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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Landschaften. Die Landschaften sind die Selbstverwaltungskörper der
Länder; der Verlust der Rechte auf die Selbstverwaltung auch bei
den freien Bauern macht ihn unfähig, an der "Landschaft" Theil zu
nehmen; er kann niemals Landstand werden; er ist überhaupt kein
Stand mehr; er hat auch in der Auffassung des Abendlandes die Fähig-
keit verloren, als gleichberechtigt dem Grundherrn zur Seite zu treten.
Damit ist seine Freiheit untergegangen; der Begriff und das Recht
der Selbstverwaltung ist vom Grundbesitz getrennt, und das freie
Gemeindewesen in der Dorfschaft wie in der Grundherrlichkeit unmöglich
geworden.

Sollte beides zurückkehren, so mußte sich eine ganz neue Gestaltung
der Dinge jener Ordnung der ständischen Herrschaft an die Seite stellen.
Es mußten sich Gemeinschaften auf einer anderen Grundlage als der
des Grundbesitzes bilden. Diese wirthschaftliche Grundlage war aber
der gewerbliche Besitz. Die Gemeinschaft, welche durch den gewerb-
lichen Besitz erzeugt wird, ist die Stadt. Und so geschah es, daß die
Städte begannen, mit dem ihnen eigenthümlichen Element in das innere
Leben Europas einzugreifen.

3) Der gewerbliche Besitz ist seinem Wesen nach die eigentlich indi-
viduelle Form des Besitzes. In Capital und Arbeit schließt er sich
unbedingt an das Individuum an; dasselbe erzeugt mit dem zweiten
das erste; es begegnet hier keiner producirenden Naturkraft, der es sich
beugen muß, von der es abhängig ist. Erst im gewerblichen Capital
kann man sagen, daß die Persönlichkeit ist, was sie hat. Wo daher
immer das gewerbliche Capital entsteht, entsteht mit ihm ein Leben, das
auf der Selbstbestimmung der einzelnen Persönlichkeit beruht. Beide
erzeugen sich unbedingt gegenseitig. Die Ordnung der menschlichen Ge-
meinschaft aber, welche auf diesem Wesen des gewerblichen Capitals
beruht, nennen wir die staatsbürgerliche Gesellschaft.

Offenbar steht dieselbe in tiefem Gegensatze zur ständischen Gesell-
schaft. Sie hat zu ihrer Grundlage nicht das historische Recht auf den
Besitz, sondern die Arbeit der freien Persönlichkeit. Sie hat das Gebiet
ihrer Interessen nicht in dem, was sie schon hat, sondern in dem, was
sie erwerben will. Sie fordert daher wesentlich andere Bedingungen
ihrer Entwicklung als der Grund und Boden und die ständische Herr-
schaft. Sie kennt diese Bedingungen selbst, und muß sie sich selbst geben.
Das aber heißt eben sich verwalten. Die staatsbürgerliche Gesellschaft
hat daher zum nächsten Zweck ihrer Verwaltung die Bedingungen des
gewerblichen Erwerbes. Sie kann und will diese Bedingungen nicht
aus fremden Händen empfangen, nicht einmal von der Nation unmit-
telbar, viel weniger von der Willkür eines Herrn. Noch weniger kann

Landſchaften. Die Landſchaften ſind die Selbſtverwaltungskörper der
Länder; der Verluſt der Rechte auf die Selbſtverwaltung auch bei
den freien Bauern macht ihn unfähig, an der „Landſchaft“ Theil zu
nehmen; er kann niemals Landſtand werden; er iſt überhaupt kein
Stand mehr; er hat auch in der Auffaſſung des Abendlandes die Fähig-
keit verloren, als gleichberechtigt dem Grundherrn zur Seite zu treten.
Damit iſt ſeine Freiheit untergegangen; der Begriff und das Recht
der Selbſtverwaltung iſt vom Grundbeſitz getrennt, und das freie
Gemeindeweſen in der Dorfſchaft wie in der Grundherrlichkeit unmöglich
geworden.

Sollte beides zurückkehren, ſo mußte ſich eine ganz neue Geſtaltung
der Dinge jener Ordnung der ſtändiſchen Herrſchaft an die Seite ſtellen.
Es mußten ſich Gemeinſchaften auf einer anderen Grundlage als der
des Grundbeſitzes bilden. Dieſe wirthſchaftliche Grundlage war aber
der gewerbliche Beſitz. Die Gemeinſchaft, welche durch den gewerb-
lichen Beſitz erzeugt wird, iſt die Stadt. Und ſo geſchah es, daß die
Städte begannen, mit dem ihnen eigenthümlichen Element in das innere
Leben Europas einzugreifen.

3) Der gewerbliche Beſitz iſt ſeinem Weſen nach die eigentlich indi-
viduelle Form des Beſitzes. In Capital und Arbeit ſchließt er ſich
unbedingt an das Individuum an; daſſelbe erzeugt mit dem zweiten
das erſte; es begegnet hier keiner producirenden Naturkraft, der es ſich
beugen muß, von der es abhängig iſt. Erſt im gewerblichen Capital
kann man ſagen, daß die Perſönlichkeit iſt, was ſie hat. Wo daher
immer das gewerbliche Capital entſteht, entſteht mit ihm ein Leben, das
auf der Selbſtbeſtimmung der einzelnen Perſönlichkeit beruht. Beide
erzeugen ſich unbedingt gegenſeitig. Die Ordnung der menſchlichen Ge-
meinſchaft aber, welche auf dieſem Weſen des gewerblichen Capitals
beruht, nennen wir die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft.

Offenbar ſteht dieſelbe in tiefem Gegenſatze zur ſtändiſchen Geſell-
ſchaft. Sie hat zu ihrer Grundlage nicht das hiſtoriſche Recht auf den
Beſitz, ſondern die Arbeit der freien Perſönlichkeit. Sie hat das Gebiet
ihrer Intereſſen nicht in dem, was ſie ſchon hat, ſondern in dem, was
ſie erwerben will. Sie fordert daher weſentlich andere Bedingungen
ihrer Entwicklung als der Grund und Boden und die ſtändiſche Herr-
ſchaft. Sie kennt dieſe Bedingungen ſelbſt, und muß ſie ſich ſelbſt geben.
Das aber heißt eben ſich verwalten. Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft
hat daher zum nächſten Zweck ihrer Verwaltung die Bedingungen des
gewerblichen Erwerbes. Sie kann und will dieſe Bedingungen nicht
aus fremden Händen empfangen, nicht einmal von der Nation unmit-
telbar, viel weniger von der Willkür eines Herrn. Noch weniger kann

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[451/0475] Landſchaften. Die Landſchaften ſind die Selbſtverwaltungskörper der Länder; der Verluſt der Rechte auf die Selbſtverwaltung auch bei den freien Bauern macht ihn unfähig, an der „Landſchaft“ Theil zu nehmen; er kann niemals Landſtand werden; er iſt überhaupt kein Stand mehr; er hat auch in der Auffaſſung des Abendlandes die Fähig- keit verloren, als gleichberechtigt dem Grundherrn zur Seite zu treten. Damit iſt ſeine Freiheit untergegangen; der Begriff und das Recht der Selbſtverwaltung iſt vom Grundbeſitz getrennt, und das freie Gemeindeweſen in der Dorfſchaft wie in der Grundherrlichkeit unmöglich geworden. Sollte beides zurückkehren, ſo mußte ſich eine ganz neue Geſtaltung der Dinge jener Ordnung der ſtändiſchen Herrſchaft an die Seite ſtellen. Es mußten ſich Gemeinſchaften auf einer anderen Grundlage als der des Grundbeſitzes bilden. Dieſe wirthſchaftliche Grundlage war aber der gewerbliche Beſitz. Die Gemeinſchaft, welche durch den gewerb- lichen Beſitz erzeugt wird, iſt die Stadt. Und ſo geſchah es, daß die Städte begannen, mit dem ihnen eigenthümlichen Element in das innere Leben Europas einzugreifen. 3) Der gewerbliche Beſitz iſt ſeinem Weſen nach die eigentlich indi- viduelle Form des Beſitzes. In Capital und Arbeit ſchließt er ſich unbedingt an das Individuum an; daſſelbe erzeugt mit dem zweiten das erſte; es begegnet hier keiner producirenden Naturkraft, der es ſich beugen muß, von der es abhängig iſt. Erſt im gewerblichen Capital kann man ſagen, daß die Perſönlichkeit iſt, was ſie hat. Wo daher immer das gewerbliche Capital entſteht, entſteht mit ihm ein Leben, das auf der Selbſtbeſtimmung der einzelnen Perſönlichkeit beruht. Beide erzeugen ſich unbedingt gegenſeitig. Die Ordnung der menſchlichen Ge- meinſchaft aber, welche auf dieſem Weſen des gewerblichen Capitals beruht, nennen wir die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft. Offenbar ſteht dieſelbe in tiefem Gegenſatze zur ſtändiſchen Geſell- ſchaft. Sie hat zu ihrer Grundlage nicht das hiſtoriſche Recht auf den Beſitz, ſondern die Arbeit der freien Perſönlichkeit. Sie hat das Gebiet ihrer Intereſſen nicht in dem, was ſie ſchon hat, ſondern in dem, was ſie erwerben will. Sie fordert daher weſentlich andere Bedingungen ihrer Entwicklung als der Grund und Boden und die ſtändiſche Herr- ſchaft. Sie kennt dieſe Bedingungen ſelbſt, und muß ſie ſich ſelbſt geben. Das aber heißt eben ſich verwalten. Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft hat daher zum nächſten Zweck ihrer Verwaltung die Bedingungen des gewerblichen Erwerbes. Sie kann und will dieſe Bedingungen nicht aus fremden Händen empfangen, nicht einmal von der Nation unmit- telbar, viel weniger von der Willkür eines Herrn. Noch weniger kann

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/475>, abgerufen am 22.11.2024.