ist noch mächtig genug, sich und seine Interessen die letztern unterzu- ordnen, und es ist keine Hoffnung, ohne gewaltsame Bewegungen hier dem staatsbürgerlichen Princip seine Geltung zu verschaffen. Daraus entsteht dann nun die Richtung, welche für das ganze Leben der deut- schen Selbstverwaltung entscheidend geworden ist. Mit richtigem Takt erkannte dasselbe, daß die eigentliche Heimath der jungen staatsbürger- lichen Gesellschaft die Stadt sei. Der Gedanke, die Verwaltung für die erstere zu gewinnen, mußte daher consequent zu dem Streben führen, die Verfassung und Verwaltung der letzteren auf Grundlage des Staats- bürgerthums, ohne Zulassung der ständischen Unterschiede, ihrer Rechte und Forderungen zu errichten. Die Städte hatten ja ohnehin so gut wie die Landschaften das Recht ihrer eigenen historischen Verfassung; sie waren in Deutschland wie in Frankreich der dritte Stand, nur mit dem allerdings wesentlichen Unterschiede, daß in Frankreich der tiers etat gleich beim Beginne der Revolution das Staatsbürgerthum bedeutet, während in Deutschland der dritte Stand nur als die Gesammtheit der Städte, und das Recht derselben als das Recht auf örtliche Selbstver- waltung auftritt. Aber dieß Recht hatten sie eben behalten; man konnte es ihnen um so weniger nehmen, als viele Städte ja jetzt erst Theile eines Staats wurden. Hier war es daher, wo die Ideen, die Forderungen und die Formen des Staatsbürgerthums zuerst Wurzel schlugen. Mit dem Anfange des Jahrhunderts tritt daher der Gedanke auf, daß die Städte die eigentlichen Gemeinden seien, weil sie in der That die einzigen staatsbürgerlichen Gemeinden sein konnten. Daran schloß sich eine Reihe von Erscheinungen, die ent- scheidend einwirkten. Das Gemeinderecht ward fast identisch mit dem städtischen Recht. Die Stadtgemeinden wurden die Heimath der staats- bürgerlichen Gesellschaft, wie sie die Heimath des gewerblichen Besitzes waren; da in der landständischen Verfassung die Gleichheit der Staats- bürger nicht zur Geltung kommen konnte, so warf sich die geistige und materielle Bewegung mit um so größerer Entschiedenheit auf die städ- tische Verfassung; das städtische Leben ward für Theorie und Praxis das Vorbild des künftigen Staatslebens, und die alte, durchaus ein- seitige Aristotelische Vorstellung, als sei die Gemeinde das Vorbild des Staats, gewann plötzlich die allgemeinste Anerkennung, obgleich das Vaterland der Selbstverwaltung, England, die Stadtgemeinde durchaus nicht als Basis der letzteren betrachtete. Man kannte aber England nicht, und bewegte sich auf dem engern deutschen Lebensgebiet. Daher denn kam es, daß, was nur in Deutschland möglich war, die Gemeinde- verfassung als ein organisches Glied der Staatsverfassung betrachtet, und in den meisten Verfassungsurkunden daher auch wirklich mit auf-
iſt noch mächtig genug, ſich und ſeine Intereſſen die letztern unterzu- ordnen, und es iſt keine Hoffnung, ohne gewaltſame Bewegungen hier dem ſtaatsbürgerlichen Princip ſeine Geltung zu verſchaffen. Daraus entſteht dann nun die Richtung, welche für das ganze Leben der deut- ſchen Selbſtverwaltung entſcheidend geworden iſt. Mit richtigem Takt erkannte daſſelbe, daß die eigentliche Heimath der jungen ſtaatsbürger- lichen Geſellſchaft die Stadt ſei. Der Gedanke, die Verwaltung für die erſtere zu gewinnen, mußte daher conſequent zu dem Streben führen, die Verfaſſung und Verwaltung der letzteren auf Grundlage des Staats- bürgerthums, ohne Zulaſſung der ſtändiſchen Unterſchiede, ihrer Rechte und Forderungen zu errichten. Die Städte hatten ja ohnehin ſo gut wie die Landſchaften das Recht ihrer eigenen hiſtoriſchen Verfaſſung; ſie waren in Deutſchland wie in Frankreich der dritte Stand, nur mit dem allerdings weſentlichen Unterſchiede, daß in Frankreich der tiers état gleich beim Beginne der Revolution das Staatsbürgerthum bedeutet, während in Deutſchland der dritte Stand nur als die Geſammtheit der Städte, und das Recht derſelben als das Recht auf örtliche Selbſtver- waltung auftritt. Aber dieß Recht hatten ſie eben behalten; man konnte es ihnen um ſo weniger nehmen, als viele Städte ja jetzt erſt Theile eines Staats wurden. Hier war es daher, wo die Ideen, die Forderungen und die Formen des Staatsbürgerthums zuerſt Wurzel ſchlugen. Mit dem Anfange des Jahrhunderts tritt daher der Gedanke auf, daß die Städte die eigentlichen Gemeinden ſeien, weil ſie in der That die einzigen ſtaatsbürgerlichen Gemeinden ſein konnten. Daran ſchloß ſich eine Reihe von Erſcheinungen, die ent- ſcheidend einwirkten. Das Gemeinderecht ward faſt identiſch mit dem ſtädtiſchen Recht. Die Stadtgemeinden wurden die Heimath der ſtaats- bürgerlichen Geſellſchaft, wie ſie die Heimath des gewerblichen Beſitzes waren; da in der landſtändiſchen Verfaſſung die Gleichheit der Staats- bürger nicht zur Geltung kommen konnte, ſo warf ſich die geiſtige und materielle Bewegung mit um ſo größerer Entſchiedenheit auf die ſtäd- tiſche Verfaſſung; das ſtädtiſche Leben ward für Theorie und Praxis das Vorbild des künftigen Staatslebens, und die alte, durchaus ein- ſeitige Ariſtoteliſche Vorſtellung, als ſei die Gemeinde das Vorbild des Staats, gewann plötzlich die allgemeinſte Anerkennung, obgleich das Vaterland der Selbſtverwaltung, England, die Stadtgemeinde durchaus nicht als Baſis der letzteren betrachtete. Man kannte aber England nicht, und bewegte ſich auf dem engern deutſchen Lebensgebiet. Daher denn kam es, daß, was nur in Deutſchland möglich war, die Gemeinde- verfaſſung als ein organiſches Glied der Staatsverfaſſung betrachtet, und in den meiſten Verfaſſungsurkunden daher auch wirklich mit auf-
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dem ſtaatsbürgerlichen Princip ſeine Geltung zu verſchaffen. Daraus
entſteht dann nun die Richtung, welche für das ganze Leben der deut-
ſchen Selbſtverwaltung entſcheidend geworden iſt. Mit richtigem Takt
erkannte daſſelbe, daß die eigentliche Heimath der jungen ſtaatsbürger-
lichen Geſellſchaft die Stadt ſei. Der Gedanke, die Verwaltung für
die erſtere zu gewinnen, mußte daher conſequent zu dem Streben führen,
die Verfaſſung und Verwaltung der letzteren auf Grundlage des Staats-
bürgerthums, ohne Zulaſſung der ſtändiſchen Unterſchiede, ihrer Rechte
und Forderungen zu errichten. Die Städte hatten ja ohnehin ſo gut
wie die Landſchaften das Recht ihrer eigenen hiſtoriſchen Verfaſſung; ſie
waren in Deutſchland wie in Frankreich der dritte Stand, nur mit dem
allerdings weſentlichen Unterſchiede, daß in Frankreich der tiers état
gleich beim Beginne der Revolution das Staatsbürgerthum bedeutet,
während in Deutſchland der dritte Stand nur als die Geſammtheit der
Städte, und das Recht derſelben als das Recht auf örtliche Selbſtver-
waltung auftritt. Aber dieß Recht hatten ſie eben behalten; man
konnte es ihnen um ſo weniger nehmen, als viele Städte ja jetzt erſt
Theile eines Staats wurden. Hier war es daher, wo die Ideen, die
Forderungen und die Formen des Staatsbürgerthums zuerſt Wurzel
ſchlugen. Mit dem Anfange des Jahrhunderts tritt daher der Gedanke
auf, daß die Städte die eigentlichen Gemeinden ſeien, weil
ſie in der That die einzigen ſtaatsbürgerlichen Gemeinden ſein
konnten. Daran ſchloß ſich eine Reihe von Erſcheinungen, die ent-
ſcheidend einwirkten. Das Gemeinderecht ward faſt identiſch mit dem
ſtädtiſchen Recht. Die Stadtgemeinden wurden die Heimath der ſtaats-
bürgerlichen Geſellſchaft, wie ſie die Heimath des gewerblichen Beſitzes
waren; da in der landſtändiſchen Verfaſſung die Gleichheit der Staats-
bürger nicht zur Geltung kommen konnte, ſo warf ſich die geiſtige und
materielle Bewegung mit um ſo größerer Entſchiedenheit auf die ſtäd-
tiſche Verfaſſung; das ſtädtiſche Leben ward für Theorie und Praxis
das Vorbild des künftigen Staatslebens, und die alte, durchaus ein-
ſeitige Ariſtoteliſche Vorſtellung, als ſei die Gemeinde das Vorbild des
Staats, gewann plötzlich die allgemeinſte Anerkennung, obgleich das
Vaterland der Selbſtverwaltung, England, die Stadtgemeinde durchaus
nicht als Baſis der letzteren betrachtete. Man kannte aber England
nicht, und bewegte ſich auf dem engern deutſchen Lebensgebiet. Daher
denn kam es, daß, was nur in Deutſchland möglich war, die Gemeinde-
verfaſſung als ein organiſches Glied der Staatsverfaſſung betrachtet,
und in den meiſten Verfaſſungsurkunden daher auch wirklich mit auf-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/515>, abgerufen am 23.11.2024.
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