sie das Erworbene dem Herrn überlassen. Sie muß in Besitz und Ver- waltung frei sein.
So wie daher der gewerbliche Besitz auftritt, entsteht eine tiefe Spaltung in der ganzen menschlichen Gesellschaft. Es geht eine Ahnung durch ganz Europa, daß eine neue Gestalt der Dinge beginnt. Die Grundherrlichkeit hält zunächst, der jungen gewerblichen Welt gegenüber, fest an ihrem Recht auf den Grund und Boden, auf dem das Gewerbe betrieben wird, an ihrem Rechte der herrschaftlichen Verwaltung über die Menschen, die es betreiben, an ihrem Rechte auf den Gewinn, den sie damit machen. Die gewerbliche Welt erkennt, daß es sich hier nicht um ein Mehr oder Weniger, sondern um ihre ganze Existenz handelt; zu tief ist die Verschiedenheit des Princips. Sie muß sich daher sam- meln und ordnen, um dem Stoße zu begegnen, der von jener Seite kommt. Sie bildet sich zu Gemeinschaften; sie fängt an zu berathen; sie ordnet sich zu waffenfähigen Gilden und Zünften; sie gibt sich Häupter; sie lernt gehorchen im Namen ihrer Interessen; sie weigert sich dem Grundherrn Folge zu leisten; sie läugnet das Recht seiner Ver- waltung in Dingen, die er selbst nicht erzeugt hat; sie greift zu den Waffen gegen seine Bewaffneten; sie bietet auch Geld für das zweifel- hafte oder unzweifelhafte Recht, das er noch besitzen mag; sie fordert Freiheit mit dem Schwerte und mit Gold; der Kampf entbrennt; die Stadt, die Heimath des gewerblichen Capitals, steht auf gegen den Grundherrn, den Besitzer des unbeweglichen Capitals; sie siegt; sie erobert die Stadt; sie macht sie zu einer Burg ihrer Interessen nach Außen, zu einem Organismus der Verwaltung derselben im Innern; diese, beruhend auf dem Wesen des an sich freien gewerblichen Capitals, muß selbst frei sein -- sie muß auf der gleichen Theilnahme Aller an der allgemeinen Gewalt bestehen; so wird die Stadt ein Verwaltungs- körper der jungen staatsbürgerlichen Gesellschaft, äußerlich in ihrer ört- lichen Gränze, dem Weichbilde, selbständig, innerlich frei; und so entsteht die Gemeinde neben der Herrschaft.
Es ist eine weitläuftige Geschichte, zu erzählen, wie das alles im Einzelnen sich gestaltet und zugetragen hat; aber das Wesentliche daran ist gleichartig im ganzen Europa. Die Gemeinde und das Gemeinde- wesen haben ihre Heimath nur in den Städten. Die Dorfschaft, so weit es noch eine solche gibt, enthält die Gemeinde der Reste der Geschlechterordnung; die Herrschaft die Gemeinde der ständischen Ord- nung; aber beides sind keine wahren Gemeinden, denn beiden fehlt das Princip der staatsbürgerlichen Gemeinde, das Gemeindebürgerthum und die daran sich schließenden Rechte desselben. Die Städte sind es, welche mit der Selbstverwaltung die bürgerliche Freiheit gerettet haben. Sie
ſie das Erworbene dem Herrn überlaſſen. Sie muß in Beſitz und Ver- waltung frei ſein.
So wie daher der gewerbliche Beſitz auftritt, entſteht eine tiefe Spaltung in der ganzen menſchlichen Geſellſchaft. Es geht eine Ahnung durch ganz Europa, daß eine neue Geſtalt der Dinge beginnt. Die Grundherrlichkeit hält zunächſt, der jungen gewerblichen Welt gegenüber, feſt an ihrem Recht auf den Grund und Boden, auf dem das Gewerbe betrieben wird, an ihrem Rechte der herrſchaftlichen Verwaltung über die Menſchen, die es betreiben, an ihrem Rechte auf den Gewinn, den ſie damit machen. Die gewerbliche Welt erkennt, daß es ſich hier nicht um ein Mehr oder Weniger, ſondern um ihre ganze Exiſtenz handelt; zu tief iſt die Verſchiedenheit des Princips. Sie muß ſich daher ſam- meln und ordnen, um dem Stoße zu begegnen, der von jener Seite kommt. Sie bildet ſich zu Gemeinſchaften; ſie fängt an zu berathen; ſie ordnet ſich zu waffenfähigen Gilden und Zünften; ſie gibt ſich Häupter; ſie lernt gehorchen im Namen ihrer Intereſſen; ſie weigert ſich dem Grundherrn Folge zu leiſten; ſie läugnet das Recht ſeiner Ver- waltung in Dingen, die er ſelbſt nicht erzeugt hat; ſie greift zu den Waffen gegen ſeine Bewaffneten; ſie bietet auch Geld für das zweifel- hafte oder unzweifelhafte Recht, das er noch beſitzen mag; ſie fordert Freiheit mit dem Schwerte und mit Gold; der Kampf entbrennt; die Stadt, die Heimath des gewerblichen Capitals, ſteht auf gegen den Grundherrn, den Beſitzer des unbeweglichen Capitals; ſie ſiegt; ſie erobert die Stadt; ſie macht ſie zu einer Burg ihrer Intereſſen nach Außen, zu einem Organismus der Verwaltung derſelben im Innern; dieſe, beruhend auf dem Weſen des an ſich freien gewerblichen Capitals, muß ſelbſt frei ſein — ſie muß auf der gleichen Theilnahme Aller an der allgemeinen Gewalt beſtehen; ſo wird die Stadt ein Verwaltungs- körper der jungen ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, äußerlich in ihrer ört- lichen Gränze, dem Weichbilde, ſelbſtändig, innerlich frei; und ſo entſteht die Gemeinde neben der Herrſchaft.
Es iſt eine weitläuftige Geſchichte, zu erzählen, wie das alles im Einzelnen ſich geſtaltet und zugetragen hat; aber das Weſentliche daran iſt gleichartig im ganzen Europa. Die Gemeinde und das Gemeinde- weſen haben ihre Heimath nur in den Städten. Die Dorfſchaft, ſo weit es noch eine ſolche gibt, enthält die Gemeinde der Reſte der Geſchlechterordnung; die Herrſchaft die Gemeinde der ſtändiſchen Ord- nung; aber beides ſind keine wahren Gemeinden, denn beiden fehlt das Princip der ſtaatsbürgerlichen Gemeinde, das Gemeindebürgerthum und die daran ſich ſchließenden Rechte deſſelben. Die Städte ſind es, welche mit der Selbſtverwaltung die bürgerliche Freiheit gerettet haben. Sie
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ſie das Erworbene dem Herrn überlaſſen. Sie muß in Beſitz und Ver-
waltung frei ſein.
So wie daher der gewerbliche Beſitz auftritt, entſteht eine tiefe
Spaltung in der ganzen menſchlichen Geſellſchaft. Es geht eine Ahnung
durch ganz Europa, daß eine neue Geſtalt der Dinge beginnt. Die
Grundherrlichkeit hält zunächſt, der jungen gewerblichen Welt gegenüber,
feſt an ihrem Recht auf den Grund und Boden, auf dem das Gewerbe
betrieben wird, an ihrem Rechte der herrſchaftlichen Verwaltung über
die Menſchen, die es betreiben, an ihrem Rechte auf den Gewinn, den
ſie damit machen. Die gewerbliche Welt erkennt, daß es ſich hier nicht
um ein Mehr oder Weniger, ſondern um ihre ganze Exiſtenz handelt;
zu tief iſt die Verſchiedenheit des Princips. Sie muß ſich daher ſam-
meln und ordnen, um dem Stoße zu begegnen, der von jener Seite
kommt. Sie bildet ſich zu Gemeinſchaften; ſie fängt an zu berathen;
ſie ordnet ſich zu waffenfähigen Gilden und Zünften; ſie gibt ſich
Häupter; ſie lernt gehorchen im Namen ihrer Intereſſen; ſie weigert ſich
dem Grundherrn Folge zu leiſten; ſie läugnet das Recht ſeiner Ver-
waltung in Dingen, die er ſelbſt nicht erzeugt hat; ſie greift zu den
Waffen gegen ſeine Bewaffneten; ſie bietet auch Geld für das zweifel-
hafte oder unzweifelhafte Recht, das er noch beſitzen mag; ſie fordert
Freiheit mit dem Schwerte und mit Gold; der Kampf entbrennt; die
Stadt, die Heimath des gewerblichen Capitals, ſteht auf gegen den
Grundherrn, den Beſitzer des unbeweglichen Capitals; ſie ſiegt; ſie
erobert die Stadt; ſie macht ſie zu einer Burg ihrer Intereſſen nach
Außen, zu einem Organismus der Verwaltung derſelben im Innern;
dieſe, beruhend auf dem Weſen des an ſich freien gewerblichen Capitals,
muß ſelbſt frei ſein — ſie muß auf der gleichen Theilnahme Aller an
der allgemeinen Gewalt beſtehen; ſo wird die Stadt ein Verwaltungs-
körper der jungen ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, äußerlich in ihrer ört-
lichen Gränze, dem Weichbilde, ſelbſtändig, innerlich frei; und ſo entſteht
die Gemeinde neben der Herrſchaft.
Es iſt eine weitläuftige Geſchichte, zu erzählen, wie das alles im
Einzelnen ſich geſtaltet und zugetragen hat; aber das Weſentliche daran
iſt gleichartig im ganzen Europa. Die Gemeinde und das Gemeinde-
weſen haben ihre Heimath nur in den Städten. Die Dorfſchaft, ſo
weit es noch eine ſolche gibt, enthält die Gemeinde der Reſte der
Geſchlechterordnung; die Herrſchaft die Gemeinde der ſtändiſchen Ord-
nung; aber beides ſind keine wahren Gemeinden, denn beiden fehlt das
Princip der ſtaatsbürgerlichen Gemeinde, das Gemeindebürgerthum und
die daran ſich ſchließenden Rechte deſſelben. Die Städte ſind es, welche
mit der Selbſtverwaltung die bürgerliche Freiheit gerettet haben. Sie
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/476>, abgerufen am 22.11.2024.
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