Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_063.001 Der Gegensatz wird aber auch noch in anderem Sinne pst_063.025 pst_063.001 Der Gegensatz wird aber auch noch in anderem Sinne pst_063.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0067" n="63"/><lb n="pst_063.001"/> das Drama – eine Synthese von beiden, worin sich das <lb n="pst_063.002"/> idealistische Denken nach dem Gegensatz Ich – Nicht-Ich, <lb n="pst_063.003"/> Geist – Natur, oder die Hegelsche Dialektik bestätigt <lb n="pst_063.004"/> findet. Als System oder Metaphysik ist der Idealismus <lb n="pst_063.005"/> für die Geisteswissenschaften längst nicht mehr <lb n="pst_063.006"/> verbindlich. Die Begriffe «subjektive» und «objektive <lb n="pst_063.007"/> Poesie» sind aber geblieben und gehen neue Verbindungen <lb n="pst_063.008"/> ein. So wird etwa die Objektivität des Epos dahin <lb n="pst_063.009"/> ausgelegt, daß es die Wirklichkeit darstelle, wie sie <lb n="pst_063.010"/> unabhängig von der Person des Dichters bestehe. «Objektiv» <lb n="pst_063.011"/> heißt dann soviel wie «sachlich» und weiterhin <lb n="pst_063.012"/> «allgemeingültig». Die Lyrik dagegen soll die Spiegelung <lb n="pst_063.013"/> der Dinge und Ereignisse im individuellen Bewußtsein <lb n="pst_063.014"/> zeigen. Schon hier verwirren sich die Begriffe. <lb n="pst_063.015"/> Wenn «unabhängig von der Person» so viel wie «an <lb n="pst_063.016"/> sich» bedeuten soll, so ist die Bestimmung offenbar <lb n="pst_063.017"/> falsch. Kein Gegenstand ist «an sich» zugänglich. Gerade <lb n="pst_063.018"/> weil er Gegenstand ist, gegenüber steht, kann er <lb n="pst_063.019"/> nur von einem Standpunkt aus betrachtet werden, in <lb n="pst_063.020"/> einer Perspektive, die eben die Perspektive des Dichters, <lb n="pst_063.021"/> seiner Zeit oder seines Volkes ist (vergleiche Seite 90). <lb n="pst_063.022"/> «Objektiv» ist also nicht identisch mit «unabhängig <lb n="pst_063.023"/> vom Dichter».</p> <lb n="pst_063.024"/> <p> Der Gegensatz wird aber auch noch in anderem Sinne <lb n="pst_063.025"/> ausgelegt. Der Epiker stelle die Außenwelt, der Lyriker <lb n="pst_063.026"/> seine Innenwelt dar. Lyrische Dichtung sei innerlich. <lb n="pst_063.027"/> Was heißt das? Im Epischen besteht, wie sich zeigen <lb n="pst_063.028"/> wird, ein Gegenüber: hier das unbewegte Gemüt des <lb n="pst_063.029"/> Erzählers, dort das bewegte Geschehen. Was soll aber <lb n="pst_063.030"/> «innerlich» besagen? Etwa so viel wie «introvertiert»? <lb n="pst_063.031"/> Dies würde das Wesen des Lyrischen fälschen. Der psychologische </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0067]
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das Drama – eine Synthese von beiden, worin sich das pst_063.002
idealistische Denken nach dem Gegensatz Ich – Nicht-Ich, pst_063.003
Geist – Natur, oder die Hegelsche Dialektik bestätigt pst_063.004
findet. Als System oder Metaphysik ist der Idealismus pst_063.005
für die Geisteswissenschaften längst nicht mehr pst_063.006
verbindlich. Die Begriffe «subjektive» und «objektive pst_063.007
Poesie» sind aber geblieben und gehen neue Verbindungen pst_063.008
ein. So wird etwa die Objektivität des Epos dahin pst_063.009
ausgelegt, daß es die Wirklichkeit darstelle, wie sie pst_063.010
unabhängig von der Person des Dichters bestehe. «Objektiv» pst_063.011
heißt dann soviel wie «sachlich» und weiterhin pst_063.012
«allgemeingültig». Die Lyrik dagegen soll die Spiegelung pst_063.013
der Dinge und Ereignisse im individuellen Bewußtsein pst_063.014
zeigen. Schon hier verwirren sich die Begriffe. pst_063.015
Wenn «unabhängig von der Person» so viel wie «an pst_063.016
sich» bedeuten soll, so ist die Bestimmung offenbar pst_063.017
falsch. Kein Gegenstand ist «an sich» zugänglich. Gerade pst_063.018
weil er Gegenstand ist, gegenüber steht, kann er pst_063.019
nur von einem Standpunkt aus betrachtet werden, in pst_063.020
einer Perspektive, die eben die Perspektive des Dichters, pst_063.021
seiner Zeit oder seines Volkes ist (vergleiche Seite 90). pst_063.022
«Objektiv» ist also nicht identisch mit «unabhängig pst_063.023
vom Dichter».
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Der Gegensatz wird aber auch noch in anderem Sinne pst_063.025
ausgelegt. Der Epiker stelle die Außenwelt, der Lyriker pst_063.026
seine Innenwelt dar. Lyrische Dichtung sei innerlich. pst_063.027
Was heißt das? Im Epischen besteht, wie sich zeigen pst_063.028
wird, ein Gegenüber: hier das unbewegte Gemüt des pst_063.029
Erzählers, dort das bewegte Geschehen. Was soll aber pst_063.030
«innerlich» besagen? Etwa so viel wie «introvertiert»? pst_063.031
Dies würde das Wesen des Lyrischen fälschen. Der psychologische
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