pst_232.001 menschliche Gestalt. Sondern an einem Ganzen, das, pst_232.002 wie das Farbenspektrum, unmerklich von einem Extrem pst_232.003 ins andere übergeht, wird diese und jene Phase markiert pst_232.004 und wird ausgesprochen: sie heiße so! Doch
pst_232.005
"... wenn wir unterschieden haben,pst_232.006 Dann müssen wir lebendige Gabenpst_232.007 Dem Abgesonderten wieder verleihnpst_232.008 Und uns eines Folge-Lebens erfreun."1
pst_232.009
Der Übergang vom Fließenden zum Starren könnte pst_232.010 auch, statt mit drei, mit vier und mehr Namen bezeichnet pst_232.011 werden. Und sehr wohl wäre es denkbar, daß ein pst_232.012 Schwede, ein Russe, ein Spanier, ein Türke, der von andern pst_232.013 Erfahrungen ausgeht, dasselbe Ganze anders abteilt pst_232.014 - wie das griechische Wort khloros aus dem Farbenspektrum pst_232.015 ein Stück ausschneidet, das etwa die Hälfte pst_232.016 unseres Grün mit der Hälfte unseres Gelb vereint.
pst_232.017
Indes gewinnt die Dreiteilung lyrisch - episch - dramatisch pst_232.018 zuletzt denn doch eine eigentümliche Dignität, pst_232.019 da sich herausstellt: sie gründet in der dreidimensionalen pst_232.020 Zeit. Im Fließenden des Lyrischen hören wir den pst_232.021 Strom der Vergänglichkeit, der unablässig weiterrinnt, pst_232.022 so, daß niemand, nach Heraklit, zweimal in denselben pst_232.023 Fluß eintaucht. Erinnernd läßt der Mensch sich aus der pst_232.024 Gegenwart in den Fluß hinab und schwimmt auf den pst_232.025 gleitenden Wellen mit. Da ist kein Verweilen. Es treibt pst_232.026 ihn fort.
pst_232.027
"Hielte diesen frühen Segenpst_232.028 Ach, nur Eine Stunde fest!pst_232.029 Aber vollen Blütenregen
1pst_232.030 Goethe, Sämtliche Werke, Inselausgabe, XV, S. 283.
pst_232.001 menschliche Gestalt. Sondern an einem Ganzen, das, pst_232.002 wie das Farbenspektrum, unmerklich von einem Extrem pst_232.003 ins andere übergeht, wird diese und jene Phase markiert pst_232.004 und wird ausgesprochen: sie heiße so! Doch
pst_232.005
«... wenn wir unterschieden haben,pst_232.006 Dann müssen wir lebendige Gabenpst_232.007 Dem Abgesonderten wieder verleihnpst_232.008 Und uns eines Folge-Lebens erfreun.»1
pst_232.009
Der Übergang vom Fließenden zum Starren könnte pst_232.010 auch, statt mit drei, mit vier und mehr Namen bezeichnet pst_232.011 werden. Und sehr wohl wäre es denkbar, daß ein pst_232.012 Schwede, ein Russe, ein Spanier, ein Türke, der von andern pst_232.013 Erfahrungen ausgeht, dasselbe Ganze anders abteilt pst_232.014 – wie das griechische Wort χλωρός aus dem Farbenspektrum pst_232.015 ein Stück ausschneidet, das etwa die Hälfte pst_232.016 unseres Grün mit der Hälfte unseres Gelb vereint.
pst_232.017
Indes gewinnt die Dreiteilung lyrisch – episch – dramatisch pst_232.018 zuletzt denn doch eine eigentümliche Dignität, pst_232.019 da sich herausstellt: sie gründet in der dreidimensionalen pst_232.020 Zeit. Im Fließenden des Lyrischen hören wir den pst_232.021 Strom der Vergänglichkeit, der unablässig weiterrinnt, pst_232.022 so, daß niemand, nach Heraklit, zweimal in denselben pst_232.023 Fluß eintaucht. Erinnernd läßt der Mensch sich aus der pst_232.024 Gegenwart in den Fluß hinab und schwimmt auf den pst_232.025 gleitenden Wellen mit. Da ist kein Verweilen. Es treibt pst_232.026 ihn fort.
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«Hielte diesen frühen Segenpst_232.028 Ach, nur Eine Stunde fest!pst_232.029 Aber vollen Blütenregen
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«... wenn wir unterschieden haben, pst_232.006
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Und uns eines Folge-Lebens erfreun.» 1
pst_232.009
Der Übergang vom Fließenden zum Starren könnte pst_232.010
auch, statt mit drei, mit vier und mehr Namen bezeichnet pst_232.011
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unseres Grün mit der Hälfte unseres Gelb vereint.
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Indes gewinnt die Dreiteilung lyrisch – episch – dramatisch pst_232.018
zuletzt denn doch eine eigentümliche Dignität, pst_232.019
da sich herausstellt: sie gründet in der dreidimensionalen pst_232.020
Zeit. Im Fließenden des Lyrischen hören wir den pst_232.021
Strom der Vergänglichkeit, der unablässig weiterrinnt, pst_232.022
so, daß niemand, nach Heraklit, zweimal in denselben pst_232.023
Fluß eintaucht. Erinnernd läßt der Mensch sich aus der pst_232.024
Gegenwart in den Fluß hinab und schwimmt auf den pst_232.025
gleitenden Wellen mit. Da ist kein Verweilen. Es treibt pst_232.026
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«Hielte diesen frühen Segen pst_232.028
Ach, nur Eine Stunde fest! pst_232.029
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Goethe, Sämtliche Werke, Inselausgabe, XV, S. 283.
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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/236>, abgerufen am 16.02.2025.
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