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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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Polarität von Person und Zustand wird in einer Weise pst_231.002
beschrieben, daß jeder leicht das Verhältnis von dramatisch pst_231.003
und lyrisch darin entdeckt und eine Kantische pst_231.004
Lehre sich phänomenologisch zurechtzulegen vermag. pst_231.005
Wie niemand nur als Zustand oder nur als Person existieren pst_231.006
kann, wie jener dunkel bleibt, diese leer, so kann pst_231.007
kein Mensch nur als Geist oder Seele, männlich oder pst_231.008
weiblich, dramatisch oder lyrisch existieren. Als Geist pst_231.009
erstarrt, als Seele zerrinnt er. Im Dramatischen droht pst_231.010
ihm der Tod des Zerbrechens, das tragische Scheitern pst_231.011
seiner Welt. Im Lyrischen droht ihm Auflösung - er pst_231.012
kann sich selber nicht mehr halten. Darüber wußte pst_231.013
Franz Baader Bescheid, der das Fließende und das pst_231.014
Starre als äußerste Zonen bezeichnet, in denen kein Leben pst_231.015
zu gedeihen vermag1. Ein Vorrang des lyrischen pst_231.016
oder dramatischen Seins ist also pathologisch, Brentano pst_231.017
einerseits, der als Dichter und Mensch vor unsern Augen pst_231.018
zerrieselt, Kleist andrerseits, dessen Grausamkeit, pst_231.019
dessen Schärfe und Härte uns erschreckt. Das Epische pst_231.020
finden wir in der Mitte. Das Fließende hat sich soeben pst_231.021
gefestigt, das ständige Selbst entdeckt sich erst. Wir pst_231.022
kennen für dieses "gesunde" Dasein keinen allgemein pst_231.023
üblichen Titel, es sei denn, "Körper", "Körperlichkeit" pst_231.024
(gemäß S. 108), doch nicht im Sinn eines Gegenstandes, pst_231.025
sondern in dem eines Wie-Seins (wie S. 227 u.).

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Solche Tafeln sind aber bedenklich. Wer sie aufstellt, pst_231.027
muß sich darüber klar sein, was sie eigentlich leisten. pst_231.028
Sie teilen das Gemüt des Menschen keineswegs so auf pst_231.029
wie die Namen Kopf, Rumpf und Gliedmaßen die

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Franz Baader, Sämtliche Werke, Leipzig 1851-60. III, 269 ff.

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Polarität von Person und Zustand wird in einer Weise pst_231.002
beschrieben, daß jeder leicht das Verhältnis von dramatisch pst_231.003
und lyrisch darin entdeckt und eine Kantische pst_231.004
Lehre sich phänomenologisch zurechtzulegen vermag. pst_231.005
Wie niemand nur als Zustand oder nur als Person existieren pst_231.006
kann, wie jener dunkel bleibt, diese leer, so kann pst_231.007
kein Mensch nur als Geist oder Seele, männlich oder pst_231.008
weiblich, dramatisch oder lyrisch existieren. Als Geist pst_231.009
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ihm der Tod des Zerbrechens, das tragische Scheitern pst_231.011
seiner Welt. Im Lyrischen droht ihm Auflösung – er pst_231.012
kann sich selber nicht mehr halten. Darüber wußte pst_231.013
Franz Baader Bescheid, der das Fließende und das pst_231.014
Starre als äußerste Zonen bezeichnet, in denen kein Leben pst_231.015
zu gedeihen vermag1. Ein Vorrang des lyrischen pst_231.016
oder dramatischen Seins ist also pathologisch, Brentano pst_231.017
einerseits, der als Dichter und Mensch vor unsern Augen pst_231.018
zerrieselt, Kleist andrerseits, dessen Grausamkeit, pst_231.019
dessen Schärfe und Härte uns erschreckt. Das Epische pst_231.020
finden wir in der Mitte. Das Fließende hat sich soeben pst_231.021
gefestigt, das ständige Selbst entdeckt sich erst. Wir pst_231.022
kennen für dieses «gesunde» Dasein keinen allgemein pst_231.023
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(gemäß S. 108), doch nicht im Sinn eines Gegenstandes, pst_231.025
sondern in dem eines Wie-Seins (wie S. 227 u.).

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muß sich darüber klar sein, was sie eigentlich leisten. pst_231.028
Sie teilen das Gemüt des Menschen keineswegs so auf pst_231.029
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[231/0235] pst_231.001 Polarität von Person und Zustand wird in einer Weise pst_231.002 beschrieben, daß jeder leicht das Verhältnis von dramatisch pst_231.003 und lyrisch darin entdeckt und eine Kantische pst_231.004 Lehre sich phänomenologisch zurechtzulegen vermag. pst_231.005 Wie niemand nur als Zustand oder nur als Person existieren pst_231.006 kann, wie jener dunkel bleibt, diese leer, so kann pst_231.007 kein Mensch nur als Geist oder Seele, männlich oder pst_231.008 weiblich, dramatisch oder lyrisch existieren. Als Geist pst_231.009 erstarrt, als Seele zerrinnt er. Im Dramatischen droht pst_231.010 ihm der Tod des Zerbrechens, das tragische Scheitern pst_231.011 seiner Welt. Im Lyrischen droht ihm Auflösung – er pst_231.012 kann sich selber nicht mehr halten. Darüber wußte pst_231.013 Franz Baader Bescheid, der das Fließende und das pst_231.014 Starre als äußerste Zonen bezeichnet, in denen kein Leben pst_231.015 zu gedeihen vermag 1. Ein Vorrang des lyrischen pst_231.016 oder dramatischen Seins ist also pathologisch, Brentano pst_231.017 einerseits, der als Dichter und Mensch vor unsern Augen pst_231.018 zerrieselt, Kleist andrerseits, dessen Grausamkeit, pst_231.019 dessen Schärfe und Härte uns erschreckt. Das Epische pst_231.020 finden wir in der Mitte. Das Fließende hat sich soeben pst_231.021 gefestigt, das ständige Selbst entdeckt sich erst. Wir pst_231.022 kennen für dieses «gesunde» Dasein keinen allgemein pst_231.023 üblichen Titel, es sei denn, «Körper», «Körperlichkeit» pst_231.024 (gemäß S. 108), doch nicht im Sinn eines Gegenstandes, pst_231.025 sondern in dem eines Wie-Seins (wie S. 227 u.). pst_231.026   Solche Tafeln sind aber bedenklich. Wer sie aufstellt, pst_231.027 muß sich darüber klar sein, was sie eigentlich leisten. pst_231.028 Sie teilen das Gemüt des Menschen keineswegs so auf pst_231.029 wie die Namen Kopf, Rumpf und Gliedmaßen die 1 pst_231.030 Franz Baader, Sämtliche Werke, Leipzig 1851–60. III, 269 ff.

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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/235>, abgerufen am 22.11.2024.