lebendig erhielt. Und daraus entstand nun, wenn auch nicht klar for- mulirt, so doch im allgemeinen Gange der Dinge begründet, eine Um- gestaltung der Auffassung des öffentlichen Rechts in Beziehung auf die Gesetzgebung. Die königliche Gewalt nahm den Satz auf, daß die Theilnahme des Volkes an der Bildung des Staatswillens mehr eine Sache der Zweckmäßigkeit als des Rechts sei, und daß der Wille der Vertretungen daher für das Königthum nicht als Beschluß, sondern nur als Berathung gelte, deren sich das letztere auch entschlagen könne. Das Wesen und Recht des Staatswillens, also des Gesetzes, beruhe nicht auf der Zustimmung des Volkes in seiner Vertretung, son- dern in der höchsten Gewalt des Staats, dem von Gott eingesetzten Königthum; sein Wille sei der Staatswille. Oder wie wir es jetzt aus- drücken können, nachdem die Thätigkeit der Gesetzgebung verschwunden, verschwand jetzt auch Begriff und Recht des Gesetzes, und damit der Unterschied desselben von der Verordnung. Die Verordnungsgewalt nahm das Recht der gesetzgebenden Gewalt für sich in Anspruch; sie machte zum obersten Grundsatz alles öffentlichen Rechts, daß der persön- liche Wille des Königs die Quelle der Gültigkeit jedes Rechts, oder daß jede Verordnung ein Gesetz sei. Das ist das Princip welches im sechzehnten Jahrhundert den Kern der staatsrechtlichen Auffassung bildet, und das ihm siebenzehnten Jahrhundert seinen Kampf zu bestehen hat, um im achtzehnten definitiv zu siegen, und im neunzehnten dem freieren Rechte unsrer Gegenwart Raum zu geben.
Es ist daher charakteristisch, daß wir auch in dieser Zeit die Aus- drücke von Gesetz und Verordnung theils gar nicht, theils nur in sehr ungenauer Anwendung finden. Es wird die Aufgabe der künftigen Geschichtschreibung sein, die Bedeutung und das Recht des "Landes- rechts," der "Ordnungen," der "ordonnance," des "law" genauer zu be- stimmen. Sie sind von großer Wichtigkeit für diesen Theil der neuern Geschichte. Denn schon mit dem Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts tritt ein neuer Faktor auf, der ganz entscheidend zu wirken bestimmt ist.
Das ist die Nothwendigkeit für das Königthum, Steuern zu ver- langen. Die Steuer ist damals nicht bloß das was sie jetzt ist, sie ist mehr. Sie ist ein Eingriff in das Recht des ständischen Besitzes. Die Steuerforderung erscheint daher als ein Widerspruch mit dem Privat- recht, dem Recht auf das Eigenthum. Das Privatrecht aber, das ständische wie das bürgerliche, hatte sich, wie erwähnt, wenigstens prin- cipiell noch immer dem Verordnungsrecht entzogen. Die Pflicht zur Steuer konnte nicht auf dem einseitigen Willen der höchsten Gewalt beruhen, so wenig wie das Eigenthumsrecht. Dennoch mußten Steuern sein. Es blieb daher nichts übrig, als sie auf den Willen der Volks-
lebendig erhielt. Und daraus entſtand nun, wenn auch nicht klar for- mulirt, ſo doch im allgemeinen Gange der Dinge begründet, eine Um- geſtaltung der Auffaſſung des öffentlichen Rechts in Beziehung auf die Geſetzgebung. Die königliche Gewalt nahm den Satz auf, daß die Theilnahme des Volkes an der Bildung des Staatswillens mehr eine Sache der Zweckmäßigkeit als des Rechts ſei, und daß der Wille der Vertretungen daher für das Königthum nicht als Beſchluß, ſondern nur als Berathung gelte, deren ſich das letztere auch entſchlagen könne. Das Weſen und Recht des Staatswillens, alſo des Geſetzes, beruhe nicht auf der Zuſtimmung des Volkes in ſeiner Vertretung, ſon- dern in der höchſten Gewalt des Staats, dem von Gott eingeſetzten Königthum; ſein Wille ſei der Staatswille. Oder wie wir es jetzt aus- drücken können, nachdem die Thätigkeit der Geſetzgebung verſchwunden, verſchwand jetzt auch Begriff und Recht des Geſetzes, und damit der Unterſchied deſſelben von der Verordnung. Die Verordnungsgewalt nahm das Recht der geſetzgebenden Gewalt für ſich in Anſpruch; ſie machte zum oberſten Grundſatz alles öffentlichen Rechts, daß der perſön- liche Wille des Königs die Quelle der Gültigkeit jedes Rechts, oder daß jede Verordnung ein Geſetz ſei. Das iſt das Princip welches im ſechzehnten Jahrhundert den Kern der ſtaatsrechtlichen Auffaſſung bildet, und das ihm ſiebenzehnten Jahrhundert ſeinen Kampf zu beſtehen hat, um im achtzehnten definitiv zu ſiegen, und im neunzehnten dem freieren Rechte unſrer Gegenwart Raum zu geben.
Es iſt daher charakteriſtiſch, daß wir auch in dieſer Zeit die Aus- drücke von Geſetz und Verordnung theils gar nicht, theils nur in ſehr ungenauer Anwendung finden. Es wird die Aufgabe der künftigen Geſchichtſchreibung ſein, die Bedeutung und das Recht des „Landes- rechts,“ der „Ordnungen,“ der „ordonnance,“ des „law“ genauer zu be- ſtimmen. Sie ſind von großer Wichtigkeit für dieſen Theil der neuern Geſchichte. Denn ſchon mit dem Anfange des ſiebenzehnten Jahrhunderts tritt ein neuer Faktor auf, der ganz entſcheidend zu wirken beſtimmt iſt.
Das iſt die Nothwendigkeit für das Königthum, Steuern zu ver- langen. Die Steuer iſt damals nicht bloß das was ſie jetzt iſt, ſie iſt mehr. Sie iſt ein Eingriff in das Recht des ſtändiſchen Beſitzes. Die Steuerforderung erſcheint daher als ein Widerſpruch mit dem Privat- recht, dem Recht auf das Eigenthum. Das Privatrecht aber, das ſtändiſche wie das bürgerliche, hatte ſich, wie erwähnt, wenigſtens prin- cipiell noch immer dem Verordnungsrecht entzogen. Die Pflicht zur Steuer konnte nicht auf dem einſeitigen Willen der höchſten Gewalt beruhen, ſo wenig wie das Eigenthumsrecht. Dennoch mußten Steuern ſein. Es blieb daher nichts übrig, als ſie auf den Willen der Volks-
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lebendig erhielt. Und daraus entſtand nun, wenn auch nicht klar for-
mulirt, ſo doch im allgemeinen Gange der Dinge begründet, eine Um-
geſtaltung der Auffaſſung des öffentlichen Rechts in Beziehung auf die
Geſetzgebung. Die königliche Gewalt nahm den Satz auf, daß die
Theilnahme des Volkes an der Bildung des Staatswillens mehr eine
Sache der Zweckmäßigkeit als des Rechts ſei, und daß der Wille der
Vertretungen daher für das Königthum nicht als Beſchluß, ſondern
nur als Berathung gelte, deren ſich das letztere auch entſchlagen
könne. Das Weſen und Recht des Staatswillens, alſo des Geſetzes,
beruhe nicht auf der Zuſtimmung des Volkes in ſeiner Vertretung, ſon-
dern in der höchſten Gewalt des Staats, dem von Gott eingeſetzten
Königthum; ſein Wille ſei der Staatswille. Oder wie wir es jetzt aus-
drücken können, nachdem die Thätigkeit der Geſetzgebung verſchwunden,
verſchwand jetzt auch Begriff und Recht des Geſetzes, und damit der
Unterſchied deſſelben von der Verordnung. Die Verordnungsgewalt
nahm das Recht der geſetzgebenden Gewalt für ſich in Anſpruch; ſie
machte zum oberſten Grundſatz alles öffentlichen Rechts, daß der perſön-
liche Wille des Königs die Quelle der Gültigkeit jedes Rechts, oder daß
jede Verordnung ein Geſetz ſei. Das iſt das Princip welches im
ſechzehnten Jahrhundert den Kern der ſtaatsrechtlichen Auffaſſung bildet,
und das ihm ſiebenzehnten Jahrhundert ſeinen Kampf zu beſtehen hat,
um im achtzehnten definitiv zu ſiegen, und im neunzehnten dem freieren
Rechte unſrer Gegenwart Raum zu geben.
Es iſt daher charakteriſtiſch, daß wir auch in dieſer Zeit die Aus-
drücke von Geſetz und Verordnung theils gar nicht, theils nur in ſehr
ungenauer Anwendung finden. Es wird die Aufgabe der künftigen
Geſchichtſchreibung ſein, die Bedeutung und das Recht des „Landes-
rechts,“ der „Ordnungen,“ der „ordonnance,“ des „law“ genauer zu be-
ſtimmen. Sie ſind von großer Wichtigkeit für dieſen Theil der neuern
Geſchichte. Denn ſchon mit dem Anfange des ſiebenzehnten Jahrhunderts
tritt ein neuer Faktor auf, der ganz entſcheidend zu wirken beſtimmt iſt.
Das iſt die Nothwendigkeit für das Königthum, Steuern zu ver-
langen. Die Steuer iſt damals nicht bloß das was ſie jetzt iſt, ſie iſt
mehr. Sie iſt ein Eingriff in das Recht des ſtändiſchen Beſitzes. Die
Steuerforderung erſcheint daher als ein Widerſpruch mit dem Privat-
recht, dem Recht auf das Eigenthum. Das Privatrecht aber, das
ſtändiſche wie das bürgerliche, hatte ſich, wie erwähnt, wenigſtens prin-
cipiell noch immer dem Verordnungsrecht entzogen. Die Pflicht zur
Steuer konnte nicht auf dem einſeitigen Willen der höchſten Gewalt
beruhen, ſo wenig wie das Eigenthumsrecht. Dennoch mußten Steuern
ſein. Es blieb daher nichts übrig, als ſie auf den Willen der Volks-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/83>, abgerufen am 27.11.2024.
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