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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Allein er kann es nicht; theils weil die Bahnen ein zu großes
Capital fordern, theils aber weil sie den Charakter von Unternehmungen
haben, die der Staat nie gut verwaltet, so lange ein Reingewinn ihre
Voraussetzung und ihr Zweck ist. Weder Regierung noch Selbstver-
waltung genügen hier. Um die Bahnen herzustellen, muß daher der
dritte große Organismus der vollziehenden Gewalt eintreten, das Ver-
einswesen
. Und zwar ist diejenige Form desselben, in der es das
Bahnwesen in sich aufnimmt, die Aktiengesellschaft. Das Bahn-
wesen fast der ganzen Welt beruht daher auf der Bildung von Aktien-
gesellschaften.

Nun aber vertritt jede Erwerbsgesellschaft oder selbständiges Unter-
nehmen das Lebensprincip des letzteren, das Erwerbsinteresse der
Unternehmer (Aktionäre). Dies Interesse geht dahin, den möglichst
großen Erwerb vermöge des Unternehmens in Anlage und Betrieb zu
machen. Dieser Erwerb beruht auf der möglichst hohen Zahlung
der Einzelnen für die Benützung der Bahn. Der Staat aber, das
allgemeine Interesse vertretend, muß im Namen desselben vor allem
den möglichst niedrigen Betrag für diese Benutzung fordern. Die
Unternehmer fordern daher eine Verwaltung und ein Recht, welches
dem möglichsten Ertrage ihres Capitals dienen, der Staat eine Ver-
waltung und ein Recht, welche sich dem Gesammtinteresse unterordnen.
Jedes von beiden Elementen macht daher die volle Herrschaft des andern
unmöglich. Dennoch ist es kein Zweifel, daß sie beide gleich berechtigt
sind. So wie daher die Bahnen entstehen, treten beide Faktoren,
jeder mit seinen Ansprüchen, mit einander in Gegensatz; es entsteht
ein im Ganzen wie auf jedem einzelnen Punkte wiederholter Kampf
des Gesellschafts- mit dem öffentlichen Interesse, ein beständig wieder-
holter Versuch, beide in Harmonie zu bringen; und dieser Gegensatz ist
es, welcher als das eigentlich rechtsbildende Element des Bahnwesens,
und als die Grundlage für die Geschichte und das System desselben
angesehen werden muß. Er durchdringt das Ganze, und bildet den
Charakter des öffentlichen Bahnwesens in jedem Lande und das Ver-
hältniß, in welchem beide Elemente zu einander stehen, die Stadien
der Entwicklung in dem Kampfe beider mit einander, und gibt dem
formalen System seinen concreten Inhalt. Von ihm aus ist erst das
wissenschaftliche Verständniß des Ganzen möglich.

Die Elemente der Geschichte des Bahnwesens.

Geht man nun von dem obigen Standpunkt aus, so erscheint
die historische Entwicklung des Bahnwesens in drei Hauptstadien, die
von der statistischen, technischen und volkswirthschaftlichen Frage ganz

Allein er kann es nicht; theils weil die Bahnen ein zu großes
Capital fordern, theils aber weil ſie den Charakter von Unternehmungen
haben, die der Staat nie gut verwaltet, ſo lange ein Reingewinn ihre
Vorausſetzung und ihr Zweck iſt. Weder Regierung noch Selbſtver-
waltung genügen hier. Um die Bahnen herzuſtellen, muß daher der
dritte große Organismus der vollziehenden Gewalt eintreten, das Ver-
einsweſen
. Und zwar iſt diejenige Form deſſelben, in der es das
Bahnweſen in ſich aufnimmt, die Aktiengeſellſchaft. Das Bahn-
weſen faſt der ganzen Welt beruht daher auf der Bildung von Aktien-
geſellſchaften.

Nun aber vertritt jede Erwerbsgeſellſchaft oder ſelbſtändiges Unter-
nehmen das Lebensprincip des letzteren, das Erwerbsintereſſe der
Unternehmer (Aktionäre). Dies Intereſſe geht dahin, den möglichſt
großen Erwerb vermöge des Unternehmens in Anlage und Betrieb zu
machen. Dieſer Erwerb beruht auf der möglichſt hohen Zahlung
der Einzelnen für die Benützung der Bahn. Der Staat aber, das
allgemeine Intereſſe vertretend, muß im Namen deſſelben vor allem
den möglichſt niedrigen Betrag für dieſe Benutzung fordern. Die
Unternehmer fordern daher eine Verwaltung und ein Recht, welches
dem möglichſten Ertrage ihres Capitals dienen, der Staat eine Ver-
waltung und ein Recht, welche ſich dem Geſammtintereſſe unterordnen.
Jedes von beiden Elementen macht daher die volle Herrſchaft des andern
unmöglich. Dennoch iſt es kein Zweifel, daß ſie beide gleich berechtigt
ſind. So wie daher die Bahnen entſtehen, treten beide Faktoren,
jeder mit ſeinen Anſprüchen, mit einander in Gegenſatz; es entſteht
ein im Ganzen wie auf jedem einzelnen Punkte wiederholter Kampf
des Geſellſchafts- mit dem öffentlichen Intereſſe, ein beſtändig wieder-
holter Verſuch, beide in Harmonie zu bringen; und dieſer Gegenſatz iſt
es, welcher als das eigentlich rechtsbildende Element des Bahnweſens,
und als die Grundlage für die Geſchichte und das Syſtem deſſelben
angeſehen werden muß. Er durchdringt das Ganze, und bildet den
Charakter des öffentlichen Bahnweſens in jedem Lande und das Ver-
hältniß, in welchem beide Elemente zu einander ſtehen, die Stadien
der Entwicklung in dem Kampfe beider mit einander, und gibt dem
formalen Syſtem ſeinen concreten Inhalt. Von ihm aus iſt erſt das
wiſſenſchaftliche Verſtändniß des Ganzen möglich.

Die Elemente der Geſchichte des Bahnweſens.

Geht man nun von dem obigen Standpunkt aus, ſo erſcheint
die hiſtoriſche Entwicklung des Bahnweſens in drei Hauptſtadien, die
von der ſtatiſtiſchen, techniſchen und volkswirthſchaftlichen Frage ganz

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[210/0234] Allein er kann es nicht; theils weil die Bahnen ein zu großes Capital fordern, theils aber weil ſie den Charakter von Unternehmungen haben, die der Staat nie gut verwaltet, ſo lange ein Reingewinn ihre Vorausſetzung und ihr Zweck iſt. Weder Regierung noch Selbſtver- waltung genügen hier. Um die Bahnen herzuſtellen, muß daher der dritte große Organismus der vollziehenden Gewalt eintreten, das Ver- einsweſen. Und zwar iſt diejenige Form deſſelben, in der es das Bahnweſen in ſich aufnimmt, die Aktiengeſellſchaft. Das Bahn- weſen faſt der ganzen Welt beruht daher auf der Bildung von Aktien- geſellſchaften. Nun aber vertritt jede Erwerbsgeſellſchaft oder ſelbſtändiges Unter- nehmen das Lebensprincip des letzteren, das Erwerbsintereſſe der Unternehmer (Aktionäre). Dies Intereſſe geht dahin, den möglichſt großen Erwerb vermöge des Unternehmens in Anlage und Betrieb zu machen. Dieſer Erwerb beruht auf der möglichſt hohen Zahlung der Einzelnen für die Benützung der Bahn. Der Staat aber, das allgemeine Intereſſe vertretend, muß im Namen deſſelben vor allem den möglichſt niedrigen Betrag für dieſe Benutzung fordern. Die Unternehmer fordern daher eine Verwaltung und ein Recht, welches dem möglichſten Ertrage ihres Capitals dienen, der Staat eine Ver- waltung und ein Recht, welche ſich dem Geſammtintereſſe unterordnen. Jedes von beiden Elementen macht daher die volle Herrſchaft des andern unmöglich. Dennoch iſt es kein Zweifel, daß ſie beide gleich berechtigt ſind. So wie daher die Bahnen entſtehen, treten beide Faktoren, jeder mit ſeinen Anſprüchen, mit einander in Gegenſatz; es entſteht ein im Ganzen wie auf jedem einzelnen Punkte wiederholter Kampf des Geſellſchafts- mit dem öffentlichen Intereſſe, ein beſtändig wieder- holter Verſuch, beide in Harmonie zu bringen; und dieſer Gegenſatz iſt es, welcher als das eigentlich rechtsbildende Element des Bahnweſens, und als die Grundlage für die Geſchichte und das Syſtem deſſelben angeſehen werden muß. Er durchdringt das Ganze, und bildet den Charakter des öffentlichen Bahnweſens in jedem Lande und das Ver- hältniß, in welchem beide Elemente zu einander ſtehen, die Stadien der Entwicklung in dem Kampfe beider mit einander, und gibt dem formalen Syſtem ſeinen concreten Inhalt. Von ihm aus iſt erſt das wiſſenſchaftliche Verſtändniß des Ganzen möglich. Die Elemente der Geſchichte des Bahnweſens. Geht man nun von dem obigen Standpunkt aus, ſo erſcheint die hiſtoriſche Entwicklung des Bahnweſens in drei Hauptſtadien, die von der ſtatiſtiſchen, techniſchen und volkswirthſchaftlichen Frage ganz

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/234>, abgerufen am 28.11.2024.