Proceß -- abgesehen von der formellen Frage -- als im Widerspruch mit dem Leben jener Zeit erscheint. Die Regierung muß sich frei bewegen können; die Gesetze sind theils nicht fertig, theils steht ihr Begriff nicht einmal fest; jeder Akt der Regierung kann daher, so weit es sich eben um das Verhältniß der einzelnen Lebenssphäre zum öffent- lichen Recht handelt, auch nur von der verordnenden Gewalt richtig beurtheilt werden, oder, die Competenz der Gerichte ist für Regierungshandlungen ausgeschlossen. Das ist der Grund- zug des öffentlichen Rechts im Beginne der Verfassungsbildung.
Dieses Princip gewinnt nun eine doppelte Gestalt.
Die erste Form desselben besteht einfach in der Annahme der französischen Idee des contentieux. Sie war den deutschen Juristen sehr verständlich, weil sie die Möglichkeit fanden, ihren früheren Begriff der Justiz- und Administrativsachen darauf anzuwenden, den Regierun- gen aber, weil sie dadurch grundsätzlich ihre Verwaltungsthätigkeit den Gerichten entzogen. So wurde der Begriff und das Recht der französi- schen Administrativjustiz von einigen Verfassungen unmittelbar aus Frankreich recipirt, und zu einem systematischen Theile des öffentlichen Rechts in der Gesetzgebung verarbeitet. An der Spitze dieser Richtung stand und steht bekanntlich Bayern, das Form und Inhalt der juris- diction administrative zu einer selbständigen Gesetzgebung erhob und ganz nach französischem Muster die Fälle der Verwaltungsgerichtbarkeit aus- drücklich bezeichnete und von der gerichtlichen Competenz ausschied. (Siehe Pötzl, Bayerisches Verfassungsrecht §. 153, Verwaltungsrecht §. 16--18, höchst klar und einfach zusammengefaßt in §. 55, weitläufiger bei Moy, Bayerisches Verfassungsrecht I.) Das Gesetz vom 28. Mai 1850 behält dieselbe Basis; es sind die Begriffe des bejahenden und verneinenden Conflikts aufgeführt und ein Competenzgerichtshof eingesetzt, der sich vom französischen Conseil d'Etat wesentlich dadurch unterscheidet, daß Mitglieder des obersten Gerichtshofes hinzugezogen werden. Die freiere Auffassung des deutschen Rechts zeigt sich darin, daß der conflit negatif von jeder Partei, also auch gegen die Administration, erhoben werden kann; zweitens aber in dem wichtigen Satz, daß die, am Ende doch nie ganz vermeidliche Frage nach der Rechtsgültigkeit der Gesetze und Verordnungen zwar den Gerichten genommen, aber dafür der Volks- vertretung übergeben wird, wie in der preußischen Verfassung §. 106 (freilich nur in Beziehung auf Verordnungen) und spezieller in dem hannöverischen Gesetze vom 1. August 1855, III. §. 4, wo den Kammern, ganz richtig, keine einseitige Entscheidung, sondern nur "Anträge" gestattet sind, wenn die verfassungsmäßige Mitwirkung der Stände in Zweifel kommt. Stubenrauch, Gutachten (Verhandlungen des vierten deutschen
Proceß — abgeſehen von der formellen Frage — als im Widerſpruch mit dem Leben jener Zeit erſcheint. Die Regierung muß ſich frei bewegen können; die Geſetze ſind theils nicht fertig, theils ſteht ihr Begriff nicht einmal feſt; jeder Akt der Regierung kann daher, ſo weit es ſich eben um das Verhältniß der einzelnen Lebensſphäre zum öffent- lichen Recht handelt, auch nur von der verordnenden Gewalt richtig beurtheilt werden, oder, die Competenz der Gerichte iſt für Regierungshandlungen ausgeſchloſſen. Das iſt der Grund- zug des öffentlichen Rechts im Beginne der Verfaſſungsbildung.
Dieſes Princip gewinnt nun eine doppelte Geſtalt.
Die erſte Form deſſelben beſteht einfach in der Annahme der franzöſiſchen Idee des contentieux. Sie war den deutſchen Juriſten ſehr verſtändlich, weil ſie die Möglichkeit fanden, ihren früheren Begriff der Juſtiz- und Adminiſtrativſachen darauf anzuwenden, den Regierun- gen aber, weil ſie dadurch grundſätzlich ihre Verwaltungsthätigkeit den Gerichten entzogen. So wurde der Begriff und das Recht der franzöſi- ſchen Adminiſtrativjuſtiz von einigen Verfaſſungen unmittelbar aus Frankreich recipirt, und zu einem ſyſtematiſchen Theile des öffentlichen Rechts in der Geſetzgebung verarbeitet. An der Spitze dieſer Richtung ſtand und ſteht bekanntlich Bayern, das Form und Inhalt der juris- diction administrative zu einer ſelbſtändigen Geſetzgebung erhob und ganz nach franzöſiſchem Muſter die Fälle der Verwaltungsgerichtbarkeit aus- drücklich bezeichnete und von der gerichtlichen Competenz ausſchied. (Siehe Pötzl, Bayeriſches Verfaſſungsrecht §. 153, Verwaltungsrecht §. 16—18, höchſt klar und einfach zuſammengefaßt in §. 55, weitläufiger bei Moy, Bayeriſches Verfaſſungsrecht I.) Das Geſetz vom 28. Mai 1850 behält dieſelbe Baſis; es ſind die Begriffe des bejahenden und verneinenden Conflikts aufgeführt und ein Competenzgerichtshof eingeſetzt, der ſich vom franzöſiſchen Conseil d’État weſentlich dadurch unterſcheidet, daß Mitglieder des oberſten Gerichtshofes hinzugezogen werden. Die freiere Auffaſſung des deutſchen Rechts zeigt ſich darin, daß der conflit négatif von jeder Partei, alſo auch gegen die Adminiſtration, erhoben werden kann; zweitens aber in dem wichtigen Satz, daß die, am Ende doch nie ganz vermeidliche Frage nach der Rechtsgültigkeit der Geſetze und Verordnungen zwar den Gerichten genommen, aber dafür der Volks- vertretung übergeben wird, wie in der preußiſchen Verfaſſung §. 106 (freilich nur in Beziehung auf Verordnungen) und ſpezieller in dem hannöveriſchen Geſetze vom 1. Auguſt 1855, III. §. 4, wo den Kammern, ganz richtig, keine einſeitige Entſcheidung, ſondern nur „Anträge“ geſtattet ſind, wenn die verfaſſungsmäßige Mitwirkung der Stände in Zweifel kommt. Stubenrauch, Gutachten (Verhandlungen des vierten deutſchen
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Proceß — abgeſehen von der formellen Frage — als im Widerſpruch
mit dem Leben jener Zeit erſcheint. Die Regierung muß ſich frei
bewegen können; die Geſetze ſind theils nicht fertig, theils ſteht ihr
Begriff nicht einmal feſt; jeder Akt der Regierung kann daher, ſo weit
es ſich eben um das Verhältniß der einzelnen Lebensſphäre zum öffent-
lichen Recht handelt, auch nur von der verordnenden Gewalt richtig
beurtheilt werden, oder, die Competenz der Gerichte iſt für
Regierungshandlungen ausgeſchloſſen. Das iſt der Grund-
zug des öffentlichen Rechts im Beginne der Verfaſſungsbildung.
Dieſes Princip gewinnt nun eine doppelte Geſtalt.
Die erſte Form deſſelben beſteht einfach in der Annahme der
franzöſiſchen Idee des contentieux. Sie war den deutſchen Juriſten
ſehr verſtändlich, weil ſie die Möglichkeit fanden, ihren früheren Begriff
der Juſtiz- und Adminiſtrativſachen darauf anzuwenden, den Regierun-
gen aber, weil ſie dadurch grundſätzlich ihre Verwaltungsthätigkeit den
Gerichten entzogen. So wurde der Begriff und das Recht der franzöſi-
ſchen Adminiſtrativjuſtiz von einigen Verfaſſungen unmittelbar aus
Frankreich recipirt, und zu einem ſyſtematiſchen Theile des öffentlichen
Rechts in der Geſetzgebung verarbeitet. An der Spitze dieſer Richtung
ſtand und ſteht bekanntlich Bayern, das Form und Inhalt der juris-
diction administrative zu einer ſelbſtändigen Geſetzgebung erhob und ganz
nach franzöſiſchem Muſter die Fälle der Verwaltungsgerichtbarkeit aus-
drücklich bezeichnete und von der gerichtlichen Competenz ausſchied. (Siehe
Pötzl, Bayeriſches Verfaſſungsrecht §. 153, Verwaltungsrecht §. 16—18,
höchſt klar und einfach zuſammengefaßt in §. 55, weitläufiger bei Moy,
Bayeriſches Verfaſſungsrecht I.) Das Geſetz vom 28. Mai 1850 behält
dieſelbe Baſis; es ſind die Begriffe des bejahenden und verneinenden
Conflikts aufgeführt und ein Competenzgerichtshof eingeſetzt, der ſich
vom franzöſiſchen Conseil d’État weſentlich dadurch unterſcheidet, daß
Mitglieder des oberſten Gerichtshofes hinzugezogen werden. Die freiere
Auffaſſung des deutſchen Rechts zeigt ſich darin, daß der conflit négatif
von jeder Partei, alſo auch gegen die Adminiſtration, erhoben werden
kann; zweitens aber in dem wichtigen Satz, daß die, am Ende doch
nie ganz vermeidliche Frage nach der Rechtsgültigkeit der Geſetze und
Verordnungen zwar den Gerichten genommen, aber dafür der Volks-
vertretung übergeben wird, wie in der preußiſchen Verfaſſung §. 106
(freilich nur in Beziehung auf Verordnungen) und ſpezieller in dem
hannöveriſchen Geſetze vom 1. Auguſt 1855, III. §. 4, wo den Kammern,
ganz richtig, keine einſeitige Entſcheidung, ſondern nur „Anträge“ geſtattet
ſind, wenn die verfaſſungsmäßige Mitwirkung der Stände in Zweifel
kommt. Stubenrauch, Gutachten (Verhandlungen des vierten deutſchen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/205>, abgerufen am 22.11.2024.
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