geschieht erst in den Selbstverwaltungskörpern, und mit gutem Recht hat man daher auch in ihnen eigentlich die Selbstverwaltung gefunden; in ihnen liegt der Schwerpunkt der Geschichte und der Individualität des Staats. Und zwar deßhalb, weil sie nicht auf der Zweckmäßigkeit oder Intelligenz, sondern auf einem selbständigen Fundamente im Or- ganismus des Staats stehen.
Soll nämlich die Selbstverwaltung eine Wirklichkeit sein, so muß sie auf einem Grunde beruhen, der weder für die Regierung, noch selbst für die Verfassung als ein willkürlich antastbarer dasteht. Dieser Grund ist weder die Idee der Verwaltung, die bestritten, noch die Zweckmäßig- keit, die verschieden verstanden werden kann. Es ist kein anderer als der des geschichtlich gewordenen Rechts auf die Selbstverwaltung, mit welchem die historischen Verwaltungskörper als selbständige der selbstän- digen einheitlichen Persönlichkeit des Staats in seiner einheitlichen Ver- waltung zur Seite treten. Es kann daher keine wahre Selbstverwaltung geben und gibt keine ohne historisch gebildete und anerkannte Rechte der örtlichen Verwaltungskörper. Diese Rechte sind dann die feste Gränze, hinter der sich die Einzelnen gleichsam sammeln, um ihre Theil- nahme an der Verwaltung des Staats im Namen jenes Rechts und für ihre besondern Verhältnisse zu bethätigen. Man kann solche Körper nicht schaffen, sondern nur die gewordenen anerkennen. Die gesetzlich geschaffenen behalten nothwendig den Charakter der Gewalt, die sie erzeugt; sie sind nur dem Namen nach Körper der Selbstverwaltung, in der Wirklichkeit sind sie Amtsgebiete.
Das historische Recht der Selbstverwaltungskörper, der Länder, Gemeinden und Corporationen erscheint daher nicht bloß als eine That- sache, sondern es erscheint als ein ethisches Element des Staatslebens, welches die objektiv gesicherte Stellung der Selbstverwaltung erzeugt und erhält, die ohne sie auf die Dauer machtlos wäre. Daher stammt eigentlich der Name des historischen Rechts; überhaupt nur die Selbst- verwaltung läßt den Begriff des historischen Rechts zu; es ist mit dem- selben, als einem Recht auf einen Rechtszustand auf Grundlage geschicht- lich gegebener Thatsachen, für alle andern Rechtsgebiete gar keine Vor- stellung zu verbinden. Und darum fordert und besitzt das auf diese Weise gegebene historische Recht an und für sich eine Macht, welche keineswegs bloß auf der Macht des Gesetzes beruht. Es fordert mit gutem Sinne eine Achtung, die nicht bloß durch seinen Inhalt, sondern vielmehr durch diese seine höhere ethische Bedeutung und Funktion be- dingt ist. Es hat die Fähigkeit in sich, selbst der Verfassungsbildung als gleichberechtigter Faktor zur Seite zu treten, und darf von sich sagen, daß die Achtung vor ihm eine selbstbedingte Grundlage der
geſchieht erſt in den Selbſtverwaltungskörpern, und mit gutem Recht hat man daher auch in ihnen eigentlich die Selbſtverwaltung gefunden; in ihnen liegt der Schwerpunkt der Geſchichte und der Individualität des Staats. Und zwar deßhalb, weil ſie nicht auf der Zweckmäßigkeit oder Intelligenz, ſondern auf einem ſelbſtändigen Fundamente im Or- ganismus des Staats ſtehen.
Soll nämlich die Selbſtverwaltung eine Wirklichkeit ſein, ſo muß ſie auf einem Grunde beruhen, der weder für die Regierung, noch ſelbſt für die Verfaſſung als ein willkürlich antaſtbarer daſteht. Dieſer Grund iſt weder die Idee der Verwaltung, die beſtritten, noch die Zweckmäßig- keit, die verſchieden verſtanden werden kann. Es iſt kein anderer als der des geſchichtlich gewordenen Rechts auf die Selbſtverwaltung, mit welchem die hiſtoriſchen Verwaltungskörper als ſelbſtändige der ſelbſtän- digen einheitlichen Perſönlichkeit des Staats in ſeiner einheitlichen Ver- waltung zur Seite treten. Es kann daher keine wahre Selbſtverwaltung geben und gibt keine ohne hiſtoriſch gebildete und anerkannte Rechte der örtlichen Verwaltungskörper. Dieſe Rechte ſind dann die feſte Gränze, hinter der ſich die Einzelnen gleichſam ſammeln, um ihre Theil- nahme an der Verwaltung des Staats im Namen jenes Rechts und für ihre beſondern Verhältniſſe zu bethätigen. Man kann ſolche Körper nicht ſchaffen, ſondern nur die gewordenen anerkennen. Die geſetzlich geſchaffenen behalten nothwendig den Charakter der Gewalt, die ſie erzeugt; ſie ſind nur dem Namen nach Körper der Selbſtverwaltung, in der Wirklichkeit ſind ſie Amtsgebiete.
Das hiſtoriſche Recht der Selbſtverwaltungskörper, der Länder, Gemeinden und Corporationen erſcheint daher nicht bloß als eine That- ſache, ſondern es erſcheint als ein ethiſches Element des Staatslebens, welches die objektiv geſicherte Stellung der Selbſtverwaltung erzeugt und erhält, die ohne ſie auf die Dauer machtlos wäre. Daher ſtammt eigentlich der Name des hiſtoriſchen Rechts; überhaupt nur die Selbſt- verwaltung läßt den Begriff des hiſtoriſchen Rechts zu; es iſt mit dem- ſelben, als einem Recht auf einen Rechtszuſtand auf Grundlage geſchicht- lich gegebener Thatſachen, für alle andern Rechtsgebiete gar keine Vor- ſtellung zu verbinden. Und darum fordert und beſitzt das auf dieſe Weiſe gegebene hiſtoriſche Recht an und für ſich eine Macht, welche keineswegs bloß auf der Macht des Geſetzes beruht. Es fordert mit gutem Sinne eine Achtung, die nicht bloß durch ſeinen Inhalt, ſondern vielmehr durch dieſe ſeine höhere ethiſche Bedeutung und Funktion be- dingt iſt. Es hat die Fähigkeit in ſich, ſelbſt der Verfaſſungsbildung als gleichberechtigter Faktor zur Seite zu treten, und darf von ſich ſagen, daß die Achtung vor ihm eine ſelbſtbedingte Grundlage der
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geſchieht erſt in den Selbſtverwaltungskörpern, und mit gutem Recht
hat man daher auch in ihnen eigentlich die Selbſtverwaltung gefunden;
in ihnen liegt der Schwerpunkt der Geſchichte und der Individualität
des Staats. Und zwar deßhalb, weil ſie nicht auf der Zweckmäßigkeit
oder Intelligenz, ſondern auf einem ſelbſtändigen Fundamente im Or-
ganismus des Staats ſtehen.
Soll nämlich die Selbſtverwaltung eine Wirklichkeit ſein, ſo muß
ſie auf einem Grunde beruhen, der weder für die Regierung, noch ſelbſt
für die Verfaſſung als ein willkürlich antaſtbarer daſteht. Dieſer Grund
iſt weder die Idee der Verwaltung, die beſtritten, noch die Zweckmäßig-
keit, die verſchieden verſtanden werden kann. Es iſt kein anderer als
der des geſchichtlich gewordenen Rechts auf die Selbſtverwaltung, mit
welchem die hiſtoriſchen Verwaltungskörper als ſelbſtändige der ſelbſtän-
digen einheitlichen Perſönlichkeit des Staats in ſeiner einheitlichen Ver-
waltung zur Seite treten. Es kann daher keine wahre Selbſtverwaltung
geben und gibt keine ohne hiſtoriſch gebildete und anerkannte
Rechte der örtlichen Verwaltungskörper. Dieſe Rechte ſind dann die feſte
Gränze, hinter der ſich die Einzelnen gleichſam ſammeln, um ihre Theil-
nahme an der Verwaltung des Staats im Namen jenes Rechts und
für ihre beſondern Verhältniſſe zu bethätigen. Man kann ſolche Körper
nicht ſchaffen, ſondern nur die gewordenen anerkennen. Die geſetzlich
geſchaffenen behalten nothwendig den Charakter der Gewalt, die ſie
erzeugt; ſie ſind nur dem Namen nach Körper der Selbſtverwaltung,
in der Wirklichkeit ſind ſie Amtsgebiete.
Das hiſtoriſche Recht der Selbſtverwaltungskörper, der Länder,
Gemeinden und Corporationen erſcheint daher nicht bloß als eine That-
ſache, ſondern es erſcheint als ein ethiſches Element des Staatslebens,
welches die objektiv geſicherte Stellung der Selbſtverwaltung erzeugt und
erhält, die ohne ſie auf die Dauer machtlos wäre. Daher ſtammt
eigentlich der Name des hiſtoriſchen Rechts; überhaupt nur die Selbſt-
verwaltung läßt den Begriff des hiſtoriſchen Rechts zu; es iſt mit dem-
ſelben, als einem Recht auf einen Rechtszuſtand auf Grundlage geſchicht-
lich gegebener Thatſachen, für alle andern Rechtsgebiete gar keine Vor-
ſtellung zu verbinden. Und darum fordert und beſitzt das auf dieſe
Weiſe gegebene hiſtoriſche Recht an und für ſich eine Macht, welche
keineswegs bloß auf der Macht des Geſetzes beruht. Es fordert mit
gutem Sinne eine Achtung, die nicht bloß durch ſeinen Inhalt, ſondern
vielmehr durch dieſe ſeine höhere ethiſche Bedeutung und Funktion be-
dingt iſt. Es hat die Fähigkeit in ſich, ſelbſt der Verfaſſungsbildung
als gleichberechtigter Faktor zur Seite zu treten, und darf von ſich
ſagen, daß die Achtung vor ihm eine ſelbſtbedingte Grundlage der
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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