Man hat nämlich den ganzen Standpunkt dieser Competenz aus weiter gehenden Gründen bestritten, und zwar nicht so sehr aus dem begrifflichen Wesen des Gerichts, als vielmehr aus der Natur seiner organischen Funktion im Gesammtleben des Staats. Es ist nothwendig die Zweifel genau zu erwägen.
Man hat nämlich gesagt, daß ein solches Recht des Gerichts nicht bloß die Verwaltung, sondern den gesammten rechtlichen Zustand unsicher mache. Und zwar darum, weil das Gericht selbst einerseits an seine Urtheile nicht gebunden ist, und daher der Fall eintreten könne, daß dasselbe Gesetz einmal als solches anerkannt, das anderemal als solches nicht anerkannt werde. Diese Möglichkeit, die theils im Wesen des Instanzenzuges liege, theils auch in der vollen Unabhängigkeit der Ge- richte gleicher Instanzen neben einander, müsse zur völligen Auflösung des gesetzlichen Rechts führen. Die Entscheidung über das Vorhanden- sein eines Gesetzes sei daher im Widerspruch mit der organischen Funktion des Gerichts, und seine Competenz müsse daher da aufhören, wo diese Gesetzesqualität bestritten wird.
Man hat ferner gesagt, daß durch eine solche Competenz des Ge- richts nicht bloß die Qualität und das Recht der ganzen Gesetzgebung, sondern auch das Verordnungsrecht, und damit die gesammte Thätigkeit der Verwaltung gefährdet erscheine. Denn die Möglichkeit, daß das Gericht eine Verordnung im Namen eines Gesetzes für ungültig erkläre, bedrohe den Gehorsam, und damit den Staat selber.
Diese Erwägungen nun beruhen auf einem durchgreifenden Miß- verständniß über den Inhalt desjenigen, worüber das Gericht zu entscheiden hat. Und es ist von ganz entscheidender Bedeutung, sich dieß so klar und bestimmt zu formuliren als möglich. Denn vielleicht sind es gerade die Befürchtungen, welche dem einfachen von uns auf- gestellten Klagrecht seinen Eingang in die Praxis verwehren.
In der That nämlich hat das Gericht niemals weder die Ge- setzesqualität noch die Gültigkeit eines öffentlichen Aktes als solchen zum Gegenstand und Inhalt seiner Entscheidung zu machen; das Urtheil eines Gerichts kann niemals das Gesetz und die Ver- ordnung als solche betreffen. Daher kann auch das Gericht niemals auf den Gehorsam der Staatsbürger gegenüber der voll- ziehenden Gewalt einen unmittelbaren Einfluß haben; das Gericht ist im Gegentheil verpflichtet, den Ungehorsam selbst gegen ungesetzliche Verordnungen zu bestrafen, sobald derselbe den passiven Widerstand überschreitet. Die Nichtanerkennung der Gesetzlichkeit einer Verordnung oder der Gesetzesqualität eines öffentlichen Akts, indem dieselbe nicht einmal für den einzelnen fraglichen Fall die Verpflichtung zum Gehorsam
Man hat nämlich den ganzen Standpunkt dieſer Competenz aus weiter gehenden Gründen beſtritten, und zwar nicht ſo ſehr aus dem begrifflichen Weſen des Gerichts, als vielmehr aus der Natur ſeiner organiſchen Funktion im Geſammtleben des Staats. Es iſt nothwendig die Zweifel genau zu erwägen.
Man hat nämlich geſagt, daß ein ſolches Recht des Gerichts nicht bloß die Verwaltung, ſondern den geſammten rechtlichen Zuſtand unſicher mache. Und zwar darum, weil das Gericht ſelbſt einerſeits an ſeine Urtheile nicht gebunden iſt, und daher der Fall eintreten könne, daß daſſelbe Geſetz einmal als ſolches anerkannt, das anderemal als ſolches nicht anerkannt werde. Dieſe Möglichkeit, die theils im Weſen des Inſtanzenzuges liege, theils auch in der vollen Unabhängigkeit der Ge- richte gleicher Inſtanzen neben einander, müſſe zur völligen Auflöſung des geſetzlichen Rechts führen. Die Entſcheidung über das Vorhanden- ſein eines Geſetzes ſei daher im Widerſpruch mit der organiſchen Funktion des Gerichts, und ſeine Competenz müſſe daher da aufhören, wo dieſe Geſetzesqualität beſtritten wird.
Man hat ferner geſagt, daß durch eine ſolche Competenz des Ge- richts nicht bloß die Qualität und das Recht der ganzen Geſetzgebung, ſondern auch das Verordnungsrecht, und damit die geſammte Thätigkeit der Verwaltung gefährdet erſcheine. Denn die Möglichkeit, daß das Gericht eine Verordnung im Namen eines Geſetzes für ungültig erkläre, bedrohe den Gehorſam, und damit den Staat ſelber.
Dieſe Erwägungen nun beruhen auf einem durchgreifenden Miß- verſtändniß über den Inhalt desjenigen, worüber das Gericht zu entſcheiden hat. Und es iſt von ganz entſcheidender Bedeutung, ſich dieß ſo klar und beſtimmt zu formuliren als möglich. Denn vielleicht ſind es gerade die Befürchtungen, welche dem einfachen von uns auf- geſtellten Klagrecht ſeinen Eingang in die Praxis verwehren.
In der That nämlich hat das Gericht niemals weder die Ge- ſetzesqualität noch die Gültigkeit eines öffentlichen Aktes als ſolchen zum Gegenſtand und Inhalt ſeiner Entſcheidung zu machen; das Urtheil eines Gerichts kann niemals das Geſetz und die Ver- ordnung als ſolche betreffen. Daher kann auch das Gericht niemals auf den Gehorſam der Staatsbürger gegenüber der voll- ziehenden Gewalt einen unmittelbaren Einfluß haben; das Gericht iſt im Gegentheil verpflichtet, den Ungehorſam ſelbſt gegen ungeſetzliche Verordnungen zu beſtrafen, ſobald derſelbe den paſſiven Widerſtand überſchreitet. Die Nichtanerkennung der Geſetzlichkeit einer Verordnung oder der Geſetzesqualität eines öffentlichen Akts, indem dieſelbe nicht einmal für den einzelnen fraglichen Fall die Verpflichtung zum Gehorſam
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Man hat nämlich den ganzen Standpunkt dieſer Competenz aus
weiter gehenden Gründen beſtritten, und zwar nicht ſo ſehr aus dem
begrifflichen Weſen des Gerichts, als vielmehr aus der Natur ſeiner
organiſchen Funktion im Geſammtleben des Staats. Es iſt nothwendig
die Zweifel genau zu erwägen.
Man hat nämlich geſagt, daß ein ſolches Recht des Gerichts nicht
bloß die Verwaltung, ſondern den geſammten rechtlichen Zuſtand unſicher
mache. Und zwar darum, weil das Gericht ſelbſt einerſeits an ſeine
Urtheile nicht gebunden iſt, und daher der Fall eintreten könne, daß
daſſelbe Geſetz einmal als ſolches anerkannt, das anderemal als ſolches
nicht anerkannt werde. Dieſe Möglichkeit, die theils im Weſen des
Inſtanzenzuges liege, theils auch in der vollen Unabhängigkeit der Ge-
richte gleicher Inſtanzen neben einander, müſſe zur völligen Auflöſung
des geſetzlichen Rechts führen. Die Entſcheidung über das Vorhanden-
ſein eines Geſetzes ſei daher im Widerſpruch mit der organiſchen Funktion
des Gerichts, und ſeine Competenz müſſe daher da aufhören, wo dieſe
Geſetzesqualität beſtritten wird.
Man hat ferner geſagt, daß durch eine ſolche Competenz des Ge-
richts nicht bloß die Qualität und das Recht der ganzen Geſetzgebung,
ſondern auch das Verordnungsrecht, und damit die geſammte Thätigkeit
der Verwaltung gefährdet erſcheine. Denn die Möglichkeit, daß das
Gericht eine Verordnung im Namen eines Geſetzes für ungültig erkläre,
bedrohe den Gehorſam, und damit den Staat ſelber.
Dieſe Erwägungen nun beruhen auf einem durchgreifenden Miß-
verſtändniß über den Inhalt desjenigen, worüber das Gericht
zu entſcheiden hat. Und es iſt von ganz entſcheidender Bedeutung,
ſich dieß ſo klar und beſtimmt zu formuliren als möglich. Denn vielleicht
ſind es gerade die Befürchtungen, welche dem einfachen von uns auf-
geſtellten Klagrecht ſeinen Eingang in die Praxis verwehren.
In der That nämlich hat das Gericht niemals weder die Ge-
ſetzesqualität noch die Gültigkeit eines öffentlichen Aktes als
ſolchen zum Gegenſtand und Inhalt ſeiner Entſcheidung zu machen;
das Urtheil eines Gerichts kann niemals das Geſetz und die Ver-
ordnung als ſolche betreffen. Daher kann auch das Gericht
niemals auf den Gehorſam der Staatsbürger gegenüber der voll-
ziehenden Gewalt einen unmittelbaren Einfluß haben; das Gericht iſt
im Gegentheil verpflichtet, den Ungehorſam ſelbſt gegen ungeſetzliche
Verordnungen zu beſtrafen, ſobald derſelbe den paſſiven Widerſtand
überſchreitet. Die Nichtanerkennung der Geſetzlichkeit einer Verordnung
oder der Geſetzesqualität eines öffentlichen Akts, indem dieſelbe nicht
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/216>, abgerufen am 14.10.2024.
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