das erste, der Friedensrichter, ist wie gesagt, eine Sicherheitspolizei- behörde und ein Gericht, das zweite das Arrondissement, ein Körper für ihm gleichartige, aber untergeordnete Amtskörper, die Communes, das deutsche dagegen ein amtliches Verwaltungsgebiet mit lauter örtlich selbständigen, aber eng begränzten und wie gezeigt, durchaus verschieden gearteten Selbstverwaltungskörpern. Dasselbe bildet demnach das zweite System der örtlichen Selbstverwaltung, dasjenige, was man die länd- liche Selbstverwaltung nennen kann; es steht neben dem ersten, der Stadtgemeinde; jenes der Träger der Reste der Geschlechter- und Stände- ordnung, diese der Verwaltungsorganismus der staatsbürgerlichen Ge- sellschaft; dabei ist die Einheit der ersteren überhaupt nicht einmal mehr ein Selbstverwaltungskörper, sondern ein Amt. In diesem Zustande ist nun offenbar von einem Gemeindewesen nur in einem sehr unbestimmten Sinne die Rede; es wird nunmehr erklärlich, wie der Begriff der Ge- meinde sich fast allenthalben mit der Stadtgemeinde zu identificiren vermochte. Aber eben so klar ist es, daß diese Verhältnisse nicht dauern konnten. Die große staatsbürgerliche Bewegung, kaum in den Städten zu eigener Verfassungsform krystallisirt, mußte nothwendig jene Ordnun- gen des flachen Landes allmählig durchdringen, und wirkliche Gemeinde- bildungen daselbst erzeugen. Und so entsteht die Bewegung, welche wir als die Bildung der Landgemeinde und der Kreisgemeinde be- zeichnen, und in der wir die wahre, aber von der Theorie gegenüber der bereits im Wesentlichen fertigen Stadtgemeinde nur zu wenig be- achtete Geschichte der Entwicklung der örtlichen Selbstverwaltung und des systematischen Gemeindewesens zu suchen haben. Der Inhalt dieser Geschichte ist das Streben, die Grundsätze der Stadtgemeinde für die Landgemeinde zur Geltung und dadurch die staatsbürgerliche Gesellschaft auch im Gebiete des Grundbesitzes und der historischen Rechte der ständischen Ordnung zum Siege zu bringen. Dem treten die Interessen des ersteren und die Principien des letzteren entgegen. So entspinnt sich ein Kampf, der noch weit davon entfernt ist, ausgetragen zu sein, und in welchem daher der gegenwärtige Zustand der deutschen örtlichen Selbstverwaltung als eine bestimmte Entwicklungsepoche angesehen wer- den muß. Dieser Kampf hat in jedem Lande seine eigene Gestalt, die theils von der materiellen Macht der ständischen Elemente, theils auch von dem Geiste der Regierung bestimmt ist. Es ist sehr schwer, sie im Einzelnen wiederzugeben; es würde das eine sehr weitläufige Arbeit werden. Aber die Grundzüge des ganzen Ganges der Dinge sind eben so klar als gleichartig; man wird ihre Richtigkeit am besten erkennen, wenn man die Ordnung des Gemeindewesens der einzelnen Länder da- mit zusammenhält. Sie bestehen in Folgendem.
das erſte, der Friedensrichter, iſt wie geſagt, eine Sicherheitspolizei- behörde und ein Gericht, das zweite das Arrondiſſement, ein Körper für ihm gleichartige, aber untergeordnete Amtskörper, die Communes, das deutſche dagegen ein amtliches Verwaltungsgebiet mit lauter örtlich ſelbſtändigen, aber eng begränzten und wie gezeigt, durchaus verſchieden gearteten Selbſtverwaltungskörpern. Daſſelbe bildet demnach das zweite Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung, dasjenige, was man die länd- liche Selbſtverwaltung nennen kann; es ſteht neben dem erſten, der Stadtgemeinde; jenes der Träger der Reſte der Geſchlechter- und Stände- ordnung, dieſe der Verwaltungsorganismus der ſtaatsbürgerlichen Ge- ſellſchaft; dabei iſt die Einheit der erſteren überhaupt nicht einmal mehr ein Selbſtverwaltungskörper, ſondern ein Amt. In dieſem Zuſtande iſt nun offenbar von einem Gemeindeweſen nur in einem ſehr unbeſtimmten Sinne die Rede; es wird nunmehr erklärlich, wie der Begriff der Ge- meinde ſich faſt allenthalben mit der Stadtgemeinde zu identificiren vermochte. Aber eben ſo klar iſt es, daß dieſe Verhältniſſe nicht dauern konnten. Die große ſtaatsbürgerliche Bewegung, kaum in den Städten zu eigener Verfaſſungsform kryſtalliſirt, mußte nothwendig jene Ordnun- gen des flachen Landes allmählig durchdringen, und wirkliche Gemeinde- bildungen daſelbſt erzeugen. Und ſo entſteht die Bewegung, welche wir als die Bildung der Landgemeinde und der Kreisgemeinde be- zeichnen, und in der wir die wahre, aber von der Theorie gegenüber der bereits im Weſentlichen fertigen Stadtgemeinde nur zu wenig be- achtete Geſchichte der Entwicklung der örtlichen Selbſtverwaltung und des ſyſtematiſchen Gemeindeweſens zu ſuchen haben. Der Inhalt dieſer Geſchichte iſt das Streben, die Grundſätze der Stadtgemeinde für die Landgemeinde zur Geltung und dadurch die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft auch im Gebiete des Grundbeſitzes und der hiſtoriſchen Rechte der ſtändiſchen Ordnung zum Siege zu bringen. Dem treten die Intereſſen des erſteren und die Principien des letzteren entgegen. So entſpinnt ſich ein Kampf, der noch weit davon entfernt iſt, ausgetragen zu ſein, und in welchem daher der gegenwärtige Zuſtand der deutſchen örtlichen Selbſtverwaltung als eine beſtimmte Entwicklungsepoche angeſehen wer- den muß. Dieſer Kampf hat in jedem Lande ſeine eigene Geſtalt, die theils von der materiellen Macht der ſtändiſchen Elemente, theils auch von dem Geiſte der Regierung beſtimmt iſt. Es iſt ſehr ſchwer, ſie im Einzelnen wiederzugeben; es würde das eine ſehr weitläufige Arbeit werden. Aber die Grundzüge des ganzen Ganges der Dinge ſind eben ſo klar als gleichartig; man wird ihre Richtigkeit am beſten erkennen, wenn man die Ordnung des Gemeindeweſens der einzelnen Länder da- mit zuſammenhält. Sie beſtehen in Folgendem.
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das erſte, der Friedensrichter, iſt wie geſagt, eine Sicherheitspolizei-
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das deutſche dagegen ein amtliches Verwaltungsgebiet mit lauter örtlich
ſelbſtändigen, aber eng begränzten und wie gezeigt, durchaus verſchieden
gearteten Selbſtverwaltungskörpern. Daſſelbe bildet demnach das zweite
Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung, dasjenige, was man die länd-
liche Selbſtverwaltung nennen kann; es ſteht neben dem erſten, der
Stadtgemeinde; jenes der Träger der Reſte der Geſchlechter- und Stände-
ordnung, dieſe der Verwaltungsorganismus der ſtaatsbürgerlichen Ge-
ſellſchaft; dabei iſt die Einheit der erſteren überhaupt nicht einmal mehr
ein Selbſtverwaltungskörper, ſondern ein Amt. In dieſem Zuſtande iſt
nun offenbar von einem Gemeindeweſen nur in einem ſehr unbeſtimmten
Sinne die Rede; es wird nunmehr erklärlich, wie der Begriff der Ge-
meinde ſich faſt allenthalben mit der Stadtgemeinde zu identificiren
vermochte. Aber eben ſo klar iſt es, daß dieſe Verhältniſſe nicht dauern
konnten. Die große ſtaatsbürgerliche Bewegung, kaum in den Städten
zu eigener Verfaſſungsform kryſtalliſirt, mußte nothwendig jene Ordnun-
gen des flachen Landes allmählig durchdringen, und wirkliche Gemeinde-
bildungen daſelbſt erzeugen. Und ſo entſteht die Bewegung, welche wir
als die Bildung der Landgemeinde und der Kreisgemeinde be-
zeichnen, und in der wir die wahre, aber von der Theorie gegenüber
der bereits im Weſentlichen fertigen Stadtgemeinde nur zu wenig be-
achtete Geſchichte der Entwicklung der örtlichen Selbſtverwaltung und
des ſyſtematiſchen Gemeindeweſens zu ſuchen haben. Der Inhalt dieſer
Geſchichte iſt das Streben, die Grundſätze der Stadtgemeinde für die
Landgemeinde zur Geltung und dadurch die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft
auch im Gebiete des Grundbeſitzes und der hiſtoriſchen Rechte der
ſtändiſchen Ordnung zum Siege zu bringen. Dem treten die Intereſſen
des erſteren und die Principien des letzteren entgegen. So entſpinnt
ſich ein Kampf, der noch weit davon entfernt iſt, ausgetragen zu ſein,
und in welchem daher der gegenwärtige Zuſtand der deutſchen örtlichen
Selbſtverwaltung als eine beſtimmte Entwicklungsepoche angeſehen wer-
den muß. Dieſer Kampf hat in jedem Lande ſeine eigene Geſtalt, die
theils von der materiellen Macht der ſtändiſchen Elemente, theils auch
von dem Geiſte der Regierung beſtimmt iſt. Es iſt ſehr ſchwer, ſie im
Einzelnen wiederzugeben; es würde das eine ſehr weitläufige Arbeit
werden. Aber die Grundzüge des ganzen Ganges der Dinge ſind eben
ſo klar als gleichartig; man wird ihre Richtigkeit am beſten erkennen,
wenn man die Ordnung des Gemeindeweſens der einzelnen Länder da-
mit zuſammenhält. Sie beſtehen in Folgendem.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/518>, abgerufen am 22.11.2024.
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