Die allgemeine Gewerbspflege erscheint als Anwendung der allge- meinen Volkswirthschaftspflege auf das gewerbliche Leben, so weit das letztere eine besondere Gestalt des ersteren fordert. Das ist der Fall im Bildungs- und Creditwesen. Das gewerbliche Bildungswesen als Theil des wirthschaftlichen Berufsbildungswesens beruht in seinem Princip auf dem höheren Wesen des Gewerbes, und zwar im wesent- lichen Unterschied von der Industrie darin, daß es das Moment der individuellen Produktionskraft zu entwickeln hat. Das nun kann nur durch Bildung des Geschmackes geschehen, welcher den Produkten den freien Werth gibt. Die specielle Gewerbebildung besteht daher wesentlich in Zeichnen- und Musterschulen für die Lehrlinge, wäh- rend für die Meister die Vorträge in den Gewerbevereinen und die Ausstellungen eintreten. Diese Bildungsanstalten sind naturgemäß Sache der Vereine. Der gewerbliche Creditverein ist vermöge der Natur der gewerblichen Produktion weder ein strenger Zahlungs- noch ein Unternehmungscredit, sondern diejenige Verbindung beider, die wir den Vorschußcredit genannt haben, da er nur kleine Capi- talien fordert, seine Sicherheit zunächst in der producirten Waare findet, und mit dem Erlös derselben zurückgezahlt wird. Das gewerbliche Creditvereinswesen beruht daher auf der Gegenseitigkeit, dem zwar ein Aktiencapital als Grundlage zu Hülfe kommen kann, dem aber nothwendig die gewählte Creditverwaltung die Sicherheit für jeden einzelnen Credit, und die gegenseitige solidarische Haftung die Sicherheit und damit den billigen Zinsfuß für das Ganze geben muß. Diese Gruppe von gewerblichen Creditanstalten bezeichnen wir als das System der Gewerbe- und Volksbanken, die sich bisher nur noch theilweise von dem übrigen Creditwesen losgelöst haben. Neben ihnen stehen Anstalten für den persönlichen Credit, Leihanstalten etc., die in der Regel mehr auf die Noth als auf die gewerbliche Unternehmung be- rechnet sind.
Ueber die eigentlichen gewerblichen Bildungsanstalten war man schon im vorigen Jahrhundert im Wesentlichen einig. Bensen, Staatslehre, Abth. 3. §. 728; Vogt: durch welche Mittel können unsere Handwerker dazu gebracht werden, daß sie Verbesserungen ihrer Gewerbe nützen etc. 1799; Berg, Polizeirecht III. S. 444. Neuere Zeit: Grundsatz der organischen Einfügung des gewerblichen Bildungswesens in den Volks- und Berufsunterricht, des ersteren in dem System der Realschulen, des letzteren in dem der eigentlichen Gewerbeschulen. Damit hat das gewerbliche Unterrichtswesen seine organische Stellung empfangen. Falsch ist nur die Verschmelzung des Gewerbeunterrichts mit der Handels- und Kunstbildung. RauII. §. 204; Mohl, Polizeiwissen-
b) Allgemeine Gewerbspflege.
Die allgemeine Gewerbspflege erſcheint als Anwendung der allge- meinen Volkswirthſchaftspflege auf das gewerbliche Leben, ſo weit das letztere eine beſondere Geſtalt des erſteren fordert. Das iſt der Fall im Bildungs- und Creditweſen. Das gewerbliche Bildungsweſen als Theil des wirthſchaftlichen Berufsbildungsweſens beruht in ſeinem Princip auf dem höheren Weſen des Gewerbes, und zwar im weſent- lichen Unterſchied von der Induſtrie darin, daß es das Moment der individuellen Produktionskraft zu entwickeln hat. Das nun kann nur durch Bildung des Geſchmackes geſchehen, welcher den Produkten den freien Werth gibt. Die ſpecielle Gewerbebildung beſteht daher weſentlich in Zeichnen- und Muſterſchulen für die Lehrlinge, wäh- rend für die Meiſter die Vorträge in den Gewerbevereinen und die Ausſtellungen eintreten. Dieſe Bildungsanſtalten ſind naturgemäß Sache der Vereine. Der gewerbliche Creditverein iſt vermöge der Natur der gewerblichen Produktion weder ein ſtrenger Zahlungs- noch ein Unternehmungscredit, ſondern diejenige Verbindung beider, die wir den Vorſchußcredit genannt haben, da er nur kleine Capi- talien fordert, ſeine Sicherheit zunächſt in der producirten Waare findet, und mit dem Erlös derſelben zurückgezahlt wird. Das gewerbliche Creditvereinsweſen beruht daher auf der Gegenſeitigkeit, dem zwar ein Aktiencapital als Grundlage zu Hülfe kommen kann, dem aber nothwendig die gewählte Creditverwaltung die Sicherheit für jeden einzelnen Credit, und die gegenſeitige ſolidariſche Haftung die Sicherheit und damit den billigen Zinsfuß für das Ganze geben muß. Dieſe Gruppe von gewerblichen Creditanſtalten bezeichnen wir als das Syſtem der Gewerbe- und Volksbanken, die ſich bisher nur noch theilweiſe von dem übrigen Creditweſen losgelöst haben. Neben ihnen ſtehen Anſtalten für den perſönlichen Credit, Leihanſtalten ꝛc., die in der Regel mehr auf die Noth als auf die gewerbliche Unternehmung be- rechnet ſind.
Ueber die eigentlichen gewerblichen Bildungsanſtalten war man ſchon im vorigen Jahrhundert im Weſentlichen einig. Benſen, Staatslehre, Abth. 3. §. 728; Vogt: durch welche Mittel können unſere Handwerker dazu gebracht werden, daß ſie Verbeſſerungen ihrer Gewerbe nützen ꝛc. 1799; Berg, Polizeirecht III. S. 444. Neuere Zeit: Grundſatz der organiſchen Einfügung des gewerblichen Bildungsweſens in den Volks- und Berufsunterricht, des erſteren in dem Syſtem der Realſchulen, des letzteren in dem der eigentlichen Gewerbeſchulen. Damit hat das gewerbliche Unterrichtsweſen ſeine organiſche Stellung empfangen. Falſch iſt nur die Verſchmelzung des Gewerbeunterrichts mit der Handels- und Kunſtbildung. RauII. §. 204; Mohl, Polizeiwiſſen-
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b) Allgemeine Gewerbspflege.
Die allgemeine Gewerbspflege erſcheint als Anwendung der allge-
meinen Volkswirthſchaftspflege auf das gewerbliche Leben, ſo weit das
letztere eine beſondere Geſtalt des erſteren fordert. Das iſt der Fall
im Bildungs- und Creditweſen. Das gewerbliche Bildungsweſen
als Theil des wirthſchaftlichen Berufsbildungsweſens beruht in ſeinem
Princip auf dem höheren Weſen des Gewerbes, und zwar im weſent-
lichen Unterſchied von der Induſtrie darin, daß es das Moment der
individuellen Produktionskraft zu entwickeln hat. Das nun kann
nur durch Bildung des Geſchmackes geſchehen, welcher den Produkten
den freien Werth gibt. Die ſpecielle Gewerbebildung beſteht daher
weſentlich in Zeichnen- und Muſterſchulen für die Lehrlinge, wäh-
rend für die Meiſter die Vorträge in den Gewerbevereinen und die
Ausſtellungen eintreten. Dieſe Bildungsanſtalten ſind naturgemäß
Sache der Vereine. Der gewerbliche Creditverein iſt vermöge
der Natur der gewerblichen Produktion weder ein ſtrenger Zahlungs-
noch ein Unternehmungscredit, ſondern diejenige Verbindung beider,
die wir den Vorſchußcredit genannt haben, da er nur kleine Capi-
talien fordert, ſeine Sicherheit zunächſt in der producirten Waare findet,
und mit dem Erlös derſelben zurückgezahlt wird. Das gewerbliche
Creditvereinsweſen beruht daher auf der Gegenſeitigkeit, dem zwar
ein Aktiencapital als Grundlage zu Hülfe kommen kann, dem aber
nothwendig die gewählte Creditverwaltung die Sicherheit für jeden
einzelnen Credit, und die gegenſeitige ſolidariſche Haftung die Sicherheit
und damit den billigen Zinsfuß für das Ganze geben muß. Dieſe
Gruppe von gewerblichen Creditanſtalten bezeichnen wir als das Syſtem
der Gewerbe- und Volksbanken, die ſich bisher nur noch theilweiſe
von dem übrigen Creditweſen losgelöst haben. Neben ihnen ſtehen
Anſtalten für den perſönlichen Credit, Leihanſtalten ꝛc., die in der
Regel mehr auf die Noth als auf die gewerbliche Unternehmung be-
rechnet ſind.
Ueber die eigentlichen gewerblichen Bildungsanſtalten war man
ſchon im vorigen Jahrhundert im Weſentlichen einig. Benſen, Staatslehre,
Abth. 3. §. 728; Vogt: durch welche Mittel können unſere Handwerker dazu
gebracht werden, daß ſie Verbeſſerungen ihrer Gewerbe nützen ꝛc. 1799; Berg,
Polizeirecht III. S. 444. Neuere Zeit: Grundſatz der organiſchen Einfügung
des gewerblichen Bildungsweſens in den Volks- und Berufsunterricht, des
erſteren in dem Syſtem der Realſchulen, des letzteren in dem der eigentlichen
Gewerbeſchulen. Damit hat das gewerbliche Unterrichtsweſen ſeine organiſche
Stellung empfangen. Falſch iſt nur die Verſchmelzung des Gewerbeunterrichts
mit der Handels- und Kunſtbildung. Rau II. §. 204; Mohl, Polizeiwiſſen-
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/370>, abgerufen am 22.11.2024.
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