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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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pouvoirs des Staats die Organisation jeder freien Verfassung beruhe. So
schon in der Encyclopädie von Al. und Did. Art. Representant, Pouvoir und
a. a. O. Sieyes, die personificirte Reflexion der Revolutionen, scheidet dann die
drei Gewalten etwas anders: die gesetzgebende, die aktive oder exekutive, welche
die beiden Gewalten, die richtende und die verwaltende, zugleich enthielt, und
die coercitive; (Oeuvres I. 360) welche Auffassung zu den vier Gewalten der
Constitution von 1791 wurde. Damit ist dann diese theoretische Scheidung in
die Verfassungsurkunden aufgenommen und erhält sich bis auf die neueste Zeit,
ohne daß man damit ein klares Bild gewonnen hätte; so in den von Klüber
§. 100 bereits angeführten Chartes von Brasilien 1823 und Portugal 1826,
dann in der Verfassung von Neapel 1848, Toscana und Piemont (eod.); Benj.
Constant bringt dann unter der Restauration ein neues Moment hinein. Er
fühlt, daß wenn man mit dem System der Pouvoirs den Staat umfassen will,
auch das Königthum als eine eigenthümliche "Gewalt" erscheinen müsse, und
bezeichnet es als das Pouvoir regulateur; dadurch entstand das wunderliche
Verhältniß, daß der König zugleich als pouvoir executif und regulateur
begriffen ward; der erste Beweis, daß man mit dem Begriffe der Pouvoirs
den Staat nicht organisch erfassen kann. Demnach fehlte die einzige wahre
Grundlage dieses Verständnisses, der Begriff der Persönlichkeit. Man mußte
daher bei jenem Begriffe bleiben und um mit ihm auszureichen, schuf nun jeder
wieder andere Pouvoirs, und zwar für jedes Gebiet, das als ein selbständiges
in der Verwaltung erschien; so entstand ein Pouvoir municipal, ein Pouvoir
electif,
ein Pouvoir administratif, und bei den Deutschen sogar eine Kameral-
Gewalt. Bentham (Traite de legisl. III. 342) brachte es zu sieben Gewalten,
ohne zu sehen, daß er das Thätige aus seiner Thätigkeit, die Natur des
Staats aus seinen Funktionen, statt umgekehrt, construire. Es war offenbar,
daß man auf diesem Wege nur zu Verwirrungen gelangen könne. Ohne sich
daher über das Wesen der Pouvoirs klar zu werden, ließ man sie allmählig
fallen; sie sind, nachdem sie bis zum Ende der Restauration in Frankreich ge-
herrscht, ziemlich vollständig aus der Literatur verschwunden, und erhalten sich
nur noch in dem hergebrachten Satze, daß "der König das Haupt der voll-
ziehenden Gewalt" sey. Auf diesen Punkt kommen wir unten zurück.

Was nun die deutsche Literatur betrifft, so ist hier die Verwirrung be-
deutend größer. Allerdings geht die deutsche Staatslehre, wie schon gesagt,
von dem Grundbegriff der Hoheitsrechte, statt von dem der Gewalten aus, und
da keine Revolution an die Stelle dieses rechtlichen Begriffes den organischen
setzte, so blieb derselbe bis auf unsere Tage bestehen. Hoheitsrecht bedeutet aber
den deutschen Staatsrechtslehrern zweierlei; erstlich die Rechte, welche das König-
thum von dem Lehnsherrn historisch wirklich erworben hat, und zweitens die
Rechte, welche dem Staate seinem Wesen nach zukommen. Da keine Philosophie
dieselben über das wahre Verhältniß aufklärte, so verwechselten sie beide Seiten
der Sache beständig, und nahmen daher auch willig den Begriff der französischen
Pouvoirs in die Theorie auf, namentlich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts.
Dadurch entsteht eine solche Verwirrung aller Begriffe und Ausdrücke, daß es
fast eben so nutzlos als unmöglich ist, nach irgend einer klaren Vorstellung über

pouvoirs des Staats die Organiſation jeder freien Verfaſſung beruhe. So
ſchon in der Encyclopädie von Al. und Did. Art. Représentant, Pouvoir und
a. a. O. Sieyes, die perſonificirte Reflexion der Revolutionen, ſcheidet dann die
drei Gewalten etwas anders: die geſetzgebende, die aktive oder exekutive, welche
die beiden Gewalten, die richtende und die verwaltende, zugleich enthielt, und
die coercitive; (Oeuvres I. 360) welche Auffaſſung zu den vier Gewalten der
Conſtitution von 1791 wurde. Damit iſt dann dieſe theoretiſche Scheidung in
die Verfaſſungsurkunden aufgenommen und erhält ſich bis auf die neueſte Zeit,
ohne daß man damit ein klares Bild gewonnen hätte; ſo in den von Klüber
§. 100 bereits angeführten Chartes von Braſilien 1823 und Portugal 1826,
dann in der Verfaſſung von Neapel 1848, Toscana und Piemont (eod.); Benj.
Conſtant bringt dann unter der Reſtauration ein neues Moment hinein. Er
fühlt, daß wenn man mit dem Syſtem der Pouvoirs den Staat umfaſſen will,
auch das Königthum als eine eigenthümliche „Gewalt“ erſcheinen müſſe, und
bezeichnet es als das Pouvoir régulateur; dadurch entſtand das wunderliche
Verhältniß, daß der König zugleich als pouvoir exécutif und régulateur
begriffen ward; der erſte Beweis, daß man mit dem Begriffe der Pouvoirs
den Staat nicht organiſch erfaſſen kann. Demnach fehlte die einzige wahre
Grundlage dieſes Verſtändniſſes, der Begriff der Perſönlichkeit. Man mußte
daher bei jenem Begriffe bleiben und um mit ihm auszureichen, ſchuf nun jeder
wieder andere Pouvoirs, und zwar für jedes Gebiet, das als ein ſelbſtändiges
in der Verwaltung erſchien; ſo entſtand ein Pouvoir municipal, ein Pouvoir
électif,
ein Pouvoir administratif, und bei den Deutſchen ſogar eine Kameral-
Gewalt. Bentham (Traité de législ. III. 342) brachte es zu ſieben Gewalten,
ohne zu ſehen, daß er das Thätige aus ſeiner Thätigkeit, die Natur des
Staats aus ſeinen Funktionen, ſtatt umgekehrt, conſtruire. Es war offenbar,
daß man auf dieſem Wege nur zu Verwirrungen gelangen könne. Ohne ſich
daher über das Weſen der Pouvoirs klar zu werden, ließ man ſie allmählig
fallen; ſie ſind, nachdem ſie bis zum Ende der Reſtauration in Frankreich ge-
herrſcht, ziemlich vollſtändig aus der Literatur verſchwunden, und erhalten ſich
nur noch in dem hergebrachten Satze, daß „der König das Haupt der voll-
ziehenden Gewalt“ ſey. Auf dieſen Punkt kommen wir unten zurück.

Was nun die deutſche Literatur betrifft, ſo iſt hier die Verwirrung be-
deutend größer. Allerdings geht die deutſche Staatslehre, wie ſchon geſagt,
von dem Grundbegriff der Hoheitsrechte, ſtatt von dem der Gewalten aus, und
da keine Revolution an die Stelle dieſes rechtlichen Begriffes den organiſchen
ſetzte, ſo blieb derſelbe bis auf unſere Tage beſtehen. Hoheitsrecht bedeutet aber
den deutſchen Staatsrechtslehrern zweierlei; erſtlich die Rechte, welche das König-
thum von dem Lehnsherrn hiſtoriſch wirklich erworben hat, und zweitens die
Rechte, welche dem Staate ſeinem Weſen nach zukommen. Da keine Philoſophie
dieſelben über das wahre Verhältniß aufklärte, ſo verwechſelten ſie beide Seiten
der Sache beſtändig, und nahmen daher auch willig den Begriff der franzöſiſchen
Pouvoirs in die Theorie auf, namentlich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts.
Dadurch entſteht eine ſolche Verwirrung aller Begriffe und Ausdrücke, daß es
faſt eben ſo nutzlos als unmöglich iſt, nach irgend einer klaren Vorſtellung über

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[11/0035] pouvoirs des Staats die Organiſation jeder freien Verfaſſung beruhe. So ſchon in der Encyclopädie von Al. und Did. Art. Représentant, Pouvoir und a. a. O. Sieyes, die perſonificirte Reflexion der Revolutionen, ſcheidet dann die drei Gewalten etwas anders: die geſetzgebende, die aktive oder exekutive, welche die beiden Gewalten, die richtende und die verwaltende, zugleich enthielt, und die coercitive; (Oeuvres I. 360) welche Auffaſſung zu den vier Gewalten der Conſtitution von 1791 wurde. Damit iſt dann dieſe theoretiſche Scheidung in die Verfaſſungsurkunden aufgenommen und erhält ſich bis auf die neueſte Zeit, ohne daß man damit ein klares Bild gewonnen hätte; ſo in den von Klüber §. 100 bereits angeführten Chartes von Braſilien 1823 und Portugal 1826, dann in der Verfaſſung von Neapel 1848, Toscana und Piemont (eod.); Benj. Conſtant bringt dann unter der Reſtauration ein neues Moment hinein. Er fühlt, daß wenn man mit dem Syſtem der Pouvoirs den Staat umfaſſen will, auch das Königthum als eine eigenthümliche „Gewalt“ erſcheinen müſſe, und bezeichnet es als das Pouvoir régulateur; dadurch entſtand das wunderliche Verhältniß, daß der König zugleich als pouvoir exécutif und régulateur begriffen ward; der erſte Beweis, daß man mit dem Begriffe der Pouvoirs den Staat nicht organiſch erfaſſen kann. Demnach fehlte die einzige wahre Grundlage dieſes Verſtändniſſes, der Begriff der Perſönlichkeit. Man mußte daher bei jenem Begriffe bleiben und um mit ihm auszureichen, ſchuf nun jeder wieder andere Pouvoirs, und zwar für jedes Gebiet, das als ein ſelbſtändiges in der Verwaltung erſchien; ſo entſtand ein Pouvoir municipal, ein Pouvoir électif, ein Pouvoir administratif, und bei den Deutſchen ſogar eine Kameral- Gewalt. Bentham (Traité de législ. III. 342) brachte es zu ſieben Gewalten, ohne zu ſehen, daß er das Thätige aus ſeiner Thätigkeit, die Natur des Staats aus ſeinen Funktionen, ſtatt umgekehrt, conſtruire. Es war offenbar, daß man auf dieſem Wege nur zu Verwirrungen gelangen könne. Ohne ſich daher über das Weſen der Pouvoirs klar zu werden, ließ man ſie allmählig fallen; ſie ſind, nachdem ſie bis zum Ende der Reſtauration in Frankreich ge- herrſcht, ziemlich vollſtändig aus der Literatur verſchwunden, und erhalten ſich nur noch in dem hergebrachten Satze, daß „der König das Haupt der voll- ziehenden Gewalt“ ſey. Auf dieſen Punkt kommen wir unten zurück. Was nun die deutſche Literatur betrifft, ſo iſt hier die Verwirrung be- deutend größer. Allerdings geht die deutſche Staatslehre, wie ſchon geſagt, von dem Grundbegriff der Hoheitsrechte, ſtatt von dem der Gewalten aus, und da keine Revolution an die Stelle dieſes rechtlichen Begriffes den organiſchen ſetzte, ſo blieb derſelbe bis auf unſere Tage beſtehen. Hoheitsrecht bedeutet aber den deutſchen Staatsrechtslehrern zweierlei; erſtlich die Rechte, welche das König- thum von dem Lehnsherrn hiſtoriſch wirklich erworben hat, und zweitens die Rechte, welche dem Staate ſeinem Weſen nach zukommen. Da keine Philoſophie dieſelben über das wahre Verhältniß aufklärte, ſo verwechſelten ſie beide Seiten der Sache beſtändig, und nahmen daher auch willig den Begriff der franzöſiſchen Pouvoirs in die Theorie auf, namentlich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Dadurch entſteht eine ſolche Verwirrung aller Begriffe und Ausdrücke, daß es faſt eben ſo nutzlos als unmöglich iſt, nach irgend einer klaren Vorſtellung über

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/35>, abgerufen am 24.11.2024.