Die Auswanderung ist das Aufgeben des Staatsbürgerthums unter Verlassung der Heimath. Der Grund der Auswanderung ist, sofern sie nicht als vereinzelter Fall auftritt, stets ein tieferer gesellschaftlicher Gegensatz. Die nächste rechtliche Folge derselben dagegen ist das Auf- geben aller theils örtlichen, theils wirthschaftlichen, theils rechtlichen Beziehungen des Auswandernden mit seiner bisherigen Heimath. Die Auswanderung ist daher in ihren Gründen und in ihren äußern Folgen eine große gesellschaftliche und dadurch welthistorische Thatsache, durch ihre inneren Folgen dagegen ein Gegenstand der Verwaltung. Und die dadurch entstehenden öffentlichen Rechte und Thätigkeiten der letz- teren bilden das Auswanderungswesen.
Das Auswanderungswesen erscheint daher unter den verschiedenen Gesellschaftsformen als ein sehr verschiedenes, und wenig von dem früheren ist in der gegenwärtigen Zeit zu gebrauchen, obwohl es allen Zeiten gemein ist, daß die Auswanderung stets nur entweder von den rechtlich oder von den wirthschaftlich unterdrückten Classen ausgeht, und stets sich solchen Ländern und Zuständen zuwendet, in denen der Auswanderer die ihm in der Heimath mangelnde Freiheit wieder zu finden hofft.
In der Geschlechterordnung erscheint die Auswanderung regelmäßig als Eroberungszug; aus ihm gehen Niederlassungen, Colonien hervor, welche bei gleicher Grundlage mit dem öffentlichen Recht der Heimath meistens den Erwerb von Grundbesitz (sog. Militär-Colonien -- im Großen die ganze germanische Völkerwanderung) oder den, der heimath- lichen Concurrenz entfliehenden gewerblichen Besitz zum Zweck haben (Handelscolonien). Es ist falsch, Handelscomptoire als Auswande- rungen zu betrachten; sie können sie höchstens veranlassen (Geschichte der Hanse; des transatlantischen Handels). Rechtlicher Grundsatz ist dabei der Verlust aller Rechte in der bisherigen Heimath.
In der ständischen Ordnung ist die Auswanderung entweder eine confessionelle, deren Grund die confessionelle Verfolgung ist, oder die grundherrliche. Das Recht der letzteren beginnt mit dem Verbot und der Bestrafung der Auswanderung, da die Person des Auswan- dernden dem Grundherrn eigen ist, und geht dann über zum wirth- schaftlichen Recht des Detracts (census oder gabella emigrationis, Nachschoßrecht), welches bei persönlicher Freiheit der Auswanderung das aus dem Gerichtsbereich gezogene Vermögen, sogar bei Erbschaften, be- steuert. Dieß Recht verschwindet erst in unserem Jahrhundert mit der Aufhebung der Grundherrlichkeit.
III. Das Auswanderungsweſen.
Die Auswanderung iſt das Aufgeben des Staatsbürgerthums unter Verlaſſung der Heimath. Der Grund der Auswanderung iſt, ſofern ſie nicht als vereinzelter Fall auftritt, ſtets ein tieferer geſellſchaftlicher Gegenſatz. Die nächſte rechtliche Folge derſelben dagegen iſt das Auf- geben aller theils örtlichen, theils wirthſchaftlichen, theils rechtlichen Beziehungen des Auswandernden mit ſeiner bisherigen Heimath. Die Auswanderung iſt daher in ihren Gründen und in ihren äußern Folgen eine große geſellſchaftliche und dadurch welthiſtoriſche Thatſache, durch ihre inneren Folgen dagegen ein Gegenſtand der Verwaltung. Und die dadurch entſtehenden öffentlichen Rechte und Thätigkeiten der letz- teren bilden das Auswanderungsweſen.
Das Auswanderungsweſen erſcheint daher unter den verſchiedenen Geſellſchaftsformen als ein ſehr verſchiedenes, und wenig von dem früheren iſt in der gegenwärtigen Zeit zu gebrauchen, obwohl es allen Zeiten gemein iſt, daß die Auswanderung ſtets nur entweder von den rechtlich oder von den wirthſchaftlich unterdrückten Claſſen ausgeht, und ſtets ſich ſolchen Ländern und Zuſtänden zuwendet, in denen der Auswanderer die ihm in der Heimath mangelnde Freiheit wieder zu finden hofft.
In der Geſchlechterordnung erſcheint die Auswanderung regelmäßig als Eroberungszug; aus ihm gehen Niederlaſſungen, Colonien hervor, welche bei gleicher Grundlage mit dem öffentlichen Recht der Heimath meiſtens den Erwerb von Grundbeſitz (ſog. Militär-Colonien — im Großen die ganze germaniſche Völkerwanderung) oder den, der heimath- lichen Concurrenz entfliehenden gewerblichen Beſitz zum Zweck haben (Handelscolonien). Es iſt falſch, Handelscomptoire als Auswande- rungen zu betrachten; ſie können ſie höchſtens veranlaſſen (Geſchichte der Hanſe; des transatlantiſchen Handels). Rechtlicher Grundſatz iſt dabei der Verluſt aller Rechte in der bisherigen Heimath.
In der ſtändiſchen Ordnung iſt die Auswanderung entweder eine confeſſionelle, deren Grund die confeſſionelle Verfolgung iſt, oder die grundherrliche. Das Recht der letzteren beginnt mit dem Verbot und der Beſtrafung der Auswanderung, da die Perſon des Auswan- dernden dem Grundherrn eigen iſt, und geht dann über zum wirth- ſchaftlichen Recht des Detracts (census oder gabella emigrationis, Nachſchoßrecht), welches bei perſönlicher Freiheit der Auswanderung das aus dem Gerichtsbereich gezogene Vermögen, ſogar bei Erbſchaften, be- ſteuert. Dieß Recht verſchwindet erſt in unſerem Jahrhundert mit der Aufhebung der Grundherrlichkeit.
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III. Das Auswanderungsweſen.
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ſie nicht als vereinzelter Fall auftritt, ſtets ein tieferer geſellſchaftlicher
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geben aller theils örtlichen, theils wirthſchaftlichen, theils rechtlichen
Beziehungen des Auswandernden mit ſeiner bisherigen Heimath. Die
Auswanderung iſt daher in ihren Gründen und in ihren äußern Folgen
eine große geſellſchaftliche und dadurch welthiſtoriſche Thatſache, durch
ihre inneren Folgen dagegen ein Gegenſtand der Verwaltung. Und
die dadurch entſtehenden öffentlichen Rechte und Thätigkeiten der letz-
teren bilden das Auswanderungsweſen.
Das Auswanderungsweſen erſcheint daher unter den verſchiedenen
Geſellſchaftsformen als ein ſehr verſchiedenes, und wenig von dem
früheren iſt in der gegenwärtigen Zeit zu gebrauchen, obwohl es allen
Zeiten gemein iſt, daß die Auswanderung ſtets nur entweder von den
rechtlich oder von den wirthſchaftlich unterdrückten Claſſen ausgeht,
und ſtets ſich ſolchen Ländern und Zuſtänden zuwendet, in denen
der Auswanderer die ihm in der Heimath mangelnde Freiheit wieder
zu finden hofft.
In der Geſchlechterordnung erſcheint die Auswanderung regelmäßig
als Eroberungszug; aus ihm gehen Niederlaſſungen, Colonien hervor,
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meiſtens den Erwerb von Grundbeſitz (ſog. Militär-Colonien — im
Großen die ganze germaniſche Völkerwanderung) oder den, der heimath-
lichen Concurrenz entfliehenden gewerblichen Beſitz zum Zweck haben
(Handelscolonien). Es iſt falſch, Handelscomptoire als Auswande-
rungen zu betrachten; ſie können ſie höchſtens veranlaſſen (Geſchichte
der Hanſe; des transatlantiſchen Handels). Rechtlicher Grundſatz iſt
dabei der Verluſt aller Rechte in der bisherigen Heimath.
In der ſtändiſchen Ordnung iſt die Auswanderung entweder eine
confeſſionelle, deren Grund die confeſſionelle Verfolgung iſt, oder die
grundherrliche. Das Recht der letzteren beginnt mit dem Verbot
und der Beſtrafung der Auswanderung, da die Perſon des Auswan-
dernden dem Grundherrn eigen iſt, und geht dann über zum wirth-
ſchaftlichen Recht des Detracts (census oder gabella emigrationis,
Nachſchoßrecht), welches bei perſönlicher Freiheit der Auswanderung das
aus dem Gerichtsbereich gezogene Vermögen, ſogar bei Erbſchaften, be-
ſteuert. Dieß Recht verſchwindet erſt in unſerem Jahrhundert mit der
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/102>, abgerufen am 25.11.2024.
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