einzelnen Persönlichkeit gehen wie gesagt, aus dem Gesammtleben hervor. Dieß Gesammtleben aber ist ein sowohl innerlich als äußerlich bedingtes, und daher auch in seinen Forderungen an das Einzelleben wechselndes. Es ist nicht nothwendig, das genauer zu begründen. Es genügt wohl, darauf hinzuweisen, daß diese Verschiedenheit unter den Staaten theils auf den Landesverhältnissen, theils auf der Volksbildung, theils endlich auf den Berührungen mit andern Staaten in Krieg und Frieden beruhen. Je nachdem diese verschieden sind, oder in der Zeitfolge der historischen Entwicklung eines Volkes wechseln, werden natürlich auch die Forderungen wechseln oder verschieden sein, welche das Staatsleben an den an sich freien Verkehr der Einzelnen unter einander stellen muß. Oder, da diese Forderungen als aus der gegebenen Natur des Staats hervor- gehend, zum geltenden Rechte für die einzelnen Staatsangehörigen wer- den, so wird dieß Recht, das ja eben das bürgerliche Verwaltungsrecht ist, principiell als ein in Zeit und Land veränderliches erscheinen. Es ist dann Sache der Wissenschaft der Rechtsgeschichte, die historischen Gründe der Veränderung dieses Rechts nachzuweisen, während die Kunde der Rechtsgeschichte bloß die Thatsache dieser Veränderungen constatirt.
Das sind die beiden großen Seiten desjenigen Rechtsgebietes, das wir als das bürgerliche Recht bezeichnen. Es läßt sich aber auch schon hier angeben, welches der wesentliche Inhalt des bürgerlichen Verwal- tungsrechts gegenüber dem reinen bürgerlichen Rechte sein muß. Das erstere will das letztere keinesweges aufheben; es tritt erst da ein, wo die Beziehungen zwischen Einzelnen ihren Einfluß auf Dritte, und zwar als bedingend und bestimmend für den Willen und die Lebensverhält- nisse derselben äußern. Denn eben indem dieselben den Kreis des Einzellebens verlassen, werden sie zu Thatsachen des Gesammtlebens und fallen unter das Recht des Staats. Das bürgerliche Verwaltungs- recht hat daher keine andern Gebiete als das reine bürgerliche Recht; es bezieht sich auch nur auf die Selbständigkeit der Persönlichkeit in ihrem Verkehr mit andern. Aber es bestimmt zuerst, wann eine Per- sönlichkeit selbständig ist, und wie weit die Einheit der Familie diese Selbständigkeit modificirt; und zweitens bestimmt es, unter welchen Formen ein Verkehrsakt für Dritte Gültigkeit hat -- d. i. wenn ein Rechtsverhältniß der Einzelnen unter einander für jeden Dritten als Recht gelten soll. Alle Bestimmungen des bürgerlichen Verwaltungs- rechts lassen sich auf diese beiden Gebiete leicht zurückführen; und so bildet das bürgerliche Verwaltungsrecht schon seinem Principe nach nicht ein von dem reinen bürgerlichen Rechte geschiedenes Ganze, sondern es ist vielmehr als die im Interesse des Gemeinwohls gesetzte Form als Bedingung der einzelnen Verkehrsakte mit dem
einzelnen Perſönlichkeit gehen wie geſagt, aus dem Geſammtleben hervor. Dieß Geſammtleben aber iſt ein ſowohl innerlich als äußerlich bedingtes, und daher auch in ſeinen Forderungen an das Einzelleben wechſelndes. Es iſt nicht nothwendig, das genauer zu begründen. Es genügt wohl, darauf hinzuweiſen, daß dieſe Verſchiedenheit unter den Staaten theils auf den Landesverhältniſſen, theils auf der Volksbildung, theils endlich auf den Berührungen mit andern Staaten in Krieg und Frieden beruhen. Je nachdem dieſe verſchieden ſind, oder in der Zeitfolge der hiſtoriſchen Entwicklung eines Volkes wechſeln, werden natürlich auch die Forderungen wechſeln oder verſchieden ſein, welche das Staatsleben an den an ſich freien Verkehr der Einzelnen unter einander ſtellen muß. Oder, da dieſe Forderungen als aus der gegebenen Natur des Staats hervor- gehend, zum geltenden Rechte für die einzelnen Staatsangehörigen wer- den, ſo wird dieß Recht, das ja eben das bürgerliche Verwaltungsrecht iſt, principiell als ein in Zeit und Land veränderliches erſcheinen. Es iſt dann Sache der Wiſſenſchaft der Rechtsgeſchichte, die hiſtoriſchen Gründe der Veränderung dieſes Rechts nachzuweiſen, während die Kunde der Rechtsgeſchichte bloß die Thatſache dieſer Veränderungen conſtatirt.
Das ſind die beiden großen Seiten desjenigen Rechtsgebietes, das wir als das bürgerliche Recht bezeichnen. Es läßt ſich aber auch ſchon hier angeben, welches der weſentliche Inhalt des bürgerlichen Verwal- tungsrechts gegenüber dem reinen bürgerlichen Rechte ſein muß. Das erſtere will das letztere keinesweges aufheben; es tritt erſt da ein, wo die Beziehungen zwiſchen Einzelnen ihren Einfluß auf Dritte, und zwar als bedingend und beſtimmend für den Willen und die Lebensverhält- niſſe derſelben äußern. Denn eben indem dieſelben den Kreis des Einzellebens verlaſſen, werden ſie zu Thatſachen des Geſammtlebens und fallen unter das Recht des Staats. Das bürgerliche Verwaltungs- recht hat daher keine andern Gebiete als das reine bürgerliche Recht; es bezieht ſich auch nur auf die Selbſtändigkeit der Perſönlichkeit in ihrem Verkehr mit andern. Aber es beſtimmt zuerſt, wann eine Per- ſönlichkeit ſelbſtändig iſt, und wie weit die Einheit der Familie dieſe Selbſtändigkeit modificirt; und zweitens beſtimmt es, unter welchen Formen ein Verkehrsakt für Dritte Gültigkeit hat — d. i. wenn ein Rechtsverhältniß der Einzelnen unter einander für jeden Dritten als Recht gelten ſoll. Alle Beſtimmungen des bürgerlichen Verwaltungs- rechts laſſen ſich auf dieſe beiden Gebiete leicht zurückführen; und ſo bildet das bürgerliche Verwaltungsrecht ſchon ſeinem Principe nach nicht ein von dem reinen bürgerlichen Rechte geſchiedenes Ganze, ſondern es iſt vielmehr als die im Intereſſe des Gemeinwohls geſetzte Form als Bedingung der einzelnen Verkehrsakte mit dem
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Dieß Geſammtleben aber iſt ein ſowohl innerlich als äußerlich bedingtes,
und daher auch in ſeinen Forderungen an das Einzelleben wechſelndes.
Es iſt nicht nothwendig, das genauer zu begründen. Es genügt wohl,
darauf hinzuweiſen, daß dieſe Verſchiedenheit unter den Staaten theils
auf den Landesverhältniſſen, theils auf der Volksbildung, theils endlich
auf den Berührungen mit andern Staaten in Krieg und Frieden beruhen.
Je nachdem dieſe verſchieden ſind, oder in der Zeitfolge der hiſtoriſchen
Entwicklung eines Volkes wechſeln, werden natürlich auch die Forderungen
wechſeln oder verſchieden ſein, welche das Staatsleben an den an ſich
freien Verkehr der Einzelnen unter einander ſtellen muß. Oder, da
dieſe Forderungen als aus der gegebenen Natur des Staats hervor-
gehend, zum geltenden Rechte für die einzelnen Staatsangehörigen wer-
den, ſo wird dieß Recht, das ja eben das bürgerliche Verwaltungsrecht
iſt, principiell als ein in Zeit und Land veränderliches erſcheinen.
Es iſt dann Sache der Wiſſenſchaft der Rechtsgeſchichte, die hiſtoriſchen
Gründe der Veränderung dieſes Rechts nachzuweiſen, während die Kunde
der Rechtsgeſchichte bloß die Thatſache dieſer Veränderungen conſtatirt.
Das ſind die beiden großen Seiten desjenigen Rechtsgebietes, das
wir als das bürgerliche Recht bezeichnen. Es läßt ſich aber auch ſchon
hier angeben, welches der weſentliche Inhalt des bürgerlichen Verwal-
tungsrechts gegenüber dem reinen bürgerlichen Rechte ſein muß. Das
erſtere will das letztere keinesweges aufheben; es tritt erſt da ein, wo
die Beziehungen zwiſchen Einzelnen ihren Einfluß auf Dritte, und zwar
als bedingend und beſtimmend für den Willen und die Lebensverhält-
niſſe derſelben äußern. Denn eben indem dieſelben den Kreis des
Einzellebens verlaſſen, werden ſie zu Thatſachen des Geſammtlebens
und fallen unter das Recht des Staats. Das bürgerliche Verwaltungs-
recht hat daher keine andern Gebiete als das reine bürgerliche Recht;
es bezieht ſich auch nur auf die Selbſtändigkeit der Perſönlichkeit in
ihrem Verkehr mit andern. Aber es beſtimmt zuerſt, wann eine Per-
ſönlichkeit ſelbſtändig iſt, und wie weit die Einheit der Familie dieſe
Selbſtändigkeit modificirt; und zweitens beſtimmt es, unter welchen
Formen ein Verkehrsakt für Dritte Gültigkeit hat — d. i. wenn ein
Rechtsverhältniß der Einzelnen unter einander für jeden Dritten als
Recht gelten ſoll. Alle Beſtimmungen des bürgerlichen Verwaltungs-
rechts laſſen ſich auf dieſe beiden Gebiete leicht zurückführen; und ſo
bildet das bürgerliche Verwaltungsrecht ſchon ſeinem Principe nach
nicht ein von dem reinen bürgerlichen Rechte geſchiedenes Ganze, ſondern
es iſt vielmehr als die im Intereſſe des Gemeinwohls geſetzte
Form als Bedingung der einzelnen Verkehrsakte mit dem
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/239>, abgerufen am 22.11.2024.
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