Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_052.001 Aber auch im Konzertsaal bleibt der Hörer für sich pst_052.010 Goethe und Schiller sind, im Bestreben, die Gattungsgesetze pst_052.020 Wer sich an niemand wendet und nur einzelne Gleichgestimmte pst_052.025 1 pst_052.030
Briefwechsel vom 23. und 26. Dezember 1797. pst_052.001 Aber auch im Konzertsaal bleibt der Hörer für sich pst_052.010 Goethe und Schiller sind, im Bestreben, die Gattungsgesetze pst_052.020 Wer sich an niemand wendet und nur einzelne Gleichgestimmte pst_052.025 1 pst_052.030
Briefwechsel vom 23. und 26. Dezember 1797. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0056" n="52"/><lb n="pst_052.001"/> der Kunst, in wenigen, einleitenden Takten eine Beschwörungsformel <lb n="pst_052.002"/> zu geben, die alles, was nicht zum <lb n="pst_052.003"/> Text gehört, verbannt und die Trägheit des Herzens <lb n="pst_052.004"/> löst. Sie haben mit ihrer Musik den Menschen deutscher <lb n="pst_052.005"/> Zunge unermeßliche Schätze der lyrischen Dichtung <lb n="pst_052.006"/> erschlossen, Hugo Wolf zumal, der immer auf treueste <lb n="pst_052.007"/> Auslegung bedacht ist und kaum je über das Wort des <lb n="pst_052.008"/> Dichters hinwegmusiziert.</p> <lb n="pst_052.009"/> <p> Aber auch im Konzertsaal bleibt der Hörer für sich <lb n="pst_052.010"/> allein mit dem Lied. Es schließt die Einzelnen nicht zusammen <lb n="pst_052.011"/> wie eine Symphonie von Haydn, wo jeder sich <lb n="pst_052.012"/> zu verbindlicher Neigung zu seinem Nachbarn genötigt <lb n="pst_052.013"/> fühlt, oder wie ein Finale Beethovens, dem man zutraut, <lb n="pst_052.014"/> daß es alle zum Aufstehen in <hi rendition="#g">einem</hi> entschlossenen Ruck <lb n="pst_052.015"/> zu bewegen vermöchte. Der Beifall, der bei solcher Musik <lb n="pst_052.016"/> am Platz ist, verletzt uns nach lyrischen Liedern. <lb n="pst_052.017"/> Denn da waren wir einsam und sollen nun auf einmal <lb n="pst_052.018"/> wieder mit anderen sein.</p> <lb n="pst_052.019"/> <p> Goethe und Schiller sind, im Bestreben, die Gattungsgesetze <lb n="pst_052.020"/> der epischen und dramatischen Poesie zu <lb n="pst_052.021"/> finden, vom Verhältnis des Rhapsoden und Mimen zum <lb n="pst_052.022"/> Publikum ausgegangen<note xml:id="PST_052_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_052.030"/> Briefwechsel vom 23. und 26. Dezember 1797.</note>. Ähnliches ließe sich für die <lb n="pst_052.023"/> Lyrik, die sie nicht berühren, leisten:</p> <lb n="pst_052.024"/> <p> Wer sich an niemand wendet und nur einzelne Gleichgestimmte <lb n="pst_052.025"/> angeht, braucht keine Überredungskunst. <lb n="pst_052.026"/> Die Idee des Lyrischen schließt alle rhetorische Wirkung <lb n="pst_052.027"/> aus. Wer nur von Gleichgestimmten vernommen werden <lb n="pst_052.028"/> soll, braucht nicht zu begründen. Begründen in lyrischer <lb n="pst_052.029"/> Dichtung ist unfein, so unfein, wie wenn ein </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0056]
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der Kunst, in wenigen, einleitenden Takten eine Beschwörungsformel pst_052.002
zu geben, die alles, was nicht zum pst_052.003
Text gehört, verbannt und die Trägheit des Herzens pst_052.004
löst. Sie haben mit ihrer Musik den Menschen deutscher pst_052.005
Zunge unermeßliche Schätze der lyrischen Dichtung pst_052.006
erschlossen, Hugo Wolf zumal, der immer auf treueste pst_052.007
Auslegung bedacht ist und kaum je über das Wort des pst_052.008
Dichters hinwegmusiziert.
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Aber auch im Konzertsaal bleibt der Hörer für sich pst_052.010
allein mit dem Lied. Es schließt die Einzelnen nicht zusammen pst_052.011
wie eine Symphonie von Haydn, wo jeder sich pst_052.012
zu verbindlicher Neigung zu seinem Nachbarn genötigt pst_052.013
fühlt, oder wie ein Finale Beethovens, dem man zutraut, pst_052.014
daß es alle zum Aufstehen in einem entschlossenen Ruck pst_052.015
zu bewegen vermöchte. Der Beifall, der bei solcher Musik pst_052.016
am Platz ist, verletzt uns nach lyrischen Liedern. pst_052.017
Denn da waren wir einsam und sollen nun auf einmal pst_052.018
wieder mit anderen sein.
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Goethe und Schiller sind, im Bestreben, die Gattungsgesetze pst_052.020
der epischen und dramatischen Poesie zu pst_052.021
finden, vom Verhältnis des Rhapsoden und Mimen zum pst_052.022
Publikum ausgegangen 1. Ähnliches ließe sich für die pst_052.023
Lyrik, die sie nicht berühren, leisten:
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Wer sich an niemand wendet und nur einzelne Gleichgestimmte pst_052.025
angeht, braucht keine Überredungskunst. pst_052.026
Die Idee des Lyrischen schließt alle rhetorische Wirkung pst_052.027
aus. Wer nur von Gleichgestimmten vernommen werden pst_052.028
soll, braucht nicht zu begründen. Begründen in lyrischer pst_052.029
Dichtung ist unfein, so unfein, wie wenn ein
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Briefwechsel vom 23. und 26. Dezember 1797.
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