Juristentages S. 210) erklärt sich, unter Berufung auf die constante Praxis der belgischen Gerichte, gleichfalls für diese Auffassung; es ist aber nicht ab- zusehen, wie damit in den Fällen geholfen werden soll, wo ein Rechtsstreit zwischen Privaten vorliegt; die allgemeine Rechtsgültigkeit der öffent- lichen Akte soll ja überhaupt nicht vom Gerichte entschieden werden, sondern nur ihre Anwendung auf den bestimmten Fall (siehe unten.)
Die zweite, viel einfachere Form ist nun die, welche nicht die einzelnen Sätze, wohl aber den Grundgedanken des französischen Rechts aufnimmt, und ganz einfach ausspricht, daß alle Streitigkeiten, welche sich auf das öffentliche Recht beziehen, Administrativsachen, und damit der Competenz der Gerichte durchaus entzogen sind; nur mit dem Unterschiede, daß in einigen Staaten diejenigen Streitigkeiten, welche aus den verfassungsmäßigen Rechten entstehen, einem eigenen Staatsgerichtshofe überwiesen werden; das ist namentlich in Württemberg, der Heimath der streng juristischen Verantwortlichkeits- doctrin, scharf durchgeführt (s. Mohl, Württemb. Staatsrecht I, Kap. IV). In andern Staaten wird jener Satz in seiner nackten Schärfe hingestellt, namentlich in Preußen, wo ihn die beiden Cabinetsordres vom 27. Oktober 1820 und vom 4. Februar 1823 sehr klar definirten, so daß derselbe in dem zweiten bis fünften Jahrzehent als ein Grund- satz des gemeinen deutschen Staatsrechts von einzelnen Rechtslehrern aufgestellt ward (Maurenbrecher §. 185, während schon Klüber §. 366 sich dagegen erklärt, jedoch ohne den Unterschied von Gesetz und Verordnung oder von Klage und Beschwerde vor Augen zu haben). Die constitutionelle Richtung, Aretin, Pölitz u. A. kommen auch zu keiner Klarheit, da auch ihnen neben der Unmöglichkeit, dem Gericht ein Urtheil über Verordnungen zuzugestehen, die Nothwendigkeit, das Gericht bei gesetzlichem Recht walten zu lassen, doch einleuchtet. Auf diesem Standpunkt erhält sich die spätere und auch noch die gegenwär- tige Theorie; wir führen als Ausdruck der hier waltenden Unfertigkeit der Vorstellungen nur Zöpfl, Deutsches Staatsrecht II. §. 454 an: "Da die Gerichte ihrem Begriffe nach nur da competent sein können, wo die Beurtheilung einer Sache nach rechtlichen Gesichtspunkten (?) in Frage und möglich ist, so erhellet, daß die Competenz derselben in allen eigent- lichen (?) Regierungs- und Administrativsachen ausgeschlossen ist" -- d. h. wo "nicht die Rechtlichkeit, sondern die Zweckmäßigkeit dieser Verfügungen in Frage steht." In den Fällen aber, wo diese Gränze zweifelhaft wird, soll "nach gemeinem Rechte den Gerichten die Compe- tenz, über ihre Competenz zu entscheiden, zustehen." Es leuchtet ein, daß der erste Satz eine Gränze unmöglich macht, und daß der zweite die Regierung mit allen ihren Thätigkeiten, also auch mit ihrer ganzen
Juriſtentages S. 210) erklärt ſich, unter Berufung auf die conſtante Praxis der belgiſchen Gerichte, gleichfalls für dieſe Auffaſſung; es iſt aber nicht ab- zuſehen, wie damit in den Fällen geholfen werden ſoll, wo ein Rechtsſtreit zwiſchen Privaten vorliegt; die allgemeine Rechtsgültigkeit der öffent- lichen Akte ſoll ja überhaupt nicht vom Gerichte entſchieden werden, ſondern nur ihre Anwendung auf den beſtimmten Fall (ſiehe unten.)
Die zweite, viel einfachere Form iſt nun die, welche nicht die einzelnen Sätze, wohl aber den Grundgedanken des franzöſiſchen Rechts aufnimmt, und ganz einfach ausſpricht, daß alle Streitigkeiten, welche ſich auf das öffentliche Recht beziehen, Adminiſtrativſachen, und damit der Competenz der Gerichte durchaus entzogen ſind; nur mit dem Unterſchiede, daß in einigen Staaten diejenigen Streitigkeiten, welche aus den verfaſſungsmäßigen Rechten entſtehen, einem eigenen Staatsgerichtshofe überwieſen werden; das iſt namentlich in Württemberg, der Heimath der ſtreng juriſtiſchen Verantwortlichkeits- doctrin, ſcharf durchgeführt (ſ. Mohl, Württemb. Staatsrecht I, Kap. IV). In andern Staaten wird jener Satz in ſeiner nackten Schärfe hingeſtellt, namentlich in Preußen, wo ihn die beiden Cabinetsordres vom 27. Oktober 1820 und vom 4. Februar 1823 ſehr klar definirten, ſo daß derſelbe in dem zweiten bis fünften Jahrzehent als ein Grund- ſatz des gemeinen deutſchen Staatsrechts von einzelnen Rechtslehrern aufgeſtellt ward (Maurenbrecher §. 185, während ſchon Klüber §. 366 ſich dagegen erklärt, jedoch ohne den Unterſchied von Geſetz und Verordnung oder von Klage und Beſchwerde vor Augen zu haben). Die conſtitutionelle Richtung, Aretin, Pölitz u. A. kommen auch zu keiner Klarheit, da auch ihnen neben der Unmöglichkeit, dem Gericht ein Urtheil über Verordnungen zuzugeſtehen, die Nothwendigkeit, das Gericht bei geſetzlichem Recht walten zu laſſen, doch einleuchtet. Auf dieſem Standpunkt erhält ſich die ſpätere und auch noch die gegenwär- tige Theorie; wir führen als Ausdruck der hier waltenden Unfertigkeit der Vorſtellungen nur Zöpfl, Deutſches Staatsrecht II. §. 454 an: „Da die Gerichte ihrem Begriffe nach nur da competent ſein können, wo die Beurtheilung einer Sache nach rechtlichen Geſichtspunkten (?) in Frage und möglich iſt, ſo erhellet, daß die Competenz derſelben in allen eigent- lichen (?) Regierungs- und Adminiſtrativſachen ausgeſchloſſen iſt“ — d. h. wo „nicht die Rechtlichkeit, ſondern die Zweckmäßigkeit dieſer Verfügungen in Frage ſteht.“ In den Fällen aber, wo dieſe Gränze zweifelhaft wird, ſoll „nach gemeinem Rechte den Gerichten die Compe- tenz, über ihre Competenz zu entſcheiden, zuſtehen.“ Es leuchtet ein, daß der erſte Satz eine Gränze unmöglich macht, und daß der zweite die Regierung mit allen ihren Thätigkeiten, alſo auch mit ihrer ganzen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0206"n="182"/>
Juriſtentages S. 210) erklärt ſich, unter Berufung auf die conſtante Praxis<lb/>
der belgiſchen Gerichte, gleichfalls für dieſe Auffaſſung; es iſt aber nicht ab-<lb/>
zuſehen, wie damit in den Fällen geholfen werden ſoll, wo ein Rechtsſtreit<lb/>
zwiſchen Privaten vorliegt; die <hirendition="#g">allgemeine</hi> Rechtsgültigkeit der öffent-<lb/>
lichen Akte ſoll ja überhaupt nicht vom Gerichte entſchieden werden,<lb/>ſondern nur ihre Anwendung auf den beſtimmten Fall (ſiehe unten.)</p><lb/><p>Die zweite, viel einfachere Form iſt nun die, welche nicht die<lb/>
einzelnen Sätze, wohl aber den Grundgedanken des franzöſiſchen Rechts<lb/>
aufnimmt, und ganz einfach ausſpricht, daß <hirendition="#g">alle</hi> Streitigkeiten, welche<lb/><hirendition="#g">ſich auf das öffentliche Recht beziehen</hi>, Adminiſtrativſachen,<lb/>
und damit der Competenz der Gerichte durchaus entzogen ſind; nur<lb/>
mit dem Unterſchiede, daß in einigen Staaten diejenigen Streitigkeiten,<lb/>
welche aus den <hirendition="#g">verfaſſungsmäßigen</hi> Rechten entſtehen, einem<lb/>
eigenen Staatsgerichtshofe überwieſen werden; das iſt namentlich in<lb/><hirendition="#g">Württemberg</hi>, der Heimath der ſtreng juriſtiſchen Verantwortlichkeits-<lb/>
doctrin, ſcharf durchgeführt (ſ. <hirendition="#g">Mohl</hi>, Württemb. Staatsrecht <hirendition="#aq">I,</hi> Kap.<lb/><hirendition="#aq">IV</hi>). In andern Staaten wird jener Satz in ſeiner nackten Schärfe<lb/>
hingeſtellt, namentlich in <hirendition="#g">Preußen</hi>, wo ihn die beiden Cabinetsordres<lb/>
vom 27. Oktober 1820 und vom 4. Februar 1823 ſehr klar definirten,<lb/><hirendition="#g">ſo</hi> daß derſelbe in dem zweiten bis fünften Jahrzehent als ein Grund-<lb/>ſatz des <hirendition="#g">gemeinen</hi> deutſchen Staatsrechts von einzelnen Rechtslehrern<lb/>
aufgeſtellt ward (<hirendition="#g">Maurenbrecher</hi> §. 185, während ſchon <hirendition="#g">Klüber</hi><lb/>
§. 366 ſich dagegen erklärt, jedoch ohne den Unterſchied von Geſetz<lb/>
und Verordnung oder von Klage und Beſchwerde vor Augen zu haben).<lb/>
Die conſtitutionelle Richtung, <hirendition="#g">Aretin, Pölitz</hi> u. A. kommen auch<lb/>
zu keiner Klarheit, da auch ihnen neben der Unmöglichkeit, dem Gericht<lb/>
ein Urtheil über Verordnungen zuzugeſtehen, die Nothwendigkeit, das<lb/>
Gericht bei geſetzlichem Recht walten zu laſſen, doch einleuchtet. Auf<lb/>
dieſem Standpunkt erhält ſich die ſpätere und auch noch die gegenwär-<lb/>
tige Theorie; wir führen als Ausdruck der hier waltenden Unfertigkeit<lb/>
der Vorſtellungen nur <hirendition="#g">Zöpfl</hi>, Deutſches Staatsrecht <hirendition="#aq">II.</hi> §. 454 an: „Da<lb/>
die Gerichte ihrem Begriffe nach nur da competent ſein können, wo die<lb/>
Beurtheilung einer Sache nach <hirendition="#g">rechtlichen</hi> Geſichtspunkten (?) in Frage<lb/>
und möglich iſt, ſo erhellet, daß die Competenz derſelben in allen eigent-<lb/>
lichen (?) Regierungs- und Adminiſtrativſachen <hirendition="#g">ausgeſchloſſen iſt</hi>“<lb/>— d. h. wo „nicht die Rechtlichkeit, ſondern die Zweckmäßigkeit dieſer<lb/>
Verfügungen in Frage ſteht.“ In den Fällen aber, wo dieſe Gränze<lb/>
zweifelhaft wird, ſoll „nach gemeinem Rechte den Gerichten die Compe-<lb/>
tenz, über ihre Competenz zu entſcheiden, zuſtehen.“ Es leuchtet ein,<lb/>
daß der <hirendition="#g">erſte</hi> Satz eine Gränze unmöglich macht, und daß der zweite<lb/>
die Regierung mit <hirendition="#g">allen</hi> ihren Thätigkeiten, alſo auch mit ihrer ganzen<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[182/0206]
Juriſtentages S. 210) erklärt ſich, unter Berufung auf die conſtante Praxis
der belgiſchen Gerichte, gleichfalls für dieſe Auffaſſung; es iſt aber nicht ab-
zuſehen, wie damit in den Fällen geholfen werden ſoll, wo ein Rechtsſtreit
zwiſchen Privaten vorliegt; die allgemeine Rechtsgültigkeit der öffent-
lichen Akte ſoll ja überhaupt nicht vom Gerichte entſchieden werden,
ſondern nur ihre Anwendung auf den beſtimmten Fall (ſiehe unten.)
Die zweite, viel einfachere Form iſt nun die, welche nicht die
einzelnen Sätze, wohl aber den Grundgedanken des franzöſiſchen Rechts
aufnimmt, und ganz einfach ausſpricht, daß alle Streitigkeiten, welche
ſich auf das öffentliche Recht beziehen, Adminiſtrativſachen,
und damit der Competenz der Gerichte durchaus entzogen ſind; nur
mit dem Unterſchiede, daß in einigen Staaten diejenigen Streitigkeiten,
welche aus den verfaſſungsmäßigen Rechten entſtehen, einem
eigenen Staatsgerichtshofe überwieſen werden; das iſt namentlich in
Württemberg, der Heimath der ſtreng juriſtiſchen Verantwortlichkeits-
doctrin, ſcharf durchgeführt (ſ. Mohl, Württemb. Staatsrecht I, Kap.
IV). In andern Staaten wird jener Satz in ſeiner nackten Schärfe
hingeſtellt, namentlich in Preußen, wo ihn die beiden Cabinetsordres
vom 27. Oktober 1820 und vom 4. Februar 1823 ſehr klar definirten,
ſo daß derſelbe in dem zweiten bis fünften Jahrzehent als ein Grund-
ſatz des gemeinen deutſchen Staatsrechts von einzelnen Rechtslehrern
aufgeſtellt ward (Maurenbrecher §. 185, während ſchon Klüber
§. 366 ſich dagegen erklärt, jedoch ohne den Unterſchied von Geſetz
und Verordnung oder von Klage und Beſchwerde vor Augen zu haben).
Die conſtitutionelle Richtung, Aretin, Pölitz u. A. kommen auch
zu keiner Klarheit, da auch ihnen neben der Unmöglichkeit, dem Gericht
ein Urtheil über Verordnungen zuzugeſtehen, die Nothwendigkeit, das
Gericht bei geſetzlichem Recht walten zu laſſen, doch einleuchtet. Auf
dieſem Standpunkt erhält ſich die ſpätere und auch noch die gegenwär-
tige Theorie; wir führen als Ausdruck der hier waltenden Unfertigkeit
der Vorſtellungen nur Zöpfl, Deutſches Staatsrecht II. §. 454 an: „Da
die Gerichte ihrem Begriffe nach nur da competent ſein können, wo die
Beurtheilung einer Sache nach rechtlichen Geſichtspunkten (?) in Frage
und möglich iſt, ſo erhellet, daß die Competenz derſelben in allen eigent-
lichen (?) Regierungs- und Adminiſtrativſachen ausgeſchloſſen iſt“
— d. h. wo „nicht die Rechtlichkeit, ſondern die Zweckmäßigkeit dieſer
Verfügungen in Frage ſteht.“ In den Fällen aber, wo dieſe Gränze
zweifelhaft wird, ſoll „nach gemeinem Rechte den Gerichten die Compe-
tenz, über ihre Competenz zu entſcheiden, zuſtehen.“ Es leuchtet ein,
daß der erſte Satz eine Gränze unmöglich macht, und daß der zweite
die Regierung mit allen ihren Thätigkeiten, alſo auch mit ihrer ganzen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/206>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.