zu beseitigen, auch wo sie formell besteht. Die Selbstverwaltung und das in ihr enthaltene Element des freien Staatsbürgerthums wird daher, der Natur des ganzen Staatsorganismus nach, zu einem bloßen Schein, der freien Verwaltung, wenn sie durch nichts anderes gesetzt ist als durch den gesetzlich formulirten Willen des Staats. Sie ist nichts, wenn sie auf nichts anderem beruht, als auf ihrer verfassungsmäßigen Formulirung. Das entscheidende Beispiel dafür ist Frankreichs Selbst- verwaltung. Das Princip derselben beruht auf den obigen Sätzen.
Und hier ist es nun, wo der von uns aufgestellte Unterschied in dem allgemeinen Begriffe der Selbstverwaltung der Unterschied von Ver- tretungen und Selbstverwaltungskörpern, gleich anfangs von großer Bedeutung, und die Grundlage der Geschichte wird.
Alle Vertretungen haben nämlich das mit einander gemein, daß das Bedürfniß nach ihnen und ihrer Thätigkeit sowohl in der Form der Räthe, als in der der Kammern, immer wesentlich vom Staate und seiner Regierung selbst ausgeht. Sie entstehen daher nur da, wo die Regierung selbst sie wünscht, um eine Basis für ihre verordnende Ge- walt zu haben. Sie empfangen damit ihr Recht und ihre Aufgabe auch von der Regierung selbst, welche den Punkt bezeichnet, auf welchen sie wirken sollen. Dazu kommt, daß dieselben keine Theilnahme an der wirklichen ausführenden Thätigkeit haben. Der Regierung bleibt damit das Recht und die Möglichkeit, die Funktion dieser Organe so zu be- stimmen, daß ein Widerspruch mit ihrem Willen und ihrer Thätigkeit nicht eintreten kann. Außerdem erscheinen diese Organe der Selbstver- waltung doch nur als Mittel für die Aufgaben der Regierung, und ihre ganze Existenz fällt, wenn kein Gesetz da ist, das sie hervorgerufen, unter die Organisationsgewalt; existirt dagegen auch ein Gesetz, so wird es doch immer von der Regierung abhangen, wie weit sie die Meinungen jener Organe für ihre wirkliche Thätigkeit gebrauchen will oder nicht, denn nur sie, und nicht jene sind verantwortlich.
Es ergibt sich daraus, daß in dem Gebiete der Vertretungen ein Kampf zwischen dem Staate und der Selbstverwaltung nicht stattfinden kann, und daß daher auch die geschichtliche Entwicklung der ersteren sich unmittelbar an die Entwicklung des Regierungssystems anschließt. Sie stehen, ob auch anderer Natur, doch auf demselben Rechtsboden mit dem amtlichen Organismus; sie sind dann, wie schon bemerkt, nur im weiten Sinne Theile der Selbstverwaltung, insofern sie eben nicht selbst verwalten, sondern nur eine Form der Theilnahme des Staatsbürger- thums an der wirklichen Verwaltung des Staats enthalten. In ihnen kommt, wie man sagen kann, zwar der administrative Werth, aber nicht das politische Wesen der Selbstverwaltung zur Geltung. Dieß
zu beſeitigen, auch wo ſie formell beſteht. Die Selbſtverwaltung und das in ihr enthaltene Element des freien Staatsbürgerthums wird daher, der Natur des ganzen Staatsorganismus nach, zu einem bloßen Schein, der freien Verwaltung, wenn ſie durch nichts anderes geſetzt iſt als durch den geſetzlich formulirten Willen des Staats. Sie iſt nichts, wenn ſie auf nichts anderem beruht, als auf ihrer verfaſſungsmäßigen Formulirung. Das entſcheidende Beiſpiel dafür iſt Frankreichs Selbſt- verwaltung. Das Princip derſelben beruht auf den obigen Sätzen.
Und hier iſt es nun, wo der von uns aufgeſtellte Unterſchied in dem allgemeinen Begriffe der Selbſtverwaltung der Unterſchied von Ver- tretungen und Selbſtverwaltungskörpern, gleich anfangs von großer Bedeutung, und die Grundlage der Geſchichte wird.
Alle Vertretungen haben nämlich das mit einander gemein, daß das Bedürfniß nach ihnen und ihrer Thätigkeit ſowohl in der Form der Räthe, als in der der Kammern, immer weſentlich vom Staate und ſeiner Regierung ſelbſt ausgeht. Sie entſtehen daher nur da, wo die Regierung ſelbſt ſie wünſcht, um eine Baſis für ihre verordnende Ge- walt zu haben. Sie empfangen damit ihr Recht und ihre Aufgabe auch von der Regierung ſelbſt, welche den Punkt bezeichnet, auf welchen ſie wirken ſollen. Dazu kommt, daß dieſelben keine Theilnahme an der wirklichen ausführenden Thätigkeit haben. Der Regierung bleibt damit das Recht und die Möglichkeit, die Funktion dieſer Organe ſo zu be- ſtimmen, daß ein Widerſpruch mit ihrem Willen und ihrer Thätigkeit nicht eintreten kann. Außerdem erſcheinen dieſe Organe der Selbſtver- waltung doch nur als Mittel für die Aufgaben der Regierung, und ihre ganze Exiſtenz fällt, wenn kein Geſetz da iſt, das ſie hervorgerufen, unter die Organiſationsgewalt; exiſtirt dagegen auch ein Geſetz, ſo wird es doch immer von der Regierung abhangen, wie weit ſie die Meinungen jener Organe für ihre wirkliche Thätigkeit gebrauchen will oder nicht, denn nur ſie, und nicht jene ſind verantwortlich.
Es ergibt ſich daraus, daß in dem Gebiete der Vertretungen ein Kampf zwiſchen dem Staate und der Selbſtverwaltung nicht ſtattfinden kann, und daß daher auch die geſchichtliche Entwicklung der erſteren ſich unmittelbar an die Entwicklung des Regierungsſyſtems anſchließt. Sie ſtehen, ob auch anderer Natur, doch auf demſelben Rechtsboden mit dem amtlichen Organismus; ſie ſind dann, wie ſchon bemerkt, nur im weiten Sinne Theile der Selbſtverwaltung, inſofern ſie eben nicht ſelbſt verwalten, ſondern nur eine Form der Theilnahme des Staatsbürger- thums an der wirklichen Verwaltung des Staats enthalten. In ihnen kommt, wie man ſagen kann, zwar der adminiſtrative Werth, aber nicht das politiſche Weſen der Selbſtverwaltung zur Geltung. Dieß
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[380/0404]
zu beſeitigen, auch wo ſie formell beſteht. Die Selbſtverwaltung und
das in ihr enthaltene Element des freien Staatsbürgerthums wird daher,
der Natur des ganzen Staatsorganismus nach, zu einem bloßen Schein,
der freien Verwaltung, wenn ſie durch nichts anderes geſetzt iſt als
durch den geſetzlich formulirten Willen des Staats. Sie iſt nichts,
wenn ſie auf nichts anderem beruht, als auf ihrer verfaſſungsmäßigen
Formulirung. Das entſcheidende Beiſpiel dafür iſt Frankreichs Selbſt-
verwaltung. Das Princip derſelben beruht auf den obigen Sätzen.
Und hier iſt es nun, wo der von uns aufgeſtellte Unterſchied in
dem allgemeinen Begriffe der Selbſtverwaltung der Unterſchied von Ver-
tretungen und Selbſtverwaltungskörpern, gleich anfangs von großer
Bedeutung, und die Grundlage der Geſchichte wird.
Alle Vertretungen haben nämlich das mit einander gemein, daß
das Bedürfniß nach ihnen und ihrer Thätigkeit ſowohl in der Form der
Räthe, als in der der Kammern, immer weſentlich vom Staate und
ſeiner Regierung ſelbſt ausgeht. Sie entſtehen daher nur da, wo die
Regierung ſelbſt ſie wünſcht, um eine Baſis für ihre verordnende Ge-
walt zu haben. Sie empfangen damit ihr Recht und ihre Aufgabe
auch von der Regierung ſelbſt, welche den Punkt bezeichnet, auf welchen
ſie wirken ſollen. Dazu kommt, daß dieſelben keine Theilnahme an der
wirklichen ausführenden Thätigkeit haben. Der Regierung bleibt damit
das Recht und die Möglichkeit, die Funktion dieſer Organe ſo zu be-
ſtimmen, daß ein Widerſpruch mit ihrem Willen und ihrer Thätigkeit
nicht eintreten kann. Außerdem erſcheinen dieſe Organe der Selbſtver-
waltung doch nur als Mittel für die Aufgaben der Regierung, und
ihre ganze Exiſtenz fällt, wenn kein Geſetz da iſt, das ſie hervorgerufen,
unter die Organiſationsgewalt; exiſtirt dagegen auch ein Geſetz, ſo wird
es doch immer von der Regierung abhangen, wie weit ſie die Meinungen
jener Organe für ihre wirkliche Thätigkeit gebrauchen will oder nicht,
denn nur ſie, und nicht jene ſind verantwortlich.
Es ergibt ſich daraus, daß in dem Gebiete der Vertretungen ein
Kampf zwiſchen dem Staate und der Selbſtverwaltung nicht ſtattfinden
kann, und daß daher auch die geſchichtliche Entwicklung der erſteren ſich
unmittelbar an die Entwicklung des Regierungsſyſtems anſchließt. Sie
ſtehen, ob auch anderer Natur, doch auf demſelben Rechtsboden mit
dem amtlichen Organismus; ſie ſind dann, wie ſchon bemerkt, nur im
weiten Sinne Theile der Selbſtverwaltung, inſofern ſie eben nicht ſelbſt
verwalten, ſondern nur eine Form der Theilnahme des Staatsbürger-
thums an der wirklichen Verwaltung des Staats enthalten. In ihnen
kommt, wie man ſagen kann, zwar der adminiſtrative Werth, aber
nicht das politiſche Weſen der Selbſtverwaltung zur Geltung. Dieß
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/404>, abgerufen am 22.11.2024.
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