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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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II. 140.) Wir werden in der Verwaltungslehre darauf zurückkommen. Doch
dürfen wir schon hier zur Aufklärung über die Geschichte dieses Begriffes und
sein Verhältniß zur Verwaltungslehre einige Bemerkungen hinzufügen.

Ohne Zweifel besteht nämlich der Gang der theoretischen Entwicklung darin,
daß die "Polizei" ursprünglich nicht bloß das materielle Gebiet, sondern sogar
die höhere Idee der Verwaltung ausdrückte, wovon sich dann allmählig die
eigentliche Polizei als Sicherheitspolizei ablöst, in unsrer Zeit jedoch noch
immer beides zugleich bedeutet, was auch nicht eher besser werden wird, als
bis wir den Begriff einer selbständigen Verwaltungslehre anerkannt haben
werden. Natürlich ist unter diesen Umständen von einem klaren Verständniß
des Polizeirechts keine Rede, da es bald Zwangsrecht, bald Verwaltungs-
recht, bald beides zugleich bedeutet.

Die ursprüngliche Auffassung, wie wir sie bei Seckendorf finden, kommt
eigentlich weder zu der bestimmten Frage nach dem Princip der Verwaltung,
noch zu der Gränze ihres Rechts, sondern setzt einfach, daß die "Mittel der
Handhabung hauptsächlich und insgemein in dem obrigkeitlichen Zwang und
rechtmäßiger Gewalt, welche nach göttlicher und aller Völker Ordnung und
Recht, derselben zukommen, und zu Vollstreckung ihres Amts unabänderlich
gehört," bestehen (Thl. II. Kap. X.). Die Gränze des Rechts bleibt dabei
natürlich unentwickelt, und der Regent, beziehungsweise die Obrigkeit, be-
stimmt allein, was zur Handhabung ihrer Aufgabe "unabsonderlich" gehört.
Es ist das der Standpunkt der Vermischung des göttlichen und des fürstlichen
Rechts, den uns der Ausdruck "Obrigkeit" bezeichnet, der dem 16. und 17.
Jahrhundert eigenthümlich ist, und der den Begriff der Polizei noch gar nicht
kennt. Dieser erscheint erst im folgenden Jahrhundert.

Der Kampf der ständischen Autonomie gegen die staatliche Gewalt des
Fürstenthums erzeugt nun den Versuch, jene unabsonderlichen Handhabungs-
mittel der Regierung auf einen festen Rechtsboden zurückzuführen, und damit
in dem Begriff der Polizei die erste Frage nach der Polizeigewalt. Die Polizei
selbst erschien als ein selbständiges Hoheitsrecht des Staats neben den andern
Hoheitsrechten, und jetzt strebte man, die rechtlichen Gränzen dieser Hoheit,
wie die der andern, zu finden. Die natur der Sache machte das natürlich
unmöglich. Die Lehrer des allgemeinen, wie namentlich die des deutschen
Staatsrechts, denen beide Principien, das der Verwaltung und das der indi-
viduellen Selbständigkeit, gleichmäßig klar waren, ohne daß sie sie in Harmonie
zu bringen wußten, umgingen die eigentliche Frage, indem sie beide zugleich
aufstellten, den Begriff und die Aufgabe der Polizeigewalt ganz allgemein
definirten, und es nun jedem überließen, sich in Betreff der praktischen Gränze
selbst zurecht zu finden. So Pütter a. a. O. Gönner §. 328 und 363.
Klüber §. 383 ff. Zachariä Kap. II. §. 161 ("die rechtlichen Gränzen der
Polizeigewalt sind im Allgemeinen die nämlichen, welche für die Staatsgewalt
überhaupt aufgestellt wurden"). Maurenbrecher §. 188 und 195 ("in den
Zwecken der Polizei liegt die natürliche Gränze der Polizeigewalt"), wörtlich
wie Berg, Polizeirecht I. 88 ("die Polizei darf nie weiter gehen, als ihr eigen-
thümlicher Zweck erfordert"). -- Eine ganz andere Gestalt bekam die Frage, als

II. 140.) Wir werden in der Verwaltungslehre darauf zurückkommen. Doch
dürfen wir ſchon hier zur Aufklärung über die Geſchichte dieſes Begriffes und
ſein Verhältniß zur Verwaltungslehre einige Bemerkungen hinzufügen.

Ohne Zweifel beſteht nämlich der Gang der theoretiſchen Entwicklung darin,
daß die „Polizei“ urſprünglich nicht bloß das materielle Gebiet, ſondern ſogar
die höhere Idee der Verwaltung ausdrückte, wovon ſich dann allmählig die
eigentliche Polizei als Sicherheitspolizei ablöst, in unſrer Zeit jedoch noch
immer beides zugleich bedeutet, was auch nicht eher beſſer werden wird, als
bis wir den Begriff einer ſelbſtändigen Verwaltungslehre anerkannt haben
werden. Natürlich iſt unter dieſen Umſtänden von einem klaren Verſtändniß
des Polizeirechts keine Rede, da es bald Zwangsrecht, bald Verwaltungs-
recht, bald beides zugleich bedeutet.

Die urſprüngliche Auffaſſung, wie wir ſie bei Seckendorf finden, kommt
eigentlich weder zu der beſtimmten Frage nach dem Princip der Verwaltung,
noch zu der Gränze ihres Rechts, ſondern ſetzt einfach, daß die „Mittel der
Handhabung hauptſächlich und insgemein in dem obrigkeitlichen Zwang und
rechtmäßiger Gewalt, welche nach göttlicher und aller Völker Ordnung und
Recht, derſelben zukommen, und zu Vollſtreckung ihres Amts unabänderlich
gehört,“ beſtehen (Thl. II. Kap. X.). Die Gränze des Rechts bleibt dabei
natürlich unentwickelt, und der Regent, beziehungsweiſe die Obrigkeit, be-
ſtimmt allein, was zur Handhabung ihrer Aufgabe „unabſonderlich“ gehört.
Es iſt das der Standpunkt der Vermiſchung des göttlichen und des fürſtlichen
Rechts, den uns der Ausdruck „Obrigkeit“ bezeichnet, der dem 16. und 17.
Jahrhundert eigenthümlich iſt, und der den Begriff der Polizei noch gar nicht
kennt. Dieſer erſcheint erſt im folgenden Jahrhundert.

Der Kampf der ſtändiſchen Autonomie gegen die ſtaatliche Gewalt des
Fürſtenthums erzeugt nun den Verſuch, jene unabſonderlichen Handhabungs-
mittel der Regierung auf einen feſten Rechtsboden zurückzuführen, und damit
in dem Begriff der Polizei die erſte Frage nach der Polizeigewalt. Die Polizei
ſelbſt erſchien als ein ſelbſtändiges Hoheitsrecht des Staats neben den andern
Hoheitsrechten, und jetzt ſtrebte man, die rechtlichen Gränzen dieſer Hoheit,
wie die der andern, zu finden. Die natur der Sache machte das natürlich
unmöglich. Die Lehrer des allgemeinen, wie namentlich die des deutſchen
Staatsrechts, denen beide Principien, das der Verwaltung und das der indi-
viduellen Selbſtändigkeit, gleichmäßig klar waren, ohne daß ſie ſie in Harmonie
zu bringen wußten, umgingen die eigentliche Frage, indem ſie beide zugleich
aufſtellten, den Begriff und die Aufgabe der Polizeigewalt ganz allgemein
definirten, und es nun jedem überließen, ſich in Betreff der praktiſchen Gränze
ſelbſt zurecht zu finden. So Pütter a. a. O. Gönner §. 328 und 363.
Klüber §. 383 ff. Zachariä Kap. II. §. 161 („die rechtlichen Gränzen der
Polizeigewalt ſind im Allgemeinen die nämlichen, welche für die Staatsgewalt
überhaupt aufgeſtellt wurden“). Maurenbrecher §. 188 und 195 („in den
Zwecken der Polizei liegt die natürliche Gränze der Polizeigewalt“), wörtlich
wie Berg, Polizeirecht I. 88 („die Polizei darf nie weiter gehen, als ihr eigen-
thümlicher Zweck erfordert“). — Eine ganz andere Geſtalt bekam die Frage, als

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[199/0223] II. 140.) Wir werden in der Verwaltungslehre darauf zurückkommen. Doch dürfen wir ſchon hier zur Aufklärung über die Geſchichte dieſes Begriffes und ſein Verhältniß zur Verwaltungslehre einige Bemerkungen hinzufügen. Ohne Zweifel beſteht nämlich der Gang der theoretiſchen Entwicklung darin, daß die „Polizei“ urſprünglich nicht bloß das materielle Gebiet, ſondern ſogar die höhere Idee der Verwaltung ausdrückte, wovon ſich dann allmählig die eigentliche Polizei als Sicherheitspolizei ablöst, in unſrer Zeit jedoch noch immer beides zugleich bedeutet, was auch nicht eher beſſer werden wird, als bis wir den Begriff einer ſelbſtändigen Verwaltungslehre anerkannt haben werden. Natürlich iſt unter dieſen Umſtänden von einem klaren Verſtändniß des Polizeirechts keine Rede, da es bald Zwangsrecht, bald Verwaltungs- recht, bald beides zugleich bedeutet. Die urſprüngliche Auffaſſung, wie wir ſie bei Seckendorf finden, kommt eigentlich weder zu der beſtimmten Frage nach dem Princip der Verwaltung, noch zu der Gränze ihres Rechts, ſondern ſetzt einfach, daß die „Mittel der Handhabung hauptſächlich und insgemein in dem obrigkeitlichen Zwang und rechtmäßiger Gewalt, welche nach göttlicher und aller Völker Ordnung und Recht, derſelben zukommen, und zu Vollſtreckung ihres Amts unabänderlich gehört,“ beſtehen (Thl. II. Kap. X.). Die Gränze des Rechts bleibt dabei natürlich unentwickelt, und der Regent, beziehungsweiſe die Obrigkeit, be- ſtimmt allein, was zur Handhabung ihrer Aufgabe „unabſonderlich“ gehört. Es iſt das der Standpunkt der Vermiſchung des göttlichen und des fürſtlichen Rechts, den uns der Ausdruck „Obrigkeit“ bezeichnet, der dem 16. und 17. Jahrhundert eigenthümlich iſt, und der den Begriff der Polizei noch gar nicht kennt. Dieſer erſcheint erſt im folgenden Jahrhundert. Der Kampf der ſtändiſchen Autonomie gegen die ſtaatliche Gewalt des Fürſtenthums erzeugt nun den Verſuch, jene unabſonderlichen Handhabungs- mittel der Regierung auf einen feſten Rechtsboden zurückzuführen, und damit in dem Begriff der Polizei die erſte Frage nach der Polizeigewalt. Die Polizei ſelbſt erſchien als ein ſelbſtändiges Hoheitsrecht des Staats neben den andern Hoheitsrechten, und jetzt ſtrebte man, die rechtlichen Gränzen dieſer Hoheit, wie die der andern, zu finden. Die natur der Sache machte das natürlich unmöglich. Die Lehrer des allgemeinen, wie namentlich die des deutſchen Staatsrechts, denen beide Principien, das der Verwaltung und das der indi- viduellen Selbſtändigkeit, gleichmäßig klar waren, ohne daß ſie ſie in Harmonie zu bringen wußten, umgingen die eigentliche Frage, indem ſie beide zugleich aufſtellten, den Begriff und die Aufgabe der Polizeigewalt ganz allgemein definirten, und es nun jedem überließen, ſich in Betreff der praktiſchen Gränze ſelbſt zurecht zu finden. So Pütter a. a. O. Gönner §. 328 und 363. Klüber §. 383 ff. Zachariä Kap. II. §. 161 („die rechtlichen Gränzen der Polizeigewalt ſind im Allgemeinen die nämlichen, welche für die Staatsgewalt überhaupt aufgeſtellt wurden“). Maurenbrecher §. 188 und 195 („in den Zwecken der Polizei liegt die natürliche Gränze der Polizeigewalt“), wörtlich wie Berg, Polizeirecht I. 88 („die Polizei darf nie weiter gehen, als ihr eigen- thümlicher Zweck erfordert“). — Eine ganz andere Geſtalt bekam die Frage, als

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/223>, abgerufen am 22.11.2024.