Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

Bild:
<< vorherige Seite

pst_161.001
manchmal Ungeheures, wie in dem Verzweiflungsmonolog pst_161.002
der Kaiserin Julia im "Papinian":

pst_161.003
"Götter! schaut ihr dieses an! pst_161.004
Schaut ihr und mögt ruhig sitzen? pst_161.005
Ist kein Strahl der treffen kan?" pst_161.006
Waffnet ihr euch nur umsonst mit den Donner-schwangern pst_161.007
Blitzen pst_161.008
Oder tragt ihr eure Pfeil' auf die Laster-losen Eichen? pst_161.009
Oder kan dis Mord-Geschrey nicht an eur Gehöre pst_161.010
reichen? pst_161.011
O Weh! pst_161.012
O Ach! pst_161.013
Heilge Themis! Rach! O Rach! pst_161.014
Heilge Themis, wo du nicht pst_161.015
Vor gekrönte taub und blind; pst_161.016
Wo noch iemand Urthel spricht; pst_161.017
Wo noch eine Straffen sind; pst_161.018
Blitze! verheere! zustöre! verbrenne! pst_161.019
Wüte! verderbe! verwüste! zutrenne! pst_161.020
Reiß alle Grundfest um, auf die der Mörder baut! pst_161.021
Zuschmetter was ihn schützt! zustoß auf was er traut!"
pst_161.022

(II, V. 311 ff.)

pst_161.023

Wie willentlich die Musik dieser Verse ist, dürfte niemand pst_161.024
verkennen. Kaum ein Leser ist wohl imstande, pst_161.025
sie gleich vom Blatt ohne Anstoß wiederzugeben. Er pst_161.026
muß beachten, ob ein Vers mit oder ohne Senkung beginnt, pst_161.027
und muß mit Bewußtsein von den Trochäen zu pst_161.028
den Daktylen, von den Daktylen zu den Jamben übergehen. pst_161.029
Das heißt: der Dichter tut ihm Gewalt an; und pst_161.030
er will ihm Gewalt antun.

pst_161.001
manchmal Ungeheures, wie in dem Verzweiflungsmonolog pst_161.002
der Kaiserin Julia im «Papinian»:

pst_161.003
  «Götter! schaut ihr dieses an! pst_161.004
  Schaut ihr und mögt ruhig sitzen? pst_161.005
  Ist kein Strahl der treffen kan?» pst_161.006
Waffnet ihr euch nur umsonst mit den Donner-schwangern pst_161.007
Blitzen pst_161.008
Oder tragt ihr eure Pfeil' auf die Laster-losen Eichen? pst_161.009
Oder kan dis Mord-Geschrey nicht an eur Gehöre pst_161.010
reichen? pst_161.011
    O Weh! pst_161.012
    O Ach! pst_161.013
  Heilge Themis! Rach! O Rach! pst_161.014
  Heilge Themis, wo du nicht pst_161.015
  Vor gekrönte taub und blind; pst_161.016
  Wo noch iemand Urthel spricht; pst_161.017
  Wo noch eine Straffen sind; pst_161.018
  Blitze! verheere! zustöre! verbrenne! pst_161.019
  Wüte! verderbe! verwüste! zutrenne! pst_161.020
Reiß alle Grundfest um, auf die der Mörder baut! pst_161.021
Zuschmetter was ihn schützt! zustoß auf was er traut!»
pst_161.022

                    (II, V. 311 ff.)

pst_161.023

  Wie willentlich die Musik dieser Verse ist, dürfte niemand pst_161.024
verkennen. Kaum ein Leser ist wohl imstande, pst_161.025
sie gleich vom Blatt ohne Anstoß wiederzugeben. Er pst_161.026
muß beachten, ob ein Vers mit oder ohne Senkung beginnt, pst_161.027
und muß mit Bewußtsein von den Trochäen zu pst_161.028
den Daktylen, von den Daktylen zu den Jamben übergehen. pst_161.029
Das heißt: der Dichter tut ihm Gewalt an; und pst_161.030
er will ihm Gewalt antun.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0165" n="161"/><lb n="pst_161.001"/>
manchmal Ungeheures, wie in dem Verzweiflungsmonolog <lb n="pst_161.002"/>
der Kaiserin Julia im «Papinian»:</p>
          <lb n="pst_161.003"/>
          <lg>
            <l>  «Götter! schaut ihr dieses an!</l>
            <lb n="pst_161.004"/>
            <l>  Schaut ihr und mögt ruhig sitzen?</l>
            <lb n="pst_161.005"/>
            <l>  Ist kein Strahl der treffen kan?»</l>
            <lb n="pst_161.006"/>
            <l>Waffnet ihr euch nur umsonst mit den Donner-schwangern</l>
            <lb n="pst_161.007"/>
            <l> <hi rendition="#et">Blitzen</hi> </l>
            <lb n="pst_161.008"/>
            <l>Oder tragt ihr eure Pfeil' auf die Laster-losen Eichen?</l>
            <lb n="pst_161.009"/>
            <l>Oder kan dis Mord-Geschrey nicht an eur Gehöre</l>
            <lb n="pst_161.010"/>
            <l> <hi rendition="#et">reichen?</hi> </l>
            <lb n="pst_161.011"/>
            <l>    O Weh!</l>
            <lb n="pst_161.012"/>
            <l>    O Ach!</l>
            <lb n="pst_161.013"/>
            <l>  Heilge Themis! Rach! O Rach!</l>
            <lb n="pst_161.014"/>
            <l>  Heilge Themis, wo du nicht</l>
            <lb n="pst_161.015"/>
            <l>  Vor gekrönte taub und blind;</l>
            <lb n="pst_161.016"/>
            <l>  Wo noch iemand Urthel spricht;</l>
            <lb n="pst_161.017"/>
            <l>  Wo noch eine Straffen sind;</l>
            <lb n="pst_161.018"/>
            <l>  Blitze! verheere! zustöre! verbrenne!</l>
            <lb n="pst_161.019"/>
            <l>  Wüte! verderbe! verwüste! zutrenne!</l>
            <lb n="pst_161.020"/>
            <l>Reiß alle Grundfest um, auf die der Mörder baut!</l>
            <lb n="pst_161.021"/>
            <l>Zuschmetter was ihn schützt! zustoß auf was er traut!»</l>
          </lg>
          <lb n="pst_161.022"/>
          <p> <hi rendition="#right">                    (II, V. 311 ff.)</hi> </p>
          <lb n="pst_161.023"/>
          <p>  Wie willentlich die Musik dieser Verse ist, dürfte niemand <lb n="pst_161.024"/>
verkennen. Kaum ein Leser ist wohl imstande, <lb n="pst_161.025"/>
sie gleich vom Blatt ohne Anstoß wiederzugeben. Er <lb n="pst_161.026"/>
muß beachten, ob ein Vers mit oder ohne Senkung beginnt, <lb n="pst_161.027"/>
und muß mit Bewußtsein von den Trochäen zu <lb n="pst_161.028"/>
den Daktylen, von den Daktylen zu den Jamben übergehen. <lb n="pst_161.029"/>
Das heißt: der Dichter tut ihm Gewalt an; und <lb n="pst_161.030"/>
er <hi rendition="#g">will</hi> ihm Gewalt antun.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0165] pst_161.001 manchmal Ungeheures, wie in dem Verzweiflungsmonolog pst_161.002 der Kaiserin Julia im «Papinian»: pst_161.003   «Götter! schaut ihr dieses an! pst_161.004   Schaut ihr und mögt ruhig sitzen? pst_161.005   Ist kein Strahl der treffen kan?» pst_161.006 Waffnet ihr euch nur umsonst mit den Donner-schwangern pst_161.007 Blitzen pst_161.008 Oder tragt ihr eure Pfeil' auf die Laster-losen Eichen? pst_161.009 Oder kan dis Mord-Geschrey nicht an eur Gehöre pst_161.010 reichen? pst_161.011     O Weh! pst_161.012     O Ach! pst_161.013   Heilge Themis! Rach! O Rach! pst_161.014   Heilge Themis, wo du nicht pst_161.015   Vor gekrönte taub und blind; pst_161.016   Wo noch iemand Urthel spricht; pst_161.017   Wo noch eine Straffen sind; pst_161.018   Blitze! verheere! zustöre! verbrenne! pst_161.019   Wüte! verderbe! verwüste! zutrenne! pst_161.020 Reiß alle Grundfest um, auf die der Mörder baut! pst_161.021 Zuschmetter was ihn schützt! zustoß auf was er traut!» pst_161.022                     (II, V. 311 ff.) pst_161.023   Wie willentlich die Musik dieser Verse ist, dürfte niemand pst_161.024 verkennen. Kaum ein Leser ist wohl imstande, pst_161.025 sie gleich vom Blatt ohne Anstoß wiederzugeben. Er pst_161.026 muß beachten, ob ein Vers mit oder ohne Senkung beginnt, pst_161.027 und muß mit Bewußtsein von den Trochäen zu pst_161.028 den Daktylen, von den Daktylen zu den Jamben übergehen. pst_161.029 Das heißt: der Dichter tut ihm Gewalt an; und pst_161.030 er will ihm Gewalt antun.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/165
Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/165>, abgerufen am 30.04.2024.