Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_020.001 Außerdem gibt es nun aber Gedichte, deren Motiv pst_020.005 "Sie haben ganz recht, es ist so. Aber Sie sehen daraus pst_020.017 Dieselbe Schätzung des Motivs hat Goethe auch in der pst_020.029 1 pst_020.031
18. Januar 1825. pst_020.001 Außerdem gibt es nun aber Gedichte, deren Motiv pst_020.005 «Sie haben ganz recht, es ist so. Aber Sie sehen daraus pst_020.017 Dieselbe Schätzung des Motivs hat Goethe auch in der pst_020.029 1 pst_020.031
18. Januar 1825. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0024" n="20"/><lb n="pst_020.001"/> Kräftefelder, nach denen die Worte sich ordnen, offenbar <lb n="pst_020.002"/> mächtiger sind als der Zwang zum grammatisch <lb n="pst_020.003"/> Richtigen und Gewohnten.</p> <lb n="pst_020.004"/> <p> Außerdem gibt es nun aber Gedichte, deren Motiv <lb n="pst_020.005"/> oder Sinn sehr dürftig, sogar belanglos ist, und die doch <lb n="pst_020.006"/> unverwelklich Jahrhunderte lang in der Seele des Volkes <lb n="pst_020.007"/> blühen. Goethe hat dies zwar bestritten. In den Gesprächen <lb n="pst_020.008"/> mit Eckermann ist einmal von serbischen Liedern <lb n="pst_020.009"/> die Rede<note xml:id="PST_020_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_020.031"/> 18. Januar 1825.</note>. Eckermann freut sich an den Motiven, <lb n="pst_020.010"/> die Goethe in Worte gefaßt hat: «Mädchen will den <lb n="pst_020.011"/> Ungeliebten nicht», «Liebesfreuden verschwatzt», <lb n="pst_020.012"/> «die schöne Kellnerin; ihr Geliebter ist nicht mit unter <lb n="pst_020.013"/> den Gästen». Er bemerkt dazu, die Motive seien an sich <lb n="pst_020.014"/> schon so lebendig, daß er kaum noch nach dem Gedicht <lb n="pst_020.015"/> verlange. Darauf gibt ihm Goethe zur Antwort:</p> <lb n="pst_020.016"/> <p> «Sie haben ganz recht, es ist so. Aber Sie sehen daraus <lb n="pst_020.017"/> die große Wichtigkeit der Motive, die niemand begreifen <lb n="pst_020.018"/> will. Unsere Frauenzimmer haben davon nun <lb n="pst_020.019"/> vollends keine Ahnung. Dies Gedicht ist schön, sagen <lb n="pst_020.020"/> sie und denken dabei bloß an die Empfindung, an die <lb n="pst_020.021"/> Worte, an die Verse. Daß aber die wahre Kraft und <lb n="pst_020.022"/> Wirkung eines Gedichts in der Situation, in den Motiven <lb n="pst_020.023"/> besteht, daran denkt niemand. Und aus diesem <lb n="pst_020.024"/> Grunde werden denn auch Tausende von Gedichten <lb n="pst_020.025"/> gemacht, wo das Motiv durchaus null ist, und die bloß <lb n="pst_020.026"/> durch Empfindungen und klingende Verse eine Art <lb n="pst_020.027"/> von Existenz vorspiegeln.»</p> <lb n="pst_020.028"/> <p> Dieselbe Schätzung des Motivs hat Goethe auch in der <lb n="pst_020.029"/> bildenden Kunst, zum Verdruß der romantischen Maler, <lb n="pst_020.030"/> bezeugt. Er hat es sogar gewagt, zu erklären, erst </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0024]
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Kräftefelder, nach denen die Worte sich ordnen, offenbar pst_020.002
mächtiger sind als der Zwang zum grammatisch pst_020.003
Richtigen und Gewohnten.
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Außerdem gibt es nun aber Gedichte, deren Motiv pst_020.005
oder Sinn sehr dürftig, sogar belanglos ist, und die doch pst_020.006
unverwelklich Jahrhunderte lang in der Seele des Volkes pst_020.007
blühen. Goethe hat dies zwar bestritten. In den Gesprächen pst_020.008
mit Eckermann ist einmal von serbischen Liedern pst_020.009
die Rede 1. Eckermann freut sich an den Motiven, pst_020.010
die Goethe in Worte gefaßt hat: «Mädchen will den pst_020.011
Ungeliebten nicht», «Liebesfreuden verschwatzt», pst_020.012
«die schöne Kellnerin; ihr Geliebter ist nicht mit unter pst_020.013
den Gästen». Er bemerkt dazu, die Motive seien an sich pst_020.014
schon so lebendig, daß er kaum noch nach dem Gedicht pst_020.015
verlange. Darauf gibt ihm Goethe zur Antwort:
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«Sie haben ganz recht, es ist so. Aber Sie sehen daraus pst_020.017
die große Wichtigkeit der Motive, die niemand begreifen pst_020.018
will. Unsere Frauenzimmer haben davon nun pst_020.019
vollends keine Ahnung. Dies Gedicht ist schön, sagen pst_020.020
sie und denken dabei bloß an die Empfindung, an die pst_020.021
Worte, an die Verse. Daß aber die wahre Kraft und pst_020.022
Wirkung eines Gedichts in der Situation, in den Motiven pst_020.023
besteht, daran denkt niemand. Und aus diesem pst_020.024
Grunde werden denn auch Tausende von Gedichten pst_020.025
gemacht, wo das Motiv durchaus null ist, und die bloß pst_020.026
durch Empfindungen und klingende Verse eine Art pst_020.027
von Existenz vorspiegeln.»
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Dieselbe Schätzung des Motivs hat Goethe auch in der pst_020.029
bildenden Kunst, zum Verdruß der romantischen Maler, pst_020.030
bezeugt. Er hat es sogar gewagt, zu erklären, erst
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18. Januar 1825.
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