Rechtsbildung an die Verordnungsgewalt war daher auch von dieser Seite nicht möglich. So hielt das germanische Leben an dem Grundsatze fest, daß das Rechtsleben nur durch Zustimmung des Volkes und unter seiner Mitwirkung gesetzlich geregelt werden könne, während die übrige Verwaltung ganz der Verordnungsgewalt anheim fiel. An den Rechts- gesetzgebungen hielten sich daher auch die Körper der Volksvertretung fest; ja sie griffen in die übrige Verwaltung so weit hinein, als dieselbe es mit dem bürgerlichen und gesellschaftlichen Recht zu thun hatte. Und daraus entstand nun die Grundlage der Vorstellungen, die wir später wissenschaftlich formulirt sehen, und die noch gegenwärtig so vielen gilt, daß nämlich die Gewalt, welche das Recht bildet und verwaltet, etwas specifisch Verschiedenes von den übrigen Gewalten sei, oder daß man die richterliche und die vollziehende Gewalt vollkommen und wesentlich scheiden müsse. Eine solche einseitige Auffassung kann natürlich nur geschichtlich erklärt werden; es wäre sonst ganz unver- ständlich, wie man die richterliche Gewalt mit dem Exekutionsrecht ihrer Urtheile nicht als einen Theil der vollziehenden, oder sie mit ihrer organischen, rechtsprechenden Thätigkeit nicht als einen Theil der Ver- waltung hätte betrachten sollen.
Trotz dieser Selbständigkeit der Rechtspflege fand die Bewegung auf demselben dennoch aus einer Reihe von Gründen nicht in dem Körper der Volksvertretung, sondern vielmehr auf dem Gebiete der Theorie und der Praxis statt; wir dürfen das alles als bekannt voraussetzen. Ebenso bekannt wird es jedem Rechtshistoriker sein, daß dieß geltende Recht auch da, wo es gesammelt und als gültig anerkannt ward, nicht durch eine förmliche Gesetzgebung, sondern entweder durch Privatfleiß, oder durch Regierungsmaßregeln, wie die coutumes in Frankreich, auf- gestellt ward. Da nun die Gesetzgebung gegenüber der Verordnung fast ausschließlich auf das Rechtsleben angewiesen war, so ergab sich, daß die erstere gegenüber der letztern faktisch verschwand. Während seit dem vierzehnten Jahrhundert die Gesammtinteressen mehr und mehr zur Entwicklung gediehen und daher der Verordnungsgewalt mehr und mehr durch die Natur der Dinge das Recht eingeräumt ward, das öffentliche Recht zu bilden, sehen wir die alte Gesetzgebung sich fast vollständig auflösen; es ward eine allgemeine europäische Thatsache, daß die Könige das Recht des Staats zu bilden haben; von ihnen ward, und mit Recht, alles erwartet, was als Grundlage des Wohlstandes angesehen ward; die Vorstellung von einem Gegensatz des Verordnungsrechts und des Gesetzesrechts ward um so vager, als einerseits die gesetzgebenden Körper sich aufgelöst hatten, und anderseits das römische Recht die Tradition des fürstlichen Rechts auf den Erlaß gültiger Verordnungen
Rechtsbildung an die Verordnungsgewalt war daher auch von dieſer Seite nicht möglich. So hielt das germaniſche Leben an dem Grundſatze feſt, daß das Rechtsleben nur durch Zuſtimmung des Volkes und unter ſeiner Mitwirkung geſetzlich geregelt werden könne, während die übrige Verwaltung ganz der Verordnungsgewalt anheim fiel. An den Rechts- geſetzgebungen hielten ſich daher auch die Körper der Volksvertretung feſt; ja ſie griffen in die übrige Verwaltung ſo weit hinein, als dieſelbe es mit dem bürgerlichen und geſellſchaftlichen Recht zu thun hatte. Und daraus entſtand nun die Grundlage der Vorſtellungen, die wir ſpäter wiſſenſchaftlich formulirt ſehen, und die noch gegenwärtig ſo vielen gilt, daß nämlich die Gewalt, welche das Recht bildet und verwaltet, etwas ſpecifiſch Verſchiedenes von den übrigen Gewalten ſei, oder daß man die richterliche und die vollziehende Gewalt vollkommen und weſentlich ſcheiden müſſe. Eine ſolche einſeitige Auffaſſung kann natürlich nur geſchichtlich erklärt werden; es wäre ſonſt ganz unver- ſtändlich, wie man die richterliche Gewalt mit dem Exekutionsrecht ihrer Urtheile nicht als einen Theil der vollziehenden, oder ſie mit ihrer organiſchen, rechtſprechenden Thätigkeit nicht als einen Theil der Ver- waltung hätte betrachten ſollen.
Trotz dieſer Selbſtändigkeit der Rechtspflege fand die Bewegung auf demſelben dennoch aus einer Reihe von Gründen nicht in dem Körper der Volksvertretung, ſondern vielmehr auf dem Gebiete der Theorie und der Praxis ſtatt; wir dürfen das alles als bekannt vorausſetzen. Ebenſo bekannt wird es jedem Rechtshiſtoriker ſein, daß dieß geltende Recht auch da, wo es geſammelt und als gültig anerkannt ward, nicht durch eine förmliche Geſetzgebung, ſondern entweder durch Privatfleiß, oder durch Regierungsmaßregeln, wie die coutumes in Frankreich, auf- geſtellt ward. Da nun die Geſetzgebung gegenüber der Verordnung faſt ausſchließlich auf das Rechtsleben angewieſen war, ſo ergab ſich, daß die erſtere gegenüber der letztern faktiſch verſchwand. Während ſeit dem vierzehnten Jahrhundert die Geſammtintereſſen mehr und mehr zur Entwicklung gediehen und daher der Verordnungsgewalt mehr und mehr durch die Natur der Dinge das Recht eingeräumt ward, das öffentliche Recht zu bilden, ſehen wir die alte Geſetzgebung ſich faſt vollſtändig auflöſen; es ward eine allgemeine europäiſche Thatſache, daß die Könige das Recht des Staats zu bilden haben; von ihnen ward, und mit Recht, alles erwartet, was als Grundlage des Wohlſtandes angeſehen ward; die Vorſtellung von einem Gegenſatz des Verordnungsrechts und des Geſetzesrechts ward um ſo vager, als einerſeits die geſetzgebenden Körper ſich aufgelöst hatten, und anderſeits das römiſche Recht die Tradition des fürſtlichen Rechts auf den Erlaß gültiger Verordnungen
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Rechtsbildung an die Verordnungsgewalt war daher auch von dieſer Seite
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ſeiner Mitwirkung geſetzlich geregelt werden könne, während die übrige
Verwaltung ganz der Verordnungsgewalt anheim fiel. An den Rechts-
geſetzgebungen hielten ſich daher auch die Körper der Volksvertretung
feſt; ja ſie griffen in die übrige Verwaltung ſo weit hinein, als dieſelbe
es mit dem bürgerlichen und geſellſchaftlichen Recht zu thun hatte. Und
daraus entſtand nun die Grundlage der Vorſtellungen, die wir ſpäter
wiſſenſchaftlich formulirt ſehen, und die noch gegenwärtig ſo vielen gilt,
daß nämlich die Gewalt, welche das Recht bildet und verwaltet, etwas
ſpecifiſch Verſchiedenes von den übrigen Gewalten ſei, oder daß man die
richterliche und die vollziehende Gewalt vollkommen und
weſentlich ſcheiden müſſe. Eine ſolche einſeitige Auffaſſung kann
natürlich nur geſchichtlich erklärt werden; es wäre ſonſt ganz unver-
ſtändlich, wie man die richterliche Gewalt mit dem Exekutionsrecht
ihrer Urtheile nicht als einen Theil der vollziehenden, oder ſie mit ihrer
organiſchen, rechtſprechenden Thätigkeit nicht als einen Theil der Ver-
waltung hätte betrachten ſollen.
Trotz dieſer Selbſtändigkeit der Rechtspflege fand die Bewegung auf
demſelben dennoch aus einer Reihe von Gründen nicht in dem Körper
der Volksvertretung, ſondern vielmehr auf dem Gebiete der Theorie
und der Praxis ſtatt; wir dürfen das alles als bekannt vorausſetzen.
Ebenſo bekannt wird es jedem Rechtshiſtoriker ſein, daß dieß geltende
Recht auch da, wo es geſammelt und als gültig anerkannt ward, nicht
durch eine förmliche Geſetzgebung, ſondern entweder durch Privatfleiß,
oder durch Regierungsmaßregeln, wie die coutumes in Frankreich, auf-
geſtellt ward. Da nun die Geſetzgebung gegenüber der Verordnung faſt
ausſchließlich auf das Rechtsleben angewieſen war, ſo ergab ſich, daß
die erſtere gegenüber der letztern faktiſch verſchwand. Während ſeit
dem vierzehnten Jahrhundert die Geſammtintereſſen mehr und mehr zur
Entwicklung gediehen und daher der Verordnungsgewalt mehr und mehr
durch die Natur der Dinge das Recht eingeräumt ward, das öffentliche
Recht zu bilden, ſehen wir die alte Geſetzgebung ſich faſt vollſtändig
auflöſen; es ward eine allgemeine europäiſche Thatſache, daß die Könige
das Recht des Staats zu bilden haben; von ihnen ward, und mit
Recht, alles erwartet, was als Grundlage des Wohlſtandes angeſehen
ward; die Vorſtellung von einem Gegenſatz des Verordnungsrechts und
des Geſetzesrechts ward um ſo vager, als einerſeits die geſetzgebenden
Körper ſich aufgelöst hatten, und anderſeits das römiſche Recht die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/82>, abgerufen am 27.11.2024.
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