Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_033.001 Die verschleierte Wiederholung wie in Eichendorffs pst_033.005 "O wie blinkte ihr Krönlein schön, pst_033.028 Eh die Sonne wollt untergehn." pst_033.029
"O Stern und Blume, Geist und Kleid, pst_033.030 Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit." pst_033.001 Die verschleierte Wiederholung wie in Eichendorffs pst_033.005 «O wie blinkte ihr Krönlein schön, pst_033.028 Eh die Sonne wollt untergehn.» pst_033.029
«O Stern und Blume, Geist und Kleid, pst_033.030 Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.» <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0037" n="33"/><lb n="pst_033.001"/> dagegen meint mit denselben Worten nichts Neues, <lb n="pst_033.002"/> sondern dieselbe einzigartige Stimmung klingt noch einmal <lb n="pst_033.003"/> auf.</p> <lb n="pst_033.004"/> <p> Die verschleierte Wiederholung wie in Eichendorffs <lb n="pst_033.005"/> «Nachts» kommt seltener vor und kann die lyrische <lb n="pst_033.006"/> Stimmung höchstens über zwei, drei Strophen ausdehnen. <lb n="pst_033.007"/> Was weitergeht, ermüdet. So läßt man sich in <lb n="pst_033.008"/> Brentanos «Spinnerin» die Wiederholung das erste Mal <lb n="pst_033.009"/> gern gefallen; die zweite wirkt bereits monoton. Die <lb n="pst_033.010"/> wörtliche Wiederholung dagegen heißt Kehrreim und <lb n="pst_033.011"/> ist in jüngster und ältester Dichtung vieler Völker üblich. <lb n="pst_033.012"/> Freilich sind die meisten Kehrreime anders angeschlossen <lb n="pst_033.013"/> als in Mörikes «Um Mitternacht». In diesem <lb n="pst_033.014"/> Gedicht ist nämlich der Ton lyrisch vom Anfang bis <lb n="pst_033.015"/> zum Schluß. Der Kehrreim unterscheidet sich in seinem <lb n="pst_033.016"/> Aggregatzustand kaum von den ersten Versen der <lb n="pst_033.017"/> Strophe. Meist aber, zumal in Volksliedern und in volksliedmäßigen <lb n="pst_033.018"/> Gedichten, fällt er auf durch musikalischere <lb n="pst_033.019"/> Diktion. Ja, er scheint nicht selten alles Lyrische <lb n="pst_033.020"/> in sich zu sammeln, während die übrigen Verse mehr <lb n="pst_033.021"/> zum Epischen oder Dramatischen neigen. Unzählige <lb n="pst_033.022"/> Beispiele gibt Brentano. In seinen längeren Gedichten <lb n="pst_033.023"/> wird immer wieder ein balladenhafter Vorgang oder <lb n="pst_033.024"/> auch ein Erlebnis in ziemlich saloppen Versen erzählt <lb n="pst_033.025"/> und gleichsam kapitelweise durch einen bezaubernden <lb n="pst_033.026"/> Kehrreim abgeschlossen:</p> <lb n="pst_033.027"/> <lg> <l>«O wie blinkte ihr Krönlein schön,</l> <lb n="pst_033.028"/> <l>Eh die Sonne wollt untergehn.» </l> </lg> <lg> <lb n="pst_033.029"/> <l>«O Stern und Blume, Geist und Kleid,</l> <lb n="pst_033.030"/> <l>Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.»</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [33/0037]
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dagegen meint mit denselben Worten nichts Neues, pst_033.002
sondern dieselbe einzigartige Stimmung klingt noch einmal pst_033.003
auf.
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Die verschleierte Wiederholung wie in Eichendorffs pst_033.005
«Nachts» kommt seltener vor und kann die lyrische pst_033.006
Stimmung höchstens über zwei, drei Strophen ausdehnen. pst_033.007
Was weitergeht, ermüdet. So läßt man sich in pst_033.008
Brentanos «Spinnerin» die Wiederholung das erste Mal pst_033.009
gern gefallen; die zweite wirkt bereits monoton. Die pst_033.010
wörtliche Wiederholung dagegen heißt Kehrreim und pst_033.011
ist in jüngster und ältester Dichtung vieler Völker üblich. pst_033.012
Freilich sind die meisten Kehrreime anders angeschlossen pst_033.013
als in Mörikes «Um Mitternacht». In diesem pst_033.014
Gedicht ist nämlich der Ton lyrisch vom Anfang bis pst_033.015
zum Schluß. Der Kehrreim unterscheidet sich in seinem pst_033.016
Aggregatzustand kaum von den ersten Versen der pst_033.017
Strophe. Meist aber, zumal in Volksliedern und in volksliedmäßigen pst_033.018
Gedichten, fällt er auf durch musikalischere pst_033.019
Diktion. Ja, er scheint nicht selten alles Lyrische pst_033.020
in sich zu sammeln, während die übrigen Verse mehr pst_033.021
zum Epischen oder Dramatischen neigen. Unzählige pst_033.022
Beispiele gibt Brentano. In seinen längeren Gedichten pst_033.023
wird immer wieder ein balladenhafter Vorgang oder pst_033.024
auch ein Erlebnis in ziemlich saloppen Versen erzählt pst_033.025
und gleichsam kapitelweise durch einen bezaubernden pst_033.026
Kehrreim abgeschlossen:
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«O wie blinkte ihr Krönlein schön, pst_033.028
Eh die Sonne wollt untergehn.»
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«O Stern und Blume, Geist und Kleid, pst_033.030
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.»
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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