pst_039.001 nur ungenau und oft genug überhaupt nicht ausgeprägt pst_039.002 ist. Die Sprache scheint im Lyrischen auf vieles pst_039.003 wieder zu verzichten, was sie in allmählicher Entwicklung pst_039.004 von parataktischer zu hypotaktischer Fügung, von pst_039.005 Adverbien zu Konjunktionen, von temporalen Konjunktionen pst_039.006 zu kausalen in Richtung auf logische Deutlichkeit pst_039.007 gewonnen hat.
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Spittelers "Bescheidenes Wünschlein" beginnt:
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"Damals, ganz zuerst am Anfang,pst_039.010 wenn ich hätte sagen sollen,pst_039.011 Was, im Fall ich wünschen dürfte,pst_039.012 ich mir würde wünschen wollen ..."
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Das ist anmutig, aber nur deshalb, weil es in freundlicher pst_039.014 Ironie der wahren Natur des Lyrischen spottet. pst_039.015 Spitteler macht aus der Not eine Tugend und unterstreicht pst_039.016 mit übertriebenen logischen Konstruktionen pst_039.017 seinen Mangel an lyrischer Begabung. Doch wenn ein pst_039.018 Liederdichter sich ernsthaft in so deutlicher Logik ausspricht, pst_039.019 vermissen wir an dem Lied die Musik. Denn pst_039.020 Denken und Singen vertragen sich nicht. Ein Gedicht pst_039.021 Hebbels, das "Lied" überschrieben ist, beginnt mit den pst_039.022 Strophen:
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"Komm, wir wollen Erdbeern pflücken,pst_039.024 Ist es doch nicht weit zum Wald,pst_039.025 Wollen junge Rosen brechen,pst_039.026 Sie verwelken ja so bald!
pst_039.027 Droben jene Wetterwolke,pst_039.028 Die dich ängstigt, fürcht ich nicht;
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Spittelers «Bescheidenes Wünschlein» beginnt:
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«Damals, ganz zuerst am Anfang,pst_039.010 wenn ich hätte sagen sollen,pst_039.011 Was, im Fall ich wünschen dürfte,pst_039.012 ich mir würde wünschen wollen ...»
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Das ist anmutig, aber nur deshalb, weil es in freundlicher pst_039.014 Ironie der wahren Natur des Lyrischen spottet. pst_039.015 Spitteler macht aus der Not eine Tugend und unterstreicht pst_039.016 mit übertriebenen logischen Konstruktionen pst_039.017 seinen Mangel an lyrischer Begabung. Doch wenn ein pst_039.018 Liederdichter sich ernsthaft in so deutlicher Logik ausspricht, pst_039.019 vermissen wir an dem Lied die Musik. Denn pst_039.020 Denken und Singen vertragen sich nicht. Ein Gedicht pst_039.021 Hebbels, das «Lied» überschrieben ist, beginnt mit den pst_039.022 Strophen:
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Liederdichter sich ernsthaft in so deutlicher Logik ausspricht, pst_039.019
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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/43>, abgerufen am 16.02.2025.
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