eine einzelne Ansicht; das ist stets der Fall bei den sogenannten Kabinets- fragen; oder aber, daß die Regierung bleibt, obgleich ihre Anträge, sei es in Form der Entwürfe oder der bereits erlassenen Verordnungen von der Gesetzgebung verworfen werden, weil es sich um einzelne Fälle und nicht um die gesammte Auffassung derselben handelt. So ist das, was wir die Verantwortlichkeit nennen, allerdings ein beständig, aber nur im ganzen geistigen Leben des Staats wirksamer Proceß; der ver- fassungsmäßige Staat erzeugt jene Harmonie durch seine eigene Kraft in sich selber, und die wahre Bedeutung der Verantwortlichkeit liegt demgemäß nicht mehr darin, verantwortlich zu sein für die einzelnen Akte der Verordnungsgewalt, sondern vielmehr darin, daß der Minister überhaupt regiert; denn die Thatsache seiner Regierung ist eben ihrem Wesen nach die Thatsache der Identität in den wesentlichen Auf- fassungen der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt, und die Auf- gabe des verfassungsmäßigen organischen Staatslebens ist es, zu ver- hindern, daß diese Thatsachen nicht im Widerspruche stehen. Die Mittel, welche die gesetzgebende Gewalt ihrerseits hat, diesen Wider- spruch zu lösen, wenn er eintritt, sind zweifach.
Das erste ist die Aufstellung der Majorität gegen die Auffassung der Regierung bei jeder Theilnahme der letzteren an der Funktion der Gesetzgebung. Die antiministerielle Majorität gibt in diesem Falle kein Urtheil über die einzelnen Akte der Regierung; dieselben können viel- mehr an sich vollkommen gut sein, und daher von einer folgenden Re- gierung ohne Bedenken wieder eingebracht werden; jene Majorität tritt im Gegentheil nur auf als allgemeine Erklärung, daß die Harmonie zwischen den beiden Gewalten gestört, und daß damit eine Aenderung in der beiderseitigen Auffassung nothwendig sei.
Das zweite, ernstere Mittel ist die Steuerverweigerung. Es bedarf in unserer Zeit wohl kaum einer weitern Darlegung, daß eine Steuerverweigerung als Verweigerung der Steuer an sich ein vollkom- menes Unding ist. Die Steuern sind absolute Bedingungen des Staats- lebens, sie an sich verweigern, hieße den ebenso absoluten Widerspruch aufstellen, daß derselbe Staat selbst nicht mehr existiren solle, in welchem und durch welchen eben die Gesetzgebung, welche die Steuern verweigert, ihr Recht empfängt, überhaupt einen Beschluß zu fassen, also auch den der Steuerverweigerung. Die Steuerverweigerung an sich wäre daher in der That die Aufhebung des Mandats die Steuer zu verweigern -- ein unlösbarer Widerspruch. Die verfassungsmäßige Steuerverweigerung kann daher nie die Verweigerung der Einnahmen der Steuern sein, sondern nur als Verweigerung der Ausgaben des Staats erscheinen. Denn die Ausgaben des Staats enthalten die materiellen Mittel eben
Stein, die Verwaltungslehre. I. 7
eine einzelne Anſicht; das iſt ſtets der Fall bei den ſogenannten Kabinets- fragen; oder aber, daß die Regierung bleibt, obgleich ihre Anträge, ſei es in Form der Entwürfe oder der bereits erlaſſenen Verordnungen von der Geſetzgebung verworfen werden, weil es ſich um einzelne Fälle und nicht um die geſammte Auffaſſung derſelben handelt. So iſt das, was wir die Verantwortlichkeit nennen, allerdings ein beſtändig, aber nur im ganzen geiſtigen Leben des Staats wirkſamer Proceß; der ver- faſſungsmäßige Staat erzeugt jene Harmonie durch ſeine eigene Kraft in ſich ſelber, und die wahre Bedeutung der Verantwortlichkeit liegt demgemäß nicht mehr darin, verantwortlich zu ſein für die einzelnen Akte der Verordnungsgewalt, ſondern vielmehr darin, daß der Miniſter überhaupt regiert; denn die Thatſache ſeiner Regierung iſt eben ihrem Weſen nach die Thatſache der Identität in den weſentlichen Auf- faſſungen der geſetzgebenden und vollziehenden Gewalt, und die Auf- gabe des verfaſſungsmäßigen organiſchen Staatslebens iſt es, zu ver- hindern, daß dieſe Thatſachen nicht im Widerſpruche ſtehen. Die Mittel, welche die geſetzgebende Gewalt ihrerſeits hat, dieſen Wider- ſpruch zu löſen, wenn er eintritt, ſind zweifach.
Das erſte iſt die Aufſtellung der Majorität gegen die Auffaſſung der Regierung bei jeder Theilnahme der letzteren an der Funktion der Geſetzgebung. Die antiminiſterielle Majorität gibt in dieſem Falle kein Urtheil über die einzelnen Akte der Regierung; dieſelben können viel- mehr an ſich vollkommen gut ſein, und daher von einer folgenden Re- gierung ohne Bedenken wieder eingebracht werden; jene Majorität tritt im Gegentheil nur auf als allgemeine Erklärung, daß die Harmonie zwiſchen den beiden Gewalten geſtört, und daß damit eine Aenderung in der beiderſeitigen Auffaſſung nothwendig ſei.
Das zweite, ernſtere Mittel iſt die Steuerverweigerung. Es bedarf in unſerer Zeit wohl kaum einer weitern Darlegung, daß eine Steuerverweigerung als Verweigerung der Steuer an ſich ein vollkom- menes Unding iſt. Die Steuern ſind abſolute Bedingungen des Staats- lebens, ſie an ſich verweigern, hieße den ebenſo abſoluten Widerſpruch aufſtellen, daß derſelbe Staat ſelbſt nicht mehr exiſtiren ſolle, in welchem und durch welchen eben die Geſetzgebung, welche die Steuern verweigert, ihr Recht empfängt, überhaupt einen Beſchluß zu faſſen, alſo auch den der Steuerverweigerung. Die Steuerverweigerung an ſich wäre daher in der That die Aufhebung des Mandats die Steuer zu verweigern — ein unlösbarer Widerſpruch. Die verfaſſungsmäßige Steuerverweigerung kann daher nie die Verweigerung der Einnahmen der Steuern ſein, ſondern nur als Verweigerung der Ausgaben des Staats erſcheinen. Denn die Ausgaben des Staats enthalten die materiellen Mittel eben
Stein, die Verwaltungslehre. I. 7
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eine einzelne Anſicht; das iſt ſtets der Fall bei den ſogenannten Kabinets-
fragen; oder aber, daß die Regierung bleibt, obgleich ihre Anträge, ſei
es in Form der Entwürfe oder der bereits erlaſſenen Verordnungen von
der Geſetzgebung verworfen werden, weil es ſich um einzelne Fälle und
nicht um die geſammte Auffaſſung derſelben handelt. So iſt das, was
wir die Verantwortlichkeit nennen, allerdings ein beſtändig, aber nur
im ganzen geiſtigen Leben des Staats wirkſamer Proceß; der ver-
faſſungsmäßige Staat erzeugt jene Harmonie durch ſeine eigene Kraft
in ſich ſelber, und die wahre Bedeutung der Verantwortlichkeit liegt
demgemäß nicht mehr darin, verantwortlich zu ſein für die einzelnen
Akte der Verordnungsgewalt, ſondern vielmehr darin, daß der Miniſter
überhaupt regiert; denn die Thatſache ſeiner Regierung iſt eben
ihrem Weſen nach die Thatſache der Identität in den weſentlichen Auf-
faſſungen der geſetzgebenden und vollziehenden Gewalt, und die Auf-
gabe des verfaſſungsmäßigen organiſchen Staatslebens iſt es, zu ver-
hindern, daß dieſe Thatſachen nicht im Widerſpruche ſtehen. Die
Mittel, welche die geſetzgebende Gewalt ihrerſeits hat, dieſen Wider-
ſpruch zu löſen, wenn er eintritt, ſind zweifach.
Das erſte iſt die Aufſtellung der Majorität gegen die Auffaſſung
der Regierung bei jeder Theilnahme der letzteren an der Funktion der
Geſetzgebung. Die antiminiſterielle Majorität gibt in dieſem Falle kein
Urtheil über die einzelnen Akte der Regierung; dieſelben können viel-
mehr an ſich vollkommen gut ſein, und daher von einer folgenden Re-
gierung ohne Bedenken wieder eingebracht werden; jene Majorität tritt
im Gegentheil nur auf als allgemeine Erklärung, daß die Harmonie
zwiſchen den beiden Gewalten geſtört, und daß damit eine Aenderung
in der beiderſeitigen Auffaſſung nothwendig ſei.
Das zweite, ernſtere Mittel iſt die Steuerverweigerung. Es
bedarf in unſerer Zeit wohl kaum einer weitern Darlegung, daß eine
Steuerverweigerung als Verweigerung der Steuer an ſich ein vollkom-
menes Unding iſt. Die Steuern ſind abſolute Bedingungen des Staats-
lebens, ſie an ſich verweigern, hieße den ebenſo abſoluten Widerſpruch
aufſtellen, daß derſelbe Staat ſelbſt nicht mehr exiſtiren ſolle, in welchem
und durch welchen eben die Geſetzgebung, welche die Steuern verweigert,
ihr Recht empfängt, überhaupt einen Beſchluß zu faſſen, alſo auch den
der Steuerverweigerung. Die Steuerverweigerung an ſich wäre daher
in der That die Aufhebung des Mandats die Steuer zu verweigern —
ein unlösbarer Widerſpruch. Die verfaſſungsmäßige Steuerverweigerung
kann daher nie die Verweigerung der Einnahmen der Steuern ſein,
ſondern nur als Verweigerung der Ausgaben des Staats erſcheinen.
Denn die Ausgaben des Staats enthalten die materiellen Mittel eben
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/121>, abgerufen am 24.11.2024.
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