Den Uebergang zum freien Recht der Auswanderung bildet dann das polizeiliche Auswanderungsrecht auf populationistischer Grund- lage. Dasselbe entsteht mit dem Ende des siebenzehnten Jahrhunderts und enthält das Princip der amtlichen Erlaubniß für die Aus- wanderung aus dem Staate, dem die Bestrafung der unerlaubten Auswanderung zur Seite steht. Diese polizeiliche Erlaubniß bezieht sich aber dann nur auf den Staat und läßt daher das Retractrecht für die Grundherrlichkeit als Gemeindeauswanderungsrecht noch fortbestehen. Durch das Zusammenwirken beider wird nun die freie Bewegung der Bevölkerung in hohem Grade gehemmt und das neue Recht der Aus- wanderung vorbereitet.
Die staatsbürgerliche Gesellschaft erkennt auch für die Auswande- rung die individuelle Freiheit an und hebt die Auswanderungsverbote auf. Das Retractrecht und die Erbschaftssteuer bleiben nur noch als Retorsionsmaßregeln bestehen. Doch erhält sich der Gedanke, daß der Staat die Erfüllung bereits eingegangener Verpflichtungen der Aus- wandernden gegen sich und gegen Einzelne so weit thunlich zu sichern habe; daher die zweckmäßige Verpflichtung der Auswandernden zur öffentlichen Anzeige und Grundsatz, daß das zurückgelassene Ver- mögen des Auswandernden, bez. Berechtigungen desselben im Inlande dafür zur Haftung gehalten werde. Grundsätzlich ist zweitens die Er- füllung der Wehrpflicht als Bedingung der freien Auswanderung; drittens das Aufhören des Heimathsrechts mit der Uebergabe des Auswanderungspasses. Auf diesen Grundsätzen beruht das Auswan- derungsrecht der Gegenwart.
Die hohe Bedeutung jedoch, welche die Auswanderung als That- sache für das wirthschaftliche und sociale Leben der Völker hat, hat nun das unmittelbare Eingreifen der inneren Verwaltung in die wirk- liche Auswanderung zu einer Aufgabe der letzteren gemacht, und so die Auswanderungspolitik erzeugt. Diese Auswanderungspolitik hat drei Hauptgebiete, welche freilich sehr verschieden entwickelt sind.
Die Beförderung der Auswanderung, theils durch direkte Auf- forderung, theils durch Gemeinde- oder Staatsunterstützung kann ihrer Natur nach nur örtlich und zeitlich vorkommen und sich nur auf ört- liche Anhäufung der nichtbesitzenden Classe beziehen. Auch da bleibt sie von zweifelhaftem Werthe, da sie viel kostet und keine Sicherheit des Erwerbes für die Auswandernden darbieten könne.
Der Schutz der Auswanderungen enthält die Vorsichtsmaßregeln der Regierung gegen Ausbeutung der Auswanderungslustigen durch Gesellschaften und ihre Agenten. Derselbe wird theils durch das Princip der Genehmigung zu Auswanderungsagenturen, theils durch Aufklärungen
Den Uebergang zum freien Recht der Auswanderung bildet dann das polizeiliche Auswanderungsrecht auf populationiſtiſcher Grund- lage. Daſſelbe entſteht mit dem Ende des ſiebenzehnten Jahrhunderts und enthält das Princip der amtlichen Erlaubniß für die Aus- wanderung aus dem Staate, dem die Beſtrafung der unerlaubten Auswanderung zur Seite ſteht. Dieſe polizeiliche Erlaubniß bezieht ſich aber dann nur auf den Staat und läßt daher das Retractrecht für die Grundherrlichkeit als Gemeindeauswanderungsrecht noch fortbeſtehen. Durch das Zuſammenwirken beider wird nun die freie Bewegung der Bevölkerung in hohem Grade gehemmt und das neue Recht der Aus- wanderung vorbereitet.
Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft erkennt auch für die Auswande- rung die individuelle Freiheit an und hebt die Auswanderungsverbote auf. Das Retractrecht und die Erbſchaftsſteuer bleiben nur noch als Retorſionsmaßregeln beſtehen. Doch erhält ſich der Gedanke, daß der Staat die Erfüllung bereits eingegangener Verpflichtungen der Aus- wandernden gegen ſich und gegen Einzelne ſo weit thunlich zu ſichern habe; daher die zweckmäßige Verpflichtung der Auswandernden zur öffentlichen Anzeige und Grundſatz, daß das zurückgelaſſene Ver- mögen des Auswandernden, bez. Berechtigungen deſſelben im Inlande dafür zur Haftung gehalten werde. Grundſätzlich iſt zweitens die Er- füllung der Wehrpflicht als Bedingung der freien Auswanderung; drittens das Aufhören des Heimathsrechts mit der Uebergabe des Auswanderungspaſſes. Auf dieſen Grundſätzen beruht das Auswan- derungsrecht der Gegenwart.
Die hohe Bedeutung jedoch, welche die Auswanderung als That- ſache für das wirthſchaftliche und ſociale Leben der Völker hat, hat nun das unmittelbare Eingreifen der inneren Verwaltung in die wirk- liche Auswanderung zu einer Aufgabe der letzteren gemacht, und ſo die Auswanderungspolitik erzeugt. Dieſe Auswanderungspolitik hat drei Hauptgebiete, welche freilich ſehr verſchieden entwickelt ſind.
Die Beförderung der Auswanderung, theils durch direkte Auf- forderung, theils durch Gemeinde- oder Staatsunterſtützung kann ihrer Natur nach nur örtlich und zeitlich vorkommen und ſich nur auf ört- liche Anhäufung der nichtbeſitzenden Claſſe beziehen. Auch da bleibt ſie von zweifelhaftem Werthe, da ſie viel koſtet und keine Sicherheit des Erwerbes für die Auswandernden darbieten könne.
Der Schutz der Auswanderungen enthält die Vorſichtsmaßregeln der Regierung gegen Ausbeutung der Auswanderungsluſtigen durch Geſellſchaften und ihre Agenten. Derſelbe wird theils durch das Princip der Genehmigung zu Auswanderungsagenturen, theils durch Aufklärungen
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Den Uebergang zum freien Recht der Auswanderung bildet dann
das polizeiliche Auswanderungsrecht auf populationiſtiſcher Grund-
lage. Daſſelbe entſteht mit dem Ende des ſiebenzehnten Jahrhunderts
und enthält das Princip der amtlichen Erlaubniß für die Aus-
wanderung aus dem Staate, dem die Beſtrafung der unerlaubten
Auswanderung zur Seite ſteht. Dieſe polizeiliche Erlaubniß bezieht ſich
aber dann nur auf den Staat und läßt daher das Retractrecht für
die Grundherrlichkeit als Gemeindeauswanderungsrecht noch fortbeſtehen.
Durch das Zuſammenwirken beider wird nun die freie Bewegung der
Bevölkerung in hohem Grade gehemmt und das neue Recht der Aus-
wanderung vorbereitet.
Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft erkennt auch für die Auswande-
rung die individuelle Freiheit an und hebt die Auswanderungsverbote
auf. Das Retractrecht und die Erbſchaftsſteuer bleiben nur noch als
Retorſionsmaßregeln beſtehen. Doch erhält ſich der Gedanke, daß der
Staat die Erfüllung bereits eingegangener Verpflichtungen der Aus-
wandernden gegen ſich und gegen Einzelne ſo weit thunlich zu ſichern
habe; daher die zweckmäßige Verpflichtung der Auswandernden zur
öffentlichen Anzeige und Grundſatz, daß das zurückgelaſſene Ver-
mögen des Auswandernden, bez. Berechtigungen deſſelben im Inlande
dafür zur Haftung gehalten werde. Grundſätzlich iſt zweitens die Er-
füllung der Wehrpflicht als Bedingung der freien Auswanderung;
drittens das Aufhören des Heimathsrechts mit der Uebergabe des
Auswanderungspaſſes. Auf dieſen Grundſätzen beruht das Auswan-
derungsrecht der Gegenwart.
Die hohe Bedeutung jedoch, welche die Auswanderung als That-
ſache für das wirthſchaftliche und ſociale Leben der Völker hat, hat
nun das unmittelbare Eingreifen der inneren Verwaltung in die wirk-
liche Auswanderung zu einer Aufgabe der letzteren gemacht, und ſo die
Auswanderungspolitik erzeugt. Dieſe Auswanderungspolitik hat
drei Hauptgebiete, welche freilich ſehr verſchieden entwickelt ſind.
Die Beförderung der Auswanderung, theils durch direkte Auf-
forderung, theils durch Gemeinde- oder Staatsunterſtützung kann ihrer
Natur nach nur örtlich und zeitlich vorkommen und ſich nur auf ört-
liche Anhäufung der nichtbeſitzenden Claſſe beziehen. Auch da bleibt
ſie von zweifelhaftem Werthe, da ſie viel koſtet und keine Sicherheit
des Erwerbes für die Auswandernden darbieten könne.
Der Schutz der Auswanderungen enthält die Vorſichtsmaßregeln
der Regierung gegen Ausbeutung der Auswanderungsluſtigen durch
Geſellſchaften und ihre Agenten. Derſelbe wird theils durch das Princip
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/103>, abgerufen am 25.11.2024.
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