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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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für die Vollziehung der Gesetze. Harmonieren nun Verwaltung und
Gesetzgebung nicht, so ist es ganz naturgemäß, daß die Gesetzgebung
der ersteren, um ihre einzelnen Thätigkeiten unmöglich zu machen, die
Mittel für dieselben verweigert, und dadurch jeden Akt, der diese Mittel
dennoch gebraucht, zu einem direkt ungesetzlichen macht. Es ergibt sich
daraus, daß der Akt der Gesetzgebung, welcher die Erhebung der Steuern
verweigerte, eine allgemeine Auflösung des organischen Staatsverbandes
wäre; es ist nicht möglich, dieß anders zu denken. Die Folge davon ist
daher von jeher die gewesen, daß, da der Staat eine an und für sich
nothwendige, absolute Form des höchsten individuellen Lebens ist, die
durch ein einzelnes ihrer Organe nicht aufgelöst werden kann, diese
Steuerverweigerung als Verweigerung der Erhebung der Steuern ein-
fach zur Selbsthülfe der Staatsgewalt geführt hat und ewig führen
muß, was dann am Ende den innern Krieg zur Folge hat. Jeder
innere Krieg aber erzeugt unbedingt die Despotie der siegenden Ele-
mente. Es gibt daher keine größere Gefahr der wahren Freiheit, als
das Heraufbeschwören der Staatsselbsthülfe durch ein solches Verweigern
der Steuererhebung. Die Verweigerung der Ausgaben erzeugt dagegen
die individuelle Verantwortlichkeit, welche mit der Disposition über frem-
des Eigenthum verbunden ist. Es folgt daraus ferner, daß eine ganz
allgemeine Verweigerung der Ausgaben ganz denselben Widerspruch ent-
hält, wie eine Verweigerung der Einnahmen. Sie ist gleichfalls un-
möglich
, und eine solche Unmöglichkeit vernichtet ebenso sehr das ganze
Staatsleben. Jede wahre, dem organischen Wesen des verfassungs-
mäßigen Staates entsprechende Steuerverweigerung sollte zu ihrem gesetz-
lichen Inhalte nur das Recht der Gesetzgebung haben, diejenige
Gruppe von bestimmten Ausgaben zu entziehen
, welche nicht
dem Staate, sondern dem bestimmten Chef des einzelnen Zweiges der
Verwaltung die Verfügung oder die Mittel zur Vollziehung derjenigen
Regierungsthätigkeit bieten, die mit der Gesetzgebung in Disharmonie
steht. Nur auf diesem Wege kann in einem verfassungsmäßigen Staat
das Unheil vermieden werden, das unbedingt entsteht, wenn man
das Wesen des Staats an sich in den Kampf der beiden Gewalten
hineinzieht. Und in der That, das wenigstens wird man uns glauben,
daß wenn die Verweigerung dieser Ausgaben nichts hilft, die Ver-
weigerung der Ausgaben überhaupt, oder gar der Einnahmen ebenso
wenig nützt, gewiß aber entweder Revolution oder den Untergang der
gesetzgebenden Organe zur Folge hat. -- Ein ganz anderes Gebiet tritt
uns nun bei der zweiten Form der Verantwortlichkeit, der juristischen,
entgegen.


für die Vollziehung der Geſetze. Harmonieren nun Verwaltung und
Geſetzgebung nicht, ſo iſt es ganz naturgemäß, daß die Geſetzgebung
der erſteren, um ihre einzelnen Thätigkeiten unmöglich zu machen, die
Mittel für dieſelben verweigert, und dadurch jeden Akt, der dieſe Mittel
dennoch gebraucht, zu einem direkt ungeſetzlichen macht. Es ergibt ſich
daraus, daß der Akt der Geſetzgebung, welcher die Erhebung der Steuern
verweigerte, eine allgemeine Auflöſung des organiſchen Staatsverbandes
wäre; es iſt nicht möglich, dieß anders zu denken. Die Folge davon iſt
daher von jeher die geweſen, daß, da der Staat eine an und für ſich
nothwendige, abſolute Form des höchſten individuellen Lebens iſt, die
durch ein einzelnes ihrer Organe nicht aufgelöst werden kann, dieſe
Steuerverweigerung als Verweigerung der Erhebung der Steuern ein-
fach zur Selbſthülfe der Staatsgewalt geführt hat und ewig führen
muß, was dann am Ende den innern Krieg zur Folge hat. Jeder
innere Krieg aber erzeugt unbedingt die Deſpotie der ſiegenden Ele-
mente. Es gibt daher keine größere Gefahr der wahren Freiheit, als
das Heraufbeſchwören der Staatsſelbſthülfe durch ein ſolches Verweigern
der Steuererhebung. Die Verweigerung der Ausgaben erzeugt dagegen
die individuelle Verantwortlichkeit, welche mit der Dispoſition über frem-
des Eigenthum verbunden iſt. Es folgt daraus ferner, daß eine ganz
allgemeine Verweigerung der Ausgaben ganz denſelben Widerſpruch ent-
hält, wie eine Verweigerung der Einnahmen. Sie iſt gleichfalls un-
möglich
, und eine ſolche Unmöglichkeit vernichtet ebenſo ſehr das ganze
Staatsleben. Jede wahre, dem organiſchen Weſen des verfaſſungs-
mäßigen Staates entſprechende Steuerverweigerung ſollte zu ihrem geſetz-
lichen Inhalte nur das Recht der Geſetzgebung haben, diejenige
Gruppe von beſtimmten Ausgaben zu entziehen
, welche nicht
dem Staate, ſondern dem beſtimmten Chef des einzelnen Zweiges der
Verwaltung die Verfügung oder die Mittel zur Vollziehung derjenigen
Regierungsthätigkeit bieten, die mit der Geſetzgebung in Disharmonie
ſteht. Nur auf dieſem Wege kann in einem verfaſſungsmäßigen Staat
das Unheil vermieden werden, das unbedingt entſteht, wenn man
das Weſen des Staats an ſich in den Kampf der beiden Gewalten
hineinzieht. Und in der That, das wenigſtens wird man uns glauben,
daß wenn die Verweigerung dieſer Ausgaben nichts hilft, die Ver-
weigerung der Ausgaben überhaupt, oder gar der Einnahmen ebenſo
wenig nützt, gewiß aber entweder Revolution oder den Untergang der
geſetzgebenden Organe zur Folge hat. — Ein ganz anderes Gebiet tritt
uns nun bei der zweiten Form der Verantwortlichkeit, der juriſtiſchen,
entgegen.


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[98/0122] für die Vollziehung der Geſetze. Harmonieren nun Verwaltung und Geſetzgebung nicht, ſo iſt es ganz naturgemäß, daß die Geſetzgebung der erſteren, um ihre einzelnen Thätigkeiten unmöglich zu machen, die Mittel für dieſelben verweigert, und dadurch jeden Akt, der dieſe Mittel dennoch gebraucht, zu einem direkt ungeſetzlichen macht. Es ergibt ſich daraus, daß der Akt der Geſetzgebung, welcher die Erhebung der Steuern verweigerte, eine allgemeine Auflöſung des organiſchen Staatsverbandes wäre; es iſt nicht möglich, dieß anders zu denken. Die Folge davon iſt daher von jeher die geweſen, daß, da der Staat eine an und für ſich nothwendige, abſolute Form des höchſten individuellen Lebens iſt, die durch ein einzelnes ihrer Organe nicht aufgelöst werden kann, dieſe Steuerverweigerung als Verweigerung der Erhebung der Steuern ein- fach zur Selbſthülfe der Staatsgewalt geführt hat und ewig führen muß, was dann am Ende den innern Krieg zur Folge hat. Jeder innere Krieg aber erzeugt unbedingt die Deſpotie der ſiegenden Ele- mente. Es gibt daher keine größere Gefahr der wahren Freiheit, als das Heraufbeſchwören der Staatsſelbſthülfe durch ein ſolches Verweigern der Steuererhebung. Die Verweigerung der Ausgaben erzeugt dagegen die individuelle Verantwortlichkeit, welche mit der Dispoſition über frem- des Eigenthum verbunden iſt. Es folgt daraus ferner, daß eine ganz allgemeine Verweigerung der Ausgaben ganz denſelben Widerſpruch ent- hält, wie eine Verweigerung der Einnahmen. Sie iſt gleichfalls un- möglich, und eine ſolche Unmöglichkeit vernichtet ebenſo ſehr das ganze Staatsleben. Jede wahre, dem organiſchen Weſen des verfaſſungs- mäßigen Staates entſprechende Steuerverweigerung ſollte zu ihrem geſetz- lichen Inhalte nur das Recht der Geſetzgebung haben, diejenige Gruppe von beſtimmten Ausgaben zu entziehen, welche nicht dem Staate, ſondern dem beſtimmten Chef des einzelnen Zweiges der Verwaltung die Verfügung oder die Mittel zur Vollziehung derjenigen Regierungsthätigkeit bieten, die mit der Geſetzgebung in Disharmonie ſteht. Nur auf dieſem Wege kann in einem verfaſſungsmäßigen Staat das Unheil vermieden werden, das unbedingt entſteht, wenn man das Weſen des Staats an ſich in den Kampf der beiden Gewalten hineinzieht. Und in der That, das wenigſtens wird man uns glauben, daß wenn die Verweigerung dieſer Ausgaben nichts hilft, die Ver- weigerung der Ausgaben überhaupt, oder gar der Einnahmen ebenſo wenig nützt, gewiß aber entweder Revolution oder den Untergang der geſetzgebenden Organe zur Folge hat. — Ein ganz anderes Gebiet tritt uns nun bei der zweiten Form der Verantwortlichkeit, der juriſtiſchen, entgegen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/122>, abgerufen am 29.03.2024.