Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_229.001 1 pst_229.030
Schelling, Werke, hg. von Manfred Schröter, IV. Hauptband, München pst_229.031 1927, S. 361. pst_229.001 1 pst_229.030
Schelling, Werke, hg. von Manfred Schröter, IV. Hauptband, München pst_229.031 1927, S. 361. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0233" n="229"/><lb n="pst_229.001"/> aufzuheben, erklärte sich uns aus der auseinandersetzenden <lb n="pst_229.002"/> Kraft der ausgebildeten Sprache (Seite 82), <lb n="pst_229.003"/> die niemals bloß musikalisch, sondern immer zugleich <lb n="pst_229.004"/> intentional ist, das heißt, ein Gegenüber erzeugt. <lb n="pst_229.005"/> Braucht aber Schiller nicht die Begriffe Geist und Seele <lb n="pst_229.006"/> synonym? Das wäre ihm in einem so prägnanten Gedicht <lb n="pst_229.007"/> kaum zuzutrauen. Nicht der Geist an sich, nur <lb n="pst_229.008"/> der <hi rendition="#g">lebendige</hi> Geist kann dem Geist nicht erscheinen. <lb n="pst_229.009"/> Das Leben aber spendet die Seele. Sie ist die Fülle des <lb n="pst_229.010"/> Lebens selbst, seine unmittelbare Erschlossenheit, ein <lb n="pst_229.011"/> Gnadenschatz, der nicht erworben, der als Geschenk aus <lb n="pst_229.012"/> wesentlich unbekannter, mit keinem Wort der Sprache <lb n="pst_229.013"/> zu nennender Hand empfangen wird. Aus dieser Fülle <lb n="pst_229.014"/> des Lebens muß sich nun zwar der denkende Geist erheben <lb n="pst_229.015"/> und über alles, was ihm geschenkt ist, seine <lb n="pst_229.016"/> scharfe Helle verbreiten, wie Jupiter sich bei Hölderlin <lb n="pst_229.017"/> über das dunkle Reich Saturns erhebt. Aber er «schäme <lb n="pst_229.018"/> des Dankes sich nicht!» Wenn er sich eigenmächtig <lb n="pst_229.019"/> wähnt, wenn dann der strömende Quell versiegt, so <lb n="pst_229.020"/> bleibt ihm nichts als das tote Gesetz, ein Entwurf, der <lb n="pst_229.021"/> nichts Entworfenes birgt. Alsbald ist er auch dem Betrug <lb n="pst_229.022"/> und dem Irrtum ausgesetzt. Schelling sagt: «Es <lb n="pst_229.023"/> gibt zwar einen geistreichen, aber keinen seelenvollen <lb n="pst_229.024"/> Irrtum»<note xml:id="PST_229_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_229.030"/> Schelling, Werke, hg. von Manfred Schröter, IV. Hauptband, München <lb n="pst_229.031"/> 1927, S. 361.</note>. Auch da sind die Begriffe Geist und Seele <lb n="pst_229.025"/> in unserem Sinne gebraucht. Die Seele kann nicht irren, <lb n="pst_229.026"/> weil sie ja selber keine Stellung bezieht, sondern eins ist <lb n="pst_229.027"/> mit dem Strom des Geschehens. Der Geist kann irren, <lb n="pst_229.028"/> weil er das Wahre vom Fühlen und vom Schauen löst <lb n="pst_229.029"/> und in Zeichen, in Wörtern und in der Schrift bewahrt. </p> </div> </body> </text> </TEI> [229/0233]
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aufzuheben, erklärte sich uns aus der auseinandersetzenden pst_229.002
Kraft der ausgebildeten Sprache (Seite 82), pst_229.003
die niemals bloß musikalisch, sondern immer zugleich pst_229.004
intentional ist, das heißt, ein Gegenüber erzeugt. pst_229.005
Braucht aber Schiller nicht die Begriffe Geist und Seele pst_229.006
synonym? Das wäre ihm in einem so prägnanten Gedicht pst_229.007
kaum zuzutrauen. Nicht der Geist an sich, nur pst_229.008
der lebendige Geist kann dem Geist nicht erscheinen. pst_229.009
Das Leben aber spendet die Seele. Sie ist die Fülle des pst_229.010
Lebens selbst, seine unmittelbare Erschlossenheit, ein pst_229.011
Gnadenschatz, der nicht erworben, der als Geschenk aus pst_229.012
wesentlich unbekannter, mit keinem Wort der Sprache pst_229.013
zu nennender Hand empfangen wird. Aus dieser Fülle pst_229.014
des Lebens muß sich nun zwar der denkende Geist erheben pst_229.015
und über alles, was ihm geschenkt ist, seine pst_229.016
scharfe Helle verbreiten, wie Jupiter sich bei Hölderlin pst_229.017
über das dunkle Reich Saturns erhebt. Aber er «schäme pst_229.018
des Dankes sich nicht!» Wenn er sich eigenmächtig pst_229.019
wähnt, wenn dann der strömende Quell versiegt, so pst_229.020
bleibt ihm nichts als das tote Gesetz, ein Entwurf, der pst_229.021
nichts Entworfenes birgt. Alsbald ist er auch dem Betrug pst_229.022
und dem Irrtum ausgesetzt. Schelling sagt: «Es pst_229.023
gibt zwar einen geistreichen, aber keinen seelenvollen pst_229.024
Irrtum» 1. Auch da sind die Begriffe Geist und Seele pst_229.025
in unserem Sinne gebraucht. Die Seele kann nicht irren, pst_229.026
weil sie ja selber keine Stellung bezieht, sondern eins ist pst_229.027
mit dem Strom des Geschehens. Der Geist kann irren, pst_229.028
weil er das Wahre vom Fühlen und vom Schauen löst pst_229.029
und in Zeichen, in Wörtern und in der Schrift bewahrt.
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Schelling, Werke, hg. von Manfred Schröter, IV. Hauptband, München pst_229.031
1927, S. 361.
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