bis jetzt nicht günstig gewirkt. Denn dieß Recht des Amtskörpers nimmt gerade den kleineren Gemeinden, deren örtliche Thätigkeit eine höchst untergeordnete ist, im Grunde jede wirkliche Selbstverwaltung; die letztere sinkt, selbst wo eine Dorfschaft oder Herrschaft sie besitzt, fast zu einem leeren Wort herab, da keine bedeutende Angelegenheit inner- halb ihrer örtlichen Competenz ausgetragen werden kann, und daher dem Amte anheim fällt. Die erste, die Verwaltung des flachen Landes beherrschende Thatsache besteht deßhalb darin, daß die erstere durch den Amtskörper der Selbstverwaltung ohne Rücksicht auf die Gemeinde- ordnung von Dorfschaft und Herrschaft in allen irgend wichtigen Dingen entzogen ist, mögen jene eine freie oder unfreie sein. Und dennoch hatte dieß Verhältniß seinen sehr guten Grund. Denn die Verhältnisse der Dorfschaften und Herrschaften waren innerlich und äußerlich so verschieden, daß hier von einer Gemeindeordnung im Grunde gar nicht füglich die Rede sein konnte. Durch die neue deutsche Staatenbildung war nämlich in die Kategorien der Herrschaften ein zweites Element hineingebracht. Das waren die Standesherrschaften, die bis zum Untergang des deutschen Reiches souverän, jetzt Theile der neuen Staaten geworden waren. In diesen war nicht einmal eine völlige Unterordnung unter den Amtskörper recht möglich, viel weniger eine Gemeindever- fassung nach dem Muster der städtischen Ordnung, in welcher der früher souveräne Standesherr jetzt auf gleiche Stufe mit dem unfreien, noch zehentpflichtigen Intersassen gestellt worden wäre. Es erschienen somit jetzt neben dem städtischen Gemeindekörper noch drei wesentlich verschie- den geartete Körper auf dem flachen Lande. Der erste war die Dorf- schaft mit freien Bauern allerdings zu einer Gemeindebildung fähig, aber materiell zu klein und geistig zu beschränkt, um eine solche recht möglich zu machen. Der zweite war die Herrschaft, welche zwar ein Verwaltungskörper, nicht aber eine Gemeinde war, denn die Rechte der Verwaltung gehörten nicht den Insassen, sondern dem Herrn, der ja Grundeigenthümer des Ganzen war; die Insassen, in den meisten Fällen noch zu lehensrechtlichen Frohnden und Zehnten an den Herrn verpflichtet, waren keine Gemeindebürger, und konnten es auch nicht sein, so lange ihr Grundbesitz ihnen nicht frei angehörte. Der dritte war die Standesherrschaft, welche meistens einen größeren Com- plex umfaßte, und ihrerseits wieder aus Dorfschaften und Herrschaften zugleich bestand. Diese verschiedenen Formen, meist auch örtlich in ein- ander und durch einander geschoben, bedurften nun aber für ihre ge- meinsamen Angelegenheiten eines gemeinsamen Verwaltungskörpers; und dieser Verwaltungskörper war eben das Amt. Das deutsche Amt unterscheidet sich daher wesentlich von dem englischen und französischen;
bis jetzt nicht günſtig gewirkt. Denn dieß Recht des Amtskörpers nimmt gerade den kleineren Gemeinden, deren örtliche Thätigkeit eine höchſt untergeordnete iſt, im Grunde jede wirkliche Selbſtverwaltung; die letztere ſinkt, ſelbſt wo eine Dorfſchaft oder Herrſchaft ſie beſitzt, faſt zu einem leeren Wort herab, da keine bedeutende Angelegenheit inner- halb ihrer örtlichen Competenz ausgetragen werden kann, und daher dem Amte anheim fällt. Die erſte, die Verwaltung des flachen Landes beherrſchende Thatſache beſteht deßhalb darin, daß die erſtere durch den Amtskörper der Selbſtverwaltung ohne Rückſicht auf die Gemeinde- ordnung von Dorfſchaft und Herrſchaft in allen irgend wichtigen Dingen entzogen iſt, mögen jene eine freie oder unfreie ſein. Und dennoch hatte dieß Verhältniß ſeinen ſehr guten Grund. Denn die Verhältniſſe der Dorfſchaften und Herrſchaften waren innerlich und äußerlich ſo verſchieden, daß hier von einer Gemeindeordnung im Grunde gar nicht füglich die Rede ſein konnte. Durch die neue deutſche Staatenbildung war nämlich in die Kategorien der Herrſchaften ein zweites Element hineingebracht. Das waren die Standesherrſchaften, die bis zum Untergang des deutſchen Reiches ſouverän, jetzt Theile der neuen Staaten geworden waren. In dieſen war nicht einmal eine völlige Unterordnung unter den Amtskörper recht möglich, viel weniger eine Gemeindever- faſſung nach dem Muſter der ſtädtiſchen Ordnung, in welcher der früher ſouveräne Standesherr jetzt auf gleiche Stufe mit dem unfreien, noch zehentpflichtigen Interſaſſen geſtellt worden wäre. Es erſchienen ſomit jetzt neben dem ſtädtiſchen Gemeindekörper noch drei weſentlich verſchie- den geartete Körper auf dem flachen Lande. Der erſte war die Dorf- ſchaft mit freien Bauern allerdings zu einer Gemeindebildung fähig, aber materiell zu klein und geiſtig zu beſchränkt, um eine ſolche recht möglich zu machen. Der zweite war die Herrſchaft, welche zwar ein Verwaltungskörper, nicht aber eine Gemeinde war, denn die Rechte der Verwaltung gehörten nicht den Inſaſſen, ſondern dem Herrn, der ja Grundeigenthümer des Ganzen war; die Inſaſſen, in den meiſten Fällen noch zu lehensrechtlichen Frohnden und Zehnten an den Herrn verpflichtet, waren keine Gemeindebürger, und konnten es auch nicht ſein, ſo lange ihr Grundbeſitz ihnen nicht frei angehörte. Der dritte war die Standesherrſchaft, welche meiſtens einen größeren Com- plex umfaßte, und ihrerſeits wieder aus Dorfſchaften und Herrſchaften zugleich beſtand. Dieſe verſchiedenen Formen, meiſt auch örtlich in ein- ander und durch einander geſchoben, bedurften nun aber für ihre ge- meinſamen Angelegenheiten eines gemeinſamen Verwaltungskörpers; und dieſer Verwaltungskörper war eben das Amt. Das deutſche Amt unterſcheidet ſich daher weſentlich von dem engliſchen und franzöſiſchen;
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bis jetzt nicht günſtig gewirkt. Denn dieß Recht des Amtskörpers nimmt
gerade den kleineren Gemeinden, deren örtliche Thätigkeit eine höchſt
untergeordnete iſt, im Grunde jede wirkliche Selbſtverwaltung; die
letztere ſinkt, ſelbſt wo eine Dorfſchaft oder Herrſchaft ſie beſitzt, faſt
zu einem leeren Wort herab, da keine bedeutende Angelegenheit inner-
halb ihrer örtlichen Competenz ausgetragen werden kann, und daher
dem Amte anheim fällt. Die erſte, die Verwaltung des flachen Landes
beherrſchende Thatſache beſteht deßhalb darin, daß die erſtere durch den
Amtskörper der Selbſtverwaltung ohne Rückſicht auf die Gemeinde-
ordnung von Dorfſchaft und Herrſchaft in allen irgend wichtigen Dingen
entzogen iſt, mögen jene eine freie oder unfreie ſein. Und dennoch
hatte dieß Verhältniß ſeinen ſehr guten Grund. Denn die Verhältniſſe
der Dorfſchaften und Herrſchaften waren innerlich und äußerlich ſo
verſchieden, daß hier von einer Gemeindeordnung im Grunde gar nicht
füglich die Rede ſein konnte. Durch die neue deutſche Staatenbildung
war nämlich in die Kategorien der Herrſchaften ein zweites Element
hineingebracht. Das waren die Standesherrſchaften, die bis zum
Untergang des deutſchen Reiches ſouverän, jetzt Theile der neuen Staaten
geworden waren. In dieſen war nicht einmal eine völlige Unterordnung
unter den Amtskörper recht möglich, viel weniger eine Gemeindever-
faſſung nach dem Muſter der ſtädtiſchen Ordnung, in welcher der früher
ſouveräne Standesherr jetzt auf gleiche Stufe mit dem unfreien, noch
zehentpflichtigen Interſaſſen geſtellt worden wäre. Es erſchienen ſomit
jetzt neben dem ſtädtiſchen Gemeindekörper noch drei weſentlich verſchie-
den geartete Körper auf dem flachen Lande. Der erſte war die Dorf-
ſchaft mit freien Bauern allerdings zu einer Gemeindebildung fähig,
aber materiell zu klein und geiſtig zu beſchränkt, um eine ſolche recht
möglich zu machen. Der zweite war die Herrſchaft, welche zwar ein
Verwaltungskörper, nicht aber eine Gemeinde war, denn die Rechte der
Verwaltung gehörten nicht den Inſaſſen, ſondern dem Herrn, der ja
Grundeigenthümer des Ganzen war; die Inſaſſen, in den meiſten
Fällen noch zu lehensrechtlichen Frohnden und Zehnten an den Herrn
verpflichtet, waren keine Gemeindebürger, und konnten es auch nicht
ſein, ſo lange ihr Grundbeſitz ihnen nicht frei angehörte. Der dritte
war die Standesherrſchaft, welche meiſtens einen größeren Com-
plex umfaßte, und ihrerſeits wieder aus Dorfſchaften und Herrſchaften
zugleich beſtand. Dieſe verſchiedenen Formen, meiſt auch örtlich in ein-
ander und durch einander geſchoben, bedurften nun aber für ihre ge-
meinſamen Angelegenheiten eines gemeinſamen Verwaltungskörpers;
und dieſer Verwaltungskörper war eben das Amt. Das deutſche Amt
unterſcheidet ſich daher weſentlich von dem engliſchen und franzöſiſchen;
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/517>, abgerufen am 22.11.2024.
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