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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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2) So lange der Befehl des vollziehenden Organs oder der Zwang
desselben sich nur auf wirthschaftliche Verhältnisse bezieht, läßt sich die
Sicherung des Rechts des Individuums gegenüber jenem Organ nur
denken in der Form einer Klage, welche nach geleistetem Gehorsam
auf Schadensersatz geführt wird, da in keinem Falle der Gehorsam durch
die Meinung, daß der Zwang ein unrechtlicher sei, beseitigt werden kann.

So wie dagegen der Zwang gegen die Freiheit der Person
selbst
geht, so tritt das höchste Element der persönlichen Selbständig-
keit mit dem Willen des Staats in Widerspruch. Hier ist es die Auf-
gabe, diese Beschränkung der persönlichen Freiheit in derjenigen Form zu
bestimmen, welche, indem sie die wirkliche Vollziehung sichert, zugleich
die rechtliche Selbständigkeit des Individuums so wenig als möglich
beschränkt.

Dazu nun gibt es zwei Wege.

Der erste Weg ist die Annahme der Bürgschaft statt der Verhaftung
oder kurz das Cautionsrecht. Das Cautions- oder Bürgschaftsrecht
beruht darauf, daß es bei der Vollziehung eines Gesetzes sich nicht grund-
sätzlich um die Unterwerfung des Einzelnen unter den Willen des Staats
handelt, sondern nur um die Gewißheit, daß dieser Wille überhaupt
vollzogen werde, und daß die Freiheit der Person als das höchste Gut
des Einzelnen eben darum so lange unangetastet bleiben müsse, als es
ein anderes Mittel gibt, jene Vollziehung zu sichern. Dieß Mittel
besteht nun in der Sicherung der Vollziehung durch die Hingabe eines
wirthschaftlichen Gutes an die vollziehende Gewalt, dessen Verlust durch
seinen Werth dem Maße der Strafe, welche möglicher Weise ausgesprochen
werden könnte, entspricht. Die Caution ist der Akt, durch welchen ein
solcher Werth als Objekt der Vollziehung der polizeilichen Gewalt ge-
sichert wird. Das Recht, an der Stelle der persönlichen Verhaftung
eine Caution stellen zu dürfen, ist daher die Anerkennung der staats-
bürgerlichen Freiheit gegenüber der Zwangsgewalt des Staats; allein
so natürlich sie in geringern Fällen ist, so unmöglich ist sie in andern
Fällen. Es muß daher gesetzlich die Grundlage feststehen, auf der sie
zugelassen oder abgewiesen werden soll.

Der zweite Weg besteht darin, daß die Polizeigewalt, wo die Ver-
haftung wirklich eintreten muß, den Einzelnen sofort dem Organe des
Staats, welches das Recht verwaltet, dem Gerichte, übergeben muß.
Mit dem richterlichen Urtheil und Verfahren tritt der Einzelne in den
gesetzlichen Proceß, und der Moment der subjektiven Willkür verschwindet.
Wesentlich ist natürlich die gesetzliche Bestimmung der Zeit, welche
zwischen der Verhaftung und der Uebergabe an den Richter liegen muß;
denn Zeit und Form bilden hier den Inhalt des Rechts der staats-

2) So lange der Befehl des vollziehenden Organs oder der Zwang
deſſelben ſich nur auf wirthſchaftliche Verhältniſſe bezieht, läßt ſich die
Sicherung des Rechts des Individuums gegenüber jenem Organ nur
denken in der Form einer Klage, welche nach geleiſtetem Gehorſam
auf Schadenserſatz geführt wird, da in keinem Falle der Gehorſam durch
die Meinung, daß der Zwang ein unrechtlicher ſei, beſeitigt werden kann.

So wie dagegen der Zwang gegen die Freiheit der Perſon
ſelbſt
geht, ſo tritt das höchſte Element der perſönlichen Selbſtändig-
keit mit dem Willen des Staats in Widerſpruch. Hier iſt es die Auf-
gabe, dieſe Beſchränkung der perſönlichen Freiheit in derjenigen Form zu
beſtimmen, welche, indem ſie die wirkliche Vollziehung ſichert, zugleich
die rechtliche Selbſtändigkeit des Individuums ſo wenig als möglich
beſchränkt.

Dazu nun gibt es zwei Wege.

Der erſte Weg iſt die Annahme der Bürgſchaft ſtatt der Verhaftung
oder kurz das Cautionsrecht. Das Cautions- oder Bürgſchaftsrecht
beruht darauf, daß es bei der Vollziehung eines Geſetzes ſich nicht grund-
ſätzlich um die Unterwerfung des Einzelnen unter den Willen des Staats
handelt, ſondern nur um die Gewißheit, daß dieſer Wille überhaupt
vollzogen werde, und daß die Freiheit der Perſon als das höchſte Gut
des Einzelnen eben darum ſo lange unangetaſtet bleiben müſſe, als es
ein anderes Mittel gibt, jene Vollziehung zu ſichern. Dieß Mittel
beſteht nun in der Sicherung der Vollziehung durch die Hingabe eines
wirthſchaftlichen Gutes an die vollziehende Gewalt, deſſen Verluſt durch
ſeinen Werth dem Maße der Strafe, welche möglicher Weiſe ausgeſprochen
werden könnte, entſpricht. Die Caution iſt der Akt, durch welchen ein
ſolcher Werth als Objekt der Vollziehung der polizeilichen Gewalt ge-
ſichert wird. Das Recht, an der Stelle der perſönlichen Verhaftung
eine Caution ſtellen zu dürfen, iſt daher die Anerkennung der ſtaats-
bürgerlichen Freiheit gegenüber der Zwangsgewalt des Staats; allein
ſo natürlich ſie in geringern Fällen iſt, ſo unmöglich iſt ſie in andern
Fällen. Es muß daher geſetzlich die Grundlage feſtſtehen, auf der ſie
zugelaſſen oder abgewieſen werden ſoll.

Der zweite Weg beſteht darin, daß die Polizeigewalt, wo die Ver-
haftung wirklich eintreten muß, den Einzelnen ſofort dem Organe des
Staats, welches das Recht verwaltet, dem Gerichte, übergeben muß.
Mit dem richterlichen Urtheil und Verfahren tritt der Einzelne in den
geſetzlichen Proceß, und der Moment der ſubjektiven Willkür verſchwindet.
Weſentlich iſt natürlich die geſetzliche Beſtimmung der Zeit, welche
zwiſchen der Verhaftung und der Uebergabe an den Richter liegen muß;
denn Zeit und Form bilden hier den Inhalt des Rechts der ſtaats-

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[203/0227] 2) So lange der Befehl des vollziehenden Organs oder der Zwang deſſelben ſich nur auf wirthſchaftliche Verhältniſſe bezieht, läßt ſich die Sicherung des Rechts des Individuums gegenüber jenem Organ nur denken in der Form einer Klage, welche nach geleiſtetem Gehorſam auf Schadenserſatz geführt wird, da in keinem Falle der Gehorſam durch die Meinung, daß der Zwang ein unrechtlicher ſei, beſeitigt werden kann. So wie dagegen der Zwang gegen die Freiheit der Perſon ſelbſt geht, ſo tritt das höchſte Element der perſönlichen Selbſtändig- keit mit dem Willen des Staats in Widerſpruch. Hier iſt es die Auf- gabe, dieſe Beſchränkung der perſönlichen Freiheit in derjenigen Form zu beſtimmen, welche, indem ſie die wirkliche Vollziehung ſichert, zugleich die rechtliche Selbſtändigkeit des Individuums ſo wenig als möglich beſchränkt. Dazu nun gibt es zwei Wege. Der erſte Weg iſt die Annahme der Bürgſchaft ſtatt der Verhaftung oder kurz das Cautionsrecht. Das Cautions- oder Bürgſchaftsrecht beruht darauf, daß es bei der Vollziehung eines Geſetzes ſich nicht grund- ſätzlich um die Unterwerfung des Einzelnen unter den Willen des Staats handelt, ſondern nur um die Gewißheit, daß dieſer Wille überhaupt vollzogen werde, und daß die Freiheit der Perſon als das höchſte Gut des Einzelnen eben darum ſo lange unangetaſtet bleiben müſſe, als es ein anderes Mittel gibt, jene Vollziehung zu ſichern. Dieß Mittel beſteht nun in der Sicherung der Vollziehung durch die Hingabe eines wirthſchaftlichen Gutes an die vollziehende Gewalt, deſſen Verluſt durch ſeinen Werth dem Maße der Strafe, welche möglicher Weiſe ausgeſprochen werden könnte, entſpricht. Die Caution iſt der Akt, durch welchen ein ſolcher Werth als Objekt der Vollziehung der polizeilichen Gewalt ge- ſichert wird. Das Recht, an der Stelle der perſönlichen Verhaftung eine Caution ſtellen zu dürfen, iſt daher die Anerkennung der ſtaats- bürgerlichen Freiheit gegenüber der Zwangsgewalt des Staats; allein ſo natürlich ſie in geringern Fällen iſt, ſo unmöglich iſt ſie in andern Fällen. Es muß daher geſetzlich die Grundlage feſtſtehen, auf der ſie zugelaſſen oder abgewieſen werden ſoll. Der zweite Weg beſteht darin, daß die Polizeigewalt, wo die Ver- haftung wirklich eintreten muß, den Einzelnen ſofort dem Organe des Staats, welches das Recht verwaltet, dem Gerichte, übergeben muß. Mit dem richterlichen Urtheil und Verfahren tritt der Einzelne in den geſetzlichen Proceß, und der Moment der ſubjektiven Willkür verſchwindet. Weſentlich iſt natürlich die geſetzliche Beſtimmung der Zeit, welche zwiſchen der Verhaftung und der Uebergabe an den Richter liegen muß; denn Zeit und Form bilden hier den Inhalt des Rechts der ſtaats-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/227>, abgerufen am 28.03.2024.