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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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ausschließt. In der Welt des asketischen pst_204.002
Christentums kommen die Sinne nicht zu ihrem Recht pst_204.003
und rächen sich durch Rebellion. Überall ist es so, daß

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"Dien' ich einem, mir pst_204.005
Das andere fehlet ..."1
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Und je treuer der Dienst ist, je folgerichtiger sich der pst_204.007
Mensch ihm hingibt, desto weniger kann er dem Fluch pst_204.008
entrinnen, daß ihm "das andere fehlt". Der Schwankende pst_204.009
aber verfährt nicht besser, sondern verfehlt sich pst_204.010
an allen und verwischt nur seine Endlichkeit. Endlichkeit pst_204.011
ist die Schuld, die mit dem Wesen des Menschen pst_204.012
schon besteht und jede wirkliche Schuld begründet2.

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Die Frage nach der tragischen Schuld, so wie sie oft pst_204.014
in der Ästhetik gestellt wird, erweckt den Verdacht, daß pst_204.015
sie eher bestimmt sei, über das Tragische zu beruhigen, pst_204.016
als seine im Menschen selber angelegte Möglichkeit aufzudecken. pst_204.017
Sie gibt den Anschein, "unschuldige Schuld" pst_204.018
sei nur das Schicksal Einzelner, die ein besonders dämonisches pst_204.019
Unglück heimsucht. Die Schuld liegt aber schon pst_204.020
vor der Tat und wird durch verantwortungsbewußtes, pst_204.021
entschlossenes Handeln bloß evident. Auch der Schwärmer pst_204.022
eilt vor, ja er gerade am unbedenklichsten. Dennoch pst_204.023
stellt seine Schuld sich nicht in deutlichen Katastrophen pst_204.024
dar. Wer wäre voreiliger als der romantische pst_204.025
Mensch, dessen Dasein der Prinz von Homburg im ersten pst_204.026
Aufzug repräsentiert? Die Schlegel, Tieck und Novalis pst_204.027
jedoch sind dem Tragischen niemals ausgesetzt. pst_204.028
Damit es sich zeige, muß die Idee in der Gegenwart

1 pst_204.029
Hölderlin: "Der Einzige".
2 pst_204.030
Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Halle 1927, S. 280 ff.

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ausschließt. In der Welt des asketischen pst_204.002
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und rächen sich durch Rebellion. Überall ist es so, daß

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  «Dien' ich einem, mir pst_204.005
Das andere fehlet ...»1
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Mensch ihm hingibt, desto weniger kann er dem Fluch pst_204.008
entrinnen, daß ihm «das andere fehlt». Der Schwankende pst_204.009
aber verfährt nicht besser, sondern verfehlt sich pst_204.010
an allen und verwischt nur seine Endlichkeit. Endlichkeit pst_204.011
ist die Schuld, die mit dem Wesen des Menschen pst_204.012
schon besteht und jede wirkliche Schuld begründet2.

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  Die Frage nach der tragischen Schuld, so wie sie oft pst_204.014
in der Ästhetik gestellt wird, erweckt den Verdacht, daß pst_204.015
sie eher bestimmt sei, über das Tragische zu beruhigen, pst_204.016
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Sie gibt den Anschein, «unschuldige Schuld» pst_204.018
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vor der Tat und wird durch verantwortungsbewußtes, pst_204.021
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jedoch sind dem Tragischen niemals ausgesetzt. pst_204.028
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Hölderlin: «Der Einzige».
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/208>, abgerufen am 22.11.2024.