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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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dem Begriff des Gesetzes und der Verordnung beruhendes Competenz-
recht durchzuführen. Es ist nicht einmal der Grundsatz festgehalten,
daß man es nach den äußern Merkmalen der Sache bestimme; es ist
die Sanction der Herrschaft der Verwaltung über das
Recht
, der Unfreiheit des bürgerlichen Rechts gegenüber dem Ver-
waltungskörper. Frankreichs Competenzrecht ist seinem Wesen nach
einer der großen Faktoren seiner innern Unterwerfung unter die all-
gewaltige Staatsgewalt; seiner äußern Form nach der entscheidende Be-
weis, daß man auf Grundlage der Unterscheidung von Justiz- und
Administrativsachen nicht zu einem verfassungsmäßigen Competenzrecht
gelangen kann.

Dennoch hat das französische Recht wenigstens zum Theil in
Deutschland Platz gegriffen.

3) Competenzstreit und Competenzconflikt im deutsch-französischen Rechte
Deutschlands.

Wenn es uns gelungen ist, uns über den Unterschied von Gesetz
und Verordnung einerseits, und über Administrativ- und Justizsachen,
sowie über Klag- und Beschwerderecht andererseits klar auszusprechen,
so wird es jetzt kaum mehr schwierig sein, die Behauptung durchzuführen,
daß auch im Competenzrecht die einzelnen deutschen Rechte sich in durch-
greifender Unklarheit befinden, während es ein gemeinsames deutsches
Recht eben nicht gibt. Grund und Inhalt dieses Verhältnisses sind in
der inneren Geschichte des deutschen Rechts gegeben. Wir dürfen uns
dabei auf früher Gesagtes beziehen.

Mit dem vorigen Jahrhundert geht in Deutschland die Theilnahme
der Vertretung an dem Staatswillen und damit der Begriff und das
Recht des Gesetzes unter; Verordnung und Gesetz sind identisch. Es
ist für die richtige Beurtheilung des deutschen öffentlichen Rechts wohl
festzuhalten, daß es in ganz Deutschland nicht einmal ein Recht gibt,
welches dem Enregistrement der Parlemente in Frankreich oder dem
Lit de justice zur Seite gestanden hätte. Der Wille des Souverains
ist hier auch formell allein herrschend. Dabei erhielt sich jedoch der,
durch das eifrige und höchst einseitige Studium des Römischen Rechts
getragene Gedanke, daß die Gerichte das Gesetz zu handhaben befugt
sind. Da es nun aber keinen bestimmten Begriff des Gesetzes gibt, so
ist die Competenz der Gerichte, wo immer sie mit dem Willen des Souve-
rains zu thun hat, an und für sich zweifelhaft, und im Grunde nur
durch die Zustimmung des letzteren denkbar. Das ganze Gebiet der
Regierungsthätigkeit schied sich daher von der richterlichen Zuständigkeit
von selbst aus; es ward Princip, daß nur da, wo der Einzelne mit

dem Begriff des Geſetzes und der Verordnung beruhendes Competenz-
recht durchzuführen. Es iſt nicht einmal der Grundſatz feſtgehalten,
daß man es nach den äußern Merkmalen der Sache beſtimme; es iſt
die Sanction der Herrſchaft der Verwaltung über das
Recht
, der Unfreiheit des bürgerlichen Rechts gegenüber dem Ver-
waltungskörper. Frankreichs Competenzrecht iſt ſeinem Weſen nach
einer der großen Faktoren ſeiner innern Unterwerfung unter die all-
gewaltige Staatsgewalt; ſeiner äußern Form nach der entſcheidende Be-
weis, daß man auf Grundlage der Unterſcheidung von Juſtiz- und
Adminiſtrativſachen nicht zu einem verfaſſungsmäßigen Competenzrecht
gelangen kann.

Dennoch hat das franzöſiſche Recht wenigſtens zum Theil in
Deutſchland Platz gegriffen.

3) Competenzſtreit und Competenzconflikt im deutſch-franzöſiſchen Rechte
Deutſchlands.

Wenn es uns gelungen iſt, uns über den Unterſchied von Geſetz
und Verordnung einerſeits, und über Adminiſtrativ- und Juſtizſachen,
ſowie über Klag- und Beſchwerderecht andererſeits klar auszuſprechen,
ſo wird es jetzt kaum mehr ſchwierig ſein, die Behauptung durchzuführen,
daß auch im Competenzrecht die einzelnen deutſchen Rechte ſich in durch-
greifender Unklarheit befinden, während es ein gemeinſames deutſches
Recht eben nicht gibt. Grund und Inhalt dieſes Verhältniſſes ſind in
der inneren Geſchichte des deutſchen Rechts gegeben. Wir dürfen uns
dabei auf früher Geſagtes beziehen.

Mit dem vorigen Jahrhundert geht in Deutſchland die Theilnahme
der Vertretung an dem Staatswillen und damit der Begriff und das
Recht des Geſetzes unter; Verordnung und Geſetz ſind identiſch. Es
iſt für die richtige Beurtheilung des deutſchen öffentlichen Rechts wohl
feſtzuhalten, daß es in ganz Deutſchland nicht einmal ein Recht gibt,
welches dem Enregistrement der Parlemente in Frankreich oder dem
Lit de justice zur Seite geſtanden hätte. Der Wille des Souverains
iſt hier auch formell allein herrſchend. Dabei erhielt ſich jedoch der,
durch das eifrige und höchſt einſeitige Studium des Römiſchen Rechts
getragene Gedanke, daß die Gerichte das Geſetz zu handhaben befugt
ſind. Da es nun aber keinen beſtimmten Begriff des Geſetzes gibt, ſo
iſt die Competenz der Gerichte, wo immer ſie mit dem Willen des Souve-
rains zu thun hat, an und für ſich zweifelhaft, und im Grunde nur
durch die Zuſtimmung des letzteren denkbar. Das ganze Gebiet der
Regierungsthätigkeit ſchied ſich daher von der richterlichen Zuſtändigkeit
von ſelbſt aus; es ward Princip, daß nur da, wo der Einzelne mit

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[179/0203] dem Begriff des Geſetzes und der Verordnung beruhendes Competenz- recht durchzuführen. Es iſt nicht einmal der Grundſatz feſtgehalten, daß man es nach den äußern Merkmalen der Sache beſtimme; es iſt die Sanction der Herrſchaft der Verwaltung über das Recht, der Unfreiheit des bürgerlichen Rechts gegenüber dem Ver- waltungskörper. Frankreichs Competenzrecht iſt ſeinem Weſen nach einer der großen Faktoren ſeiner innern Unterwerfung unter die all- gewaltige Staatsgewalt; ſeiner äußern Form nach der entſcheidende Be- weis, daß man auf Grundlage der Unterſcheidung von Juſtiz- und Adminiſtrativſachen nicht zu einem verfaſſungsmäßigen Competenzrecht gelangen kann. Dennoch hat das franzöſiſche Recht wenigſtens zum Theil in Deutſchland Platz gegriffen. 3) Competenzſtreit und Competenzconflikt im deutſch-franzöſiſchen Rechte Deutſchlands. Wenn es uns gelungen iſt, uns über den Unterſchied von Geſetz und Verordnung einerſeits, und über Adminiſtrativ- und Juſtizſachen, ſowie über Klag- und Beſchwerderecht andererſeits klar auszuſprechen, ſo wird es jetzt kaum mehr ſchwierig ſein, die Behauptung durchzuführen, daß auch im Competenzrecht die einzelnen deutſchen Rechte ſich in durch- greifender Unklarheit befinden, während es ein gemeinſames deutſches Recht eben nicht gibt. Grund und Inhalt dieſes Verhältniſſes ſind in der inneren Geſchichte des deutſchen Rechts gegeben. Wir dürfen uns dabei auf früher Geſagtes beziehen. Mit dem vorigen Jahrhundert geht in Deutſchland die Theilnahme der Vertretung an dem Staatswillen und damit der Begriff und das Recht des Geſetzes unter; Verordnung und Geſetz ſind identiſch. Es iſt für die richtige Beurtheilung des deutſchen öffentlichen Rechts wohl feſtzuhalten, daß es in ganz Deutſchland nicht einmal ein Recht gibt, welches dem Enregistrement der Parlemente in Frankreich oder dem Lit de justice zur Seite geſtanden hätte. Der Wille des Souverains iſt hier auch formell allein herrſchend. Dabei erhielt ſich jedoch der, durch das eifrige und höchſt einſeitige Studium des Römiſchen Rechts getragene Gedanke, daß die Gerichte das Geſetz zu handhaben befugt ſind. Da es nun aber keinen beſtimmten Begriff des Geſetzes gibt, ſo iſt die Competenz der Gerichte, wo immer ſie mit dem Willen des Souve- rains zu thun hat, an und für ſich zweifelhaft, und im Grunde nur durch die Zuſtimmung des letzteren denkbar. Das ganze Gebiet der Regierungsthätigkeit ſchied ſich daher von der richterlichen Zuſtändigkeit von ſelbſt aus; es ward Princip, daß nur da, wo der Einzelne mit

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/203>, abgerufen am 27.04.2024.