vertretung zurückzuführen, oder ihnen eine Gesetzgebung zum Grunde zu legen. Diese neu entstehende, erst allmählig zur rechten Gestaltung gelangende Steuergesetzgebung ist bekanntlich das landständische Recht der Steuerbewilligung. Allerdings hat dieselbe einen viel engern Kreis als man gewöhnlich annimmt; alles was als Regal eine Steuer ent- hält, fällt nicht darunter, sondern fast ausschließlich die Grundsteuer; aber das ändert ihre historische Bedeutung nicht. Diese besteht einfach in dem bekannten Satze, daß, während Gesetzgebung und Gesetz auf allen andern Punkten in der Verordnung untergegangen sind, in der Steuer das selbständige Recht des Gesetzes wieder auflebt, und das Verordnungsrecht hier seine erste, entschiedene Gränze findet.
So wie dieß geschieht, entsteht nun der Kampf zwischen Königthum und Landesvertretung. Das erste will auch diese staatswirthschaftliche Verwaltung bloß durch Verordnungen regieren, die zweite will ihr Recht, hier nur Gesetze gelten zu lassen, dazu benützen, um das ganze Gebiet der Verordnungen der Beschlußfassung der Stände zu unter- werfen. Man kennt die Geschichte Englands, Frankreichs, Deutschlands in dieser Beziehung. In England siegen die Stände -- denn das Parlament ist doch nur eine große Ständeversammlung -- auf dem Continent siegt das Königthum. In England geht daher auch die ganze Verordnungsgewalt wenigstens principiell an die Stände über, auf dem Continent entscheidet der dreißigjährige Krieg für das König- thum und die Stände verschwinden mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts. Damit ist die Frage für den ganzen Zeitraum endgültig entschieden und der Charakter des öffentlichen Rechts definitiv festgestellt. Es gibt gar keinen Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung mehr; es gibt nur noch ein gültiges Recht durch den Willen der Staatsgewalt. Es gibt daher auch keine Frage mehr nach den Gränzen der Verord- nungsgewalt, oder nach einem Rechte derselben, denn jede Verordnung ist Staatswille, ist Gesetz. Das geht so weit, daß jetzt auch das bür- gerliche Recht nicht mehr grundsätzlich als Gegenstand der Gesetzgebung betrachtet wird; es ist gerade so gut als die Finanzgesetzgebung und die innere Verwaltung der Verordnungsgewalt unterworfen, und die großen Gesetzbücher dieser Epoche, zuerst das dänische von 1683, dann die ver- schiedenen französischen, spanischen, sardinischen Codificationen, endlich das österreichische bürgerliche und das preußische Landrecht werden ein- fach auf dem Wege der Verordnung mit unbezweifelter Gesetzeskraft erlassen. Die Worte Gesetz und Verordnung haben nur noch eine historische, höchstens eine formelle Bedeutung; jeder Erlaß der Staats- gewalt ist jetzt das, was wir gegenwärtig Gesetz nennen. Das ist das Princip des öffentlichen Rechts im achtzehnten Jahrhundert.
vertretung zurückzuführen, oder ihnen eine Geſetzgebung zum Grunde zu legen. Dieſe neu entſtehende, erſt allmählig zur rechten Geſtaltung gelangende Steuergeſetzgebung iſt bekanntlich das landſtändiſche Recht der Steuerbewilligung. Allerdings hat dieſelbe einen viel engern Kreis als man gewöhnlich annimmt; alles was als Regal eine Steuer ent- hält, fällt nicht darunter, ſondern faſt ausſchließlich die Grundſteuer; aber das ändert ihre hiſtoriſche Bedeutung nicht. Dieſe beſteht einfach in dem bekannten Satze, daß, während Geſetzgebung und Geſetz auf allen andern Punkten in der Verordnung untergegangen ſind, in der Steuer das ſelbſtändige Recht des Geſetzes wieder auflebt, und das Verordnungsrecht hier ſeine erſte, entſchiedene Gränze findet.
So wie dieß geſchieht, entſteht nun der Kampf zwiſchen Königthum und Landesvertretung. Das erſte will auch dieſe ſtaatswirthſchaftliche Verwaltung bloß durch Verordnungen regieren, die zweite will ihr Recht, hier nur Geſetze gelten zu laſſen, dazu benützen, um das ganze Gebiet der Verordnungen der Beſchlußfaſſung der Stände zu unter- werfen. Man kennt die Geſchichte Englands, Frankreichs, Deutſchlands in dieſer Beziehung. In England ſiegen die Stände — denn das Parlament iſt doch nur eine große Ständeverſammlung — auf dem Continent ſiegt das Königthum. In England geht daher auch die ganze Verordnungsgewalt wenigſtens principiell an die Stände über, auf dem Continent entſcheidet der dreißigjährige Krieg für das König- thum und die Stände verſchwinden mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts. Damit iſt die Frage für den ganzen Zeitraum endgültig entſchieden und der Charakter des öffentlichen Rechts definitiv feſtgeſtellt. Es gibt gar keinen Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung mehr; es gibt nur noch ein gültiges Recht durch den Willen der Staatsgewalt. Es gibt daher auch keine Frage mehr nach den Gränzen der Verord- nungsgewalt, oder nach einem Rechte derſelben, denn jede Verordnung iſt Staatswille, iſt Geſetz. Das geht ſo weit, daß jetzt auch das bür- gerliche Recht nicht mehr grundſätzlich als Gegenſtand der Geſetzgebung betrachtet wird; es iſt gerade ſo gut als die Finanzgeſetzgebung und die innere Verwaltung der Verordnungsgewalt unterworfen, und die großen Geſetzbücher dieſer Epoche, zuerſt das däniſche von 1683, dann die ver- ſchiedenen franzöſiſchen, ſpaniſchen, ſardiniſchen Codificationen, endlich das öſterreichiſche bürgerliche und das preußiſche Landrecht werden ein- fach auf dem Wege der Verordnung mit unbezweifelter Geſetzeskraft erlaſſen. Die Worte Geſetz und Verordnung haben nur noch eine hiſtoriſche, höchſtens eine formelle Bedeutung; jeder Erlaß der Staats- gewalt iſt jetzt das, was wir gegenwärtig Geſetz nennen. Das iſt das Princip des öffentlichen Rechts im achtzehnten Jahrhundert.
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vertretung zurückzuführen, oder ihnen eine Geſetzgebung zum Grunde
zu legen. Dieſe neu entſtehende, erſt allmählig zur rechten Geſtaltung
gelangende Steuergeſetzgebung iſt bekanntlich das landſtändiſche Recht
der Steuerbewilligung. Allerdings hat dieſelbe einen viel engern Kreis
als man gewöhnlich annimmt; alles was als Regal eine Steuer ent-
hält, fällt nicht darunter, ſondern faſt ausſchließlich die Grundſteuer;
aber das ändert ihre hiſtoriſche Bedeutung nicht. Dieſe beſteht einfach
in dem bekannten Satze, daß, während Geſetzgebung und Geſetz auf
allen andern Punkten in der Verordnung untergegangen ſind, in der
Steuer das ſelbſtändige Recht des Geſetzes wieder auflebt, und das
Verordnungsrecht hier ſeine erſte, entſchiedene Gränze findet.
So wie dieß geſchieht, entſteht nun der Kampf zwiſchen Königthum
und Landesvertretung. Das erſte will auch dieſe ſtaatswirthſchaftliche
Verwaltung bloß durch Verordnungen regieren, die zweite will ihr
Recht, hier nur Geſetze gelten zu laſſen, dazu benützen, um das ganze
Gebiet der Verordnungen der Beſchlußfaſſung der Stände zu unter-
werfen. Man kennt die Geſchichte Englands, Frankreichs, Deutſchlands
in dieſer Beziehung. In England ſiegen die Stände — denn das
Parlament iſt doch nur eine große Ständeverſammlung — auf dem
Continent ſiegt das Königthum. In England geht daher auch die
ganze Verordnungsgewalt wenigſtens principiell an die Stände über,
auf dem Continent entſcheidet der dreißigjährige Krieg für das König-
thum und die Stände verſchwinden mit dem Anfange des achtzehnten
Jahrhunderts. Damit iſt die Frage für den ganzen Zeitraum endgültig
entſchieden und der Charakter des öffentlichen Rechts definitiv feſtgeſtellt.
Es gibt gar keinen Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung mehr;
es gibt nur noch ein gültiges Recht durch den Willen der Staatsgewalt.
Es gibt daher auch keine Frage mehr nach den Gränzen der Verord-
nungsgewalt, oder nach einem Rechte derſelben, denn jede Verordnung
iſt Staatswille, iſt Geſetz. Das geht ſo weit, daß jetzt auch das bür-
gerliche Recht nicht mehr grundſätzlich als Gegenſtand der Geſetzgebung
betrachtet wird; es iſt gerade ſo gut als die Finanzgeſetzgebung und die
innere Verwaltung der Verordnungsgewalt unterworfen, und die großen
Geſetzbücher dieſer Epoche, zuerſt das däniſche von 1683, dann die ver-
ſchiedenen franzöſiſchen, ſpaniſchen, ſardiniſchen Codificationen, endlich
das öſterreichiſche bürgerliche und das preußiſche Landrecht werden ein-
fach auf dem Wege der Verordnung mit unbezweifelter Geſetzeskraft
erlaſſen. Die Worte Geſetz und Verordnung haben nur noch eine
hiſtoriſche, höchſtens eine formelle Bedeutung; jeder Erlaß der Staats-
gewalt iſt jetzt das, was wir gegenwärtig Geſetz nennen. Das iſt das
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/84>, abgerufen am 27.11.2024.
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