschichte derselben hat Roscher in seinem Werke
ziemlich genau dargestellt. Wir werden nur auf Einem Punkte auf
dieselbe zurückkommen.

franzöſiſche Auffaſſung, die ſich namentlich bei der Berathung über das
Emigrantengeſetz zwar in ihrer Energie, aber auch in ihrer Einſeitigkeit
zeigte (Thiers, Histoire de le Révolution I. p. 186 sq.). Die deutſche
Rechtswiſſenſchaft übrigens hatte dieſem Satze bereits vorgearbeitet;
Berg ſagt: „Dieß Recht iſt durch das allgemeine deutſche Herkommen
anerkannt und durch reichsgerichtliche Erkenntniß außer Zweifel geſetzt.“
Nach Faber (Staatskanzlei Thl. 49, S. 463) erklärte der deutſche
Reichshofrath, „es laufe wider die teutſche Freiheit, den Unterthanen
das jus emigrandi zu entziehen;“ die früheren Anſichten, die gegenüber
den damaligen polizeilichen Verboten dieß Recht vom juriſtiſchen Stand-
punkt vertraten, hat Wieſand (de limitibus, quibus facultas domi-
cilii circumscribitur
1791) geſammelt. (Vgl. Berg a. a. O. S. 52.)
In Württemberg beſtand das im Tübinger Vertrag feſtgeſetzte Recht
der freien Auswanderung bis zur Regierung König Friedrichs, wo es
erſt durch die Verordnung vom 21. Juni 1811 aufgehoben wurde
(Mohl, württemb. Verfaſſungsrecht S. 388). Es iſt daher gewiß und
darf nicht vergeſſen werden, daß Deutſchlands Wiſſenſchaft damals in
der freien Auffaſſung des Auswanderungsrechts viel höher ſtand, als
England, wo nach Roſcher noch im im Jahre 1744 J. Tucker in
ſeinen Four tracts (p. 226) das geſetzliche Verbot der Auswanderung von
Arbeitern billigte. Im Gegentheil leidet es keinen Zweifel, daß es die
deutſche Rechts- und Staatswiſſenſchaft iſt, welche die populationiſtiſchen
Auswanderungsverbote gebrochen und das Princip der freien Aus-
wanderung
zum Siege geführt hat, das die Grundlage des heutigen
Auswanderungsrechts bildet, und zu dem wir jetzt übergehen können.

Was nun, um auch dieſe Seite nicht zu übergehen, die äußere
Coloniſation als Anlegung von überſeeiſchen Colonien unter Mitwirkung
der Regierung betrifft, ſo glauben wir an dieſem Orte dieſelbe mit
Einer Bemerkung erledigen zu können. Obwohl ſie natürlich theils in
der Form der Auswanderung, theils in der der Einwanderung (Herbei-
ziehen fremder Coloniſten) geſchieht, ſo hat ſie von Anfang an mit dem
Bevölkerungsweſen gar nichts zu thun, ſondern iſt lediglich aufgefaßt
als eine Maßregel zur Förderung der Volkswirthſchaft, ſpeciell des aus-
wärtigen Handels und der Schiffahrt, wenn auch Rau dieſe Seite
gänzlich überſieht, und Roſcher ſie nicht genügend hervorhebt. Sie
bildet in dieſem Sinne ein eigenes Gebiet, das auf eigenthümlichen
Gründen beruht, und daher auch mit Recht den eignen Namen der
Colonialpolitik führt. Die verſchiedene Geſtalt, die bewegenden
Gründe und die Geſchichte derſelben hat Roſcher in ſeinem Werke
ziemlich genau dargeſtellt. Wir werden nur auf Einem Punkte auf
dieſelbe zurückkommen.

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[200/0222] franzöſiſche Auffaſſung, die ſich namentlich bei der Berathung über das Emigrantengeſetz zwar in ihrer Energie, aber auch in ihrer Einſeitigkeit zeigte (Thiers, Histoire de le Révolution I. p. 186 sq.). Die deutſche Rechtswiſſenſchaft übrigens hatte dieſem Satze bereits vorgearbeitet; Berg ſagt: „Dieß Recht iſt durch das allgemeine deutſche Herkommen anerkannt und durch reichsgerichtliche Erkenntniß außer Zweifel geſetzt.“ Nach Faber (Staatskanzlei Thl. 49, S. 463) erklärte der deutſche Reichshofrath, „es laufe wider die teutſche Freiheit, den Unterthanen das jus emigrandi zu entziehen;“ die früheren Anſichten, die gegenüber den damaligen polizeilichen Verboten dieß Recht vom juriſtiſchen Stand- punkt vertraten, hat Wieſand (de limitibus, quibus facultas domi- cilii circumscribitur 1791) geſammelt. (Vgl. Berg a. a. O. S. 52.) In Württemberg beſtand das im Tübinger Vertrag feſtgeſetzte Recht der freien Auswanderung bis zur Regierung König Friedrichs, wo es erſt durch die Verordnung vom 21. Juni 1811 aufgehoben wurde (Mohl, württemb. Verfaſſungsrecht S. 388). Es iſt daher gewiß und darf nicht vergeſſen werden, daß Deutſchlands Wiſſenſchaft damals in der freien Auffaſſung des Auswanderungsrechts viel höher ſtand, als England, wo nach Roſcher noch im im Jahre 1744 J. Tucker in ſeinen Four tracts (p. 226) das geſetzliche Verbot der Auswanderung von Arbeitern billigte. Im Gegentheil leidet es keinen Zweifel, daß es die deutſche Rechts- und Staatswiſſenſchaft iſt, welche die populationiſtiſchen Auswanderungsverbote gebrochen und das Princip der freien Aus- wanderung zum Siege geführt hat, das die Grundlage des heutigen Auswanderungsrechts bildet, und zu dem wir jetzt übergehen können. Was nun, um auch dieſe Seite nicht zu übergehen, die äußere Coloniſation als Anlegung von überſeeiſchen Colonien unter Mitwirkung der Regierung betrifft, ſo glauben wir an dieſem Orte dieſelbe mit Einer Bemerkung erledigen zu können. Obwohl ſie natürlich theils in der Form der Auswanderung, theils in der der Einwanderung (Herbei- ziehen fremder Coloniſten) geſchieht, ſo hat ſie von Anfang an mit dem Bevölkerungsweſen gar nichts zu thun, ſondern iſt lediglich aufgefaßt als eine Maßregel zur Förderung der Volkswirthſchaft, ſpeciell des aus- wärtigen Handels und der Schiffahrt, wenn auch Rau dieſe Seite gänzlich überſieht, und Roſcher ſie nicht genügend hervorhebt. Sie bildet in dieſem Sinne ein eigenes Gebiet, das auf eigenthümlichen Gründen beruht, und daher auch mit Recht den eignen Namen der Colonialpolitik führt. Die verſchiedene Geſtalt, die bewegenden Gründe und die Geſchichte derſelben hat Roſcher in ſeinem Werke ziemlich genau dargeſtellt. Wir werden nur auf Einem Punkte auf dieſelbe zurückkommen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/222>, abgerufen am 24.11.2024.