pst_240.001 Die Frage verzweigt sich mehr und mehr und enthüllt, pst_240.002 indem sie sich ausdehnt, erst den Ernst ihrer Rätselhaftigkeit. pst_240.003 Insbesondere zeigt sich die Schwierigkeit, pst_240.004 der Zeit als "innerem Zeitbewußtsein" oder als "Form pst_240.005 der Anschauung" mit sprachlichen Mitteln beizukommen. pst_240.006 Die drei Begriffe Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft pst_240.007 reichen bei weitem nicht aus, da sie offenbar pst_240.008 schon ein eingebürgertes Vorurteil über die Zeit enthalten. pst_240.009 Gegen das Vorurteil, das in der Sprache verankert pst_240.010 ist, müssen Erkenntnisse mühsam durchgesetzt pst_240.011 werden, ein Geschäft, das dem weiteren Publikum von pst_240.012 jeher Mißvergnügen bereitet.
pst_240.013
Noch immer wird aber die Zeit als Phänomen unter pst_240.014 anderen aufgefaßt. Erst Martin Heidegger hat in ihr pst_240.015 das Sein an sich zu vermuten gewagt und widmet dieser pst_240.016 einen Idee seine ganze philosophische Existenz. Sein pst_240.017 Werk ist noch nicht abgeschlossen. Es scheint, als habe pst_240.018 sich ihm selber während der Arbeit an "Sein und Zeit" pst_240.019 ein weiterer Horizont eröffnet, in dem das Erreichte pst_240.020 modifiziert und zu höherer Bedeutung gesteigert wird. pst_240.021 So wäre es kaum zu empfehlen, einzelne Resultate zu pst_240.022 übernehmen oder gar sich ängstlich seiner noch nicht pst_240.023 endgültig fixierten, oft gewaltsamen Sprache anzuschließen. pst_240.024 Wesentlicher als jedes Ergebnis ist die Gewalt pst_240.025 der Frage selbst. Wie seinerzeit die Frage Kants: pst_240.026 "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" eine pst_240.027 neue Epoche der Geisteswissenschaften heraufgeführt pst_240.028 hat, so dürfte der Frage nach dem Sein als Zeit geschichtebildende pst_240.029 Kraft innewohnen. Ob sie sich auszuwirken pst_240.030 vermag, darüber entscheidet ein Geschick, dessen pst_240.031 Sinn wir nicht zu ermessen vermögen. Indes ist
pst_240.001 Die Frage verzweigt sich mehr und mehr und enthüllt, pst_240.002 indem sie sich ausdehnt, erst den Ernst ihrer Rätselhaftigkeit. pst_240.003 Insbesondere zeigt sich die Schwierigkeit, pst_240.004 der Zeit als «innerem Zeitbewußtsein» oder als «Form pst_240.005 der Anschauung» mit sprachlichen Mitteln beizukommen. pst_240.006 Die drei Begriffe Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft pst_240.007 reichen bei weitem nicht aus, da sie offenbar pst_240.008 schon ein eingebürgertes Vorurteil über die Zeit enthalten. pst_240.009 Gegen das Vorurteil, das in der Sprache verankert pst_240.010 ist, müssen Erkenntnisse mühsam durchgesetzt pst_240.011 werden, ein Geschäft, das dem weiteren Publikum von pst_240.012 jeher Mißvergnügen bereitet.
pst_240.013
Noch immer wird aber die Zeit als Phänomen unter pst_240.014 anderen aufgefaßt. Erst Martin Heidegger hat in ihr pst_240.015 das Sein an sich zu vermuten gewagt und widmet dieser pst_240.016 einen Idee seine ganze philosophische Existenz. Sein pst_240.017 Werk ist noch nicht abgeschlossen. Es scheint, als habe pst_240.018 sich ihm selber während der Arbeit an «Sein und Zeit» pst_240.019 ein weiterer Horizont eröffnet, in dem das Erreichte pst_240.020 modifiziert und zu höherer Bedeutung gesteigert wird. pst_240.021 So wäre es kaum zu empfehlen, einzelne Resultate zu pst_240.022 übernehmen oder gar sich ängstlich seiner noch nicht pst_240.023 endgültig fixierten, oft gewaltsamen Sprache anzuschließen. pst_240.024 Wesentlicher als jedes Ergebnis ist die Gewalt pst_240.025 der Frage selbst. Wie seinerzeit die Frage Kants: pst_240.026 «Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?» eine pst_240.027 neue Epoche der Geisteswissenschaften heraufgeführt pst_240.028 hat, so dürfte der Frage nach dem Sein als Zeit geschichtebildende pst_240.029 Kraft innewohnen. Ob sie sich auszuwirken pst_240.030 vermag, darüber entscheidet ein Geschick, dessen pst_240.031 Sinn wir nicht zu ermessen vermögen. Indes ist
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0244"n="240"/><lbn="pst_240.001"/>
Die Frage verzweigt sich mehr und mehr und enthüllt, <lbn="pst_240.002"/>
indem sie sich ausdehnt, erst den Ernst ihrer Rätselhaftigkeit. <lbn="pst_240.003"/>
Insbesondere zeigt sich die Schwierigkeit, <lbn="pst_240.004"/>
der Zeit als «innerem Zeitbewußtsein» oder als «Form <lbn="pst_240.005"/>
der Anschauung» mit sprachlichen Mitteln beizukommen. <lbn="pst_240.006"/>
Die drei Begriffe Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft <lbn="pst_240.007"/>
reichen bei weitem nicht aus, da sie offenbar <lbn="pst_240.008"/>
schon ein eingebürgertes Vorurteil über die Zeit enthalten. <lbn="pst_240.009"/>
Gegen das Vorurteil, das in der Sprache verankert <lbn="pst_240.010"/>
ist, müssen Erkenntnisse mühsam durchgesetzt <lbn="pst_240.011"/>
werden, ein Geschäft, das dem weiteren Publikum von <lbn="pst_240.012"/>
jeher Mißvergnügen bereitet.</p><lbn="pst_240.013"/><p> Noch immer wird aber die Zeit als Phänomen unter <lbn="pst_240.014"/>
anderen aufgefaßt. Erst Martin Heidegger hat in ihr <lbn="pst_240.015"/>
das Sein an sich zu vermuten gewagt und widmet dieser <lbn="pst_240.016"/>
einen Idee seine ganze philosophische Existenz. Sein <lbn="pst_240.017"/>
Werk ist noch nicht abgeschlossen. Es scheint, als habe <lbn="pst_240.018"/>
sich ihm selber während der Arbeit an «Sein und Zeit» <lbn="pst_240.019"/>
ein weiterer Horizont eröffnet, in dem das Erreichte <lbn="pst_240.020"/>
modifiziert und zu höherer Bedeutung gesteigert wird. <lbn="pst_240.021"/>
So wäre es kaum zu empfehlen, einzelne Resultate zu <lbn="pst_240.022"/>
übernehmen oder gar sich ängstlich seiner noch nicht <lbn="pst_240.023"/>
endgültig fixierten, oft gewaltsamen Sprache anzuschließen. <lbn="pst_240.024"/>
Wesentlicher als jedes Ergebnis ist die Gewalt <lbn="pst_240.025"/>
der Frage selbst. Wie seinerzeit die Frage Kants: <lbn="pst_240.026"/>
«Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?» eine <lbn="pst_240.027"/>
neue Epoche der Geisteswissenschaften heraufgeführt <lbn="pst_240.028"/>
hat, so dürfte der Frage nach dem Sein als Zeit geschichtebildende <lbn="pst_240.029"/>
Kraft innewohnen. Ob sie sich auszuwirken <lbn="pst_240.030"/>
vermag, darüber entscheidet ein Geschick, dessen <lbn="pst_240.031"/>
Sinn wir nicht zu ermessen vermögen. Indes ist
</p></div></body></text></TEI>
[240/0244]
pst_240.001
Die Frage verzweigt sich mehr und mehr und enthüllt, pst_240.002
indem sie sich ausdehnt, erst den Ernst ihrer Rätselhaftigkeit. pst_240.003
Insbesondere zeigt sich die Schwierigkeit, pst_240.004
der Zeit als «innerem Zeitbewußtsein» oder als «Form pst_240.005
der Anschauung» mit sprachlichen Mitteln beizukommen. pst_240.006
Die drei Begriffe Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft pst_240.007
reichen bei weitem nicht aus, da sie offenbar pst_240.008
schon ein eingebürgertes Vorurteil über die Zeit enthalten. pst_240.009
Gegen das Vorurteil, das in der Sprache verankert pst_240.010
ist, müssen Erkenntnisse mühsam durchgesetzt pst_240.011
werden, ein Geschäft, das dem weiteren Publikum von pst_240.012
jeher Mißvergnügen bereitet.
pst_240.013
Noch immer wird aber die Zeit als Phänomen unter pst_240.014
anderen aufgefaßt. Erst Martin Heidegger hat in ihr pst_240.015
das Sein an sich zu vermuten gewagt und widmet dieser pst_240.016
einen Idee seine ganze philosophische Existenz. Sein pst_240.017
Werk ist noch nicht abgeschlossen. Es scheint, als habe pst_240.018
sich ihm selber während der Arbeit an «Sein und Zeit» pst_240.019
ein weiterer Horizont eröffnet, in dem das Erreichte pst_240.020
modifiziert und zu höherer Bedeutung gesteigert wird. pst_240.021
So wäre es kaum zu empfehlen, einzelne Resultate zu pst_240.022
übernehmen oder gar sich ängstlich seiner noch nicht pst_240.023
endgültig fixierten, oft gewaltsamen Sprache anzuschließen. pst_240.024
Wesentlicher als jedes Ergebnis ist die Gewalt pst_240.025
der Frage selbst. Wie seinerzeit die Frage Kants: pst_240.026
«Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?» eine pst_240.027
neue Epoche der Geisteswissenschaften heraufgeführt pst_240.028
hat, so dürfte der Frage nach dem Sein als Zeit geschichtebildende pst_240.029
Kraft innewohnen. Ob sie sich auszuwirken pst_240.030
vermag, darüber entscheidet ein Geschick, dessen pst_240.031
Sinn wir nicht zu ermessen vermögen. Indes ist
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/244>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.