Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_162.001 Damit ist bereits gesagt, daß die pathetische Rede, pst_162.002 "Wir stehn vor unser Land, vor unsre Kinder." pst_162.014Ein sunomoiopathein, wie es sich vollkommener nicht pst_162.015 Selbst wo ein Einzelner ohne bezeichneten Hörer sich pst_162.017 Dem Hörer, wer immer er auch sei, geschieht von pathetischer pst_162.027 pst_162.001 Damit ist bereits gesagt, daß die pathetische Rede, pst_162.002 «Wir stehn vor unser Land, vor unsre Kinder.» pst_162.014Ein συνομοιοπαθεῖν, wie es sich vollkommener nicht pst_162.015 Selbst wo ein Einzelner ohne bezeichneten Hörer sich pst_162.017 Dem Hörer, wer immer er auch sei, geschieht von pathetischer pst_162.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0166" n="162"/> <lb n="pst_162.001"/> <p> Damit ist bereits gesagt, daß die pathetische Rede, <lb n="pst_162.002"/> abermals im Gegensatz zur lyrischen Sprache, ein Gegenüber <lb n="pst_162.003"/> voraussetzt, ein Gegenüber aber, das sie nicht, <lb n="pst_162.004"/> wie die epische, anerkennt, sondern aufzuheben trachtet, <lb n="pst_162.005"/> sei es so, daß der Redner den Hörer gewinnt, oder <lb n="pst_162.006"/> so, daß der Hörer von der Gewalt der Rede vernichtet <lb n="pst_162.007"/> wird. Als Beispiel sei der «Tell», die Rede Stauffachers <lb n="pst_162.008"/> auf dem Rütli, erwähnt, wo die Worte «eine große Bewegung <lb n="pst_162.009"/> unter den Landleuten» auslösen und schließlich <lb n="pst_162.010"/> alle, emporgerissen zur Begeisterung des Sprechers, <lb n="pst_162.011"/> an ihre Schwerter schlagen und seine letzten <lb n="pst_162.012"/> Worte wiederholen:</p> <lb n="pst_162.013"/> <lg> <l>«Wir stehn vor unser Land, vor unsre Kinder.»</l> </lg> <lb n="pst_162.014"/> <p>Ein <foreign xml:lang="grc">συνομοιοπαθεῖν</foreign>, wie es sich vollkommener nicht <lb n="pst_162.015"/> ereignen könnte!</p> <lb n="pst_162.016"/> <p> Selbst wo ein Einzelner ohne bezeichneten Hörer sich <lb n="pst_162.017"/> pathetisch äußert, der tragische Held im Monolog zum <lb n="pst_162.018"/> Beispiel, aber auch der Dichter in eigener Person wie <lb n="pst_162.019"/> Gryphius, Schiller in ihren gedankenlyrischen Versen, <lb n="pst_162.020"/> bleibt das Gegenüber immer noch selbstverständlich <lb n="pst_162.021"/> vorausgesetzt, nicht nur in <hi rendition="#g">dem</hi> Sinn, daß auch solche <lb n="pst_162.022"/> Verse nach Rezitation vor einem Publikum verlangen, <lb n="pst_162.023"/> sondern in dem entscheidenderen, daß hier der Redner <lb n="pst_162.024"/> sich selbst zuspricht und mit höheren Kräften das Niedrige <lb n="pst_162.025"/> seines Daseins verdammt oder überredet.</p> <lb n="pst_162.026"/> <p> Dem Hörer, wer immer er auch sei, geschieht von pathetischer <lb n="pst_162.027"/> Rede Gewalt. Wenn das Pathos aber echt ist, <lb n="pst_162.028"/> erleidet auch der Redner Gewalt. Darunter verstehe <lb n="pst_162.029"/> ich nicht eine unheilvolle Situation, in der sich der <lb n="pst_162.030"/> Redner vielleicht gerade befindet, nicht die Not der </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0166]
pst_162.001
Damit ist bereits gesagt, daß die pathetische Rede, pst_162.002
abermals im Gegensatz zur lyrischen Sprache, ein Gegenüber pst_162.003
voraussetzt, ein Gegenüber aber, das sie nicht, pst_162.004
wie die epische, anerkennt, sondern aufzuheben trachtet, pst_162.005
sei es so, daß der Redner den Hörer gewinnt, oder pst_162.006
so, daß der Hörer von der Gewalt der Rede vernichtet pst_162.007
wird. Als Beispiel sei der «Tell», die Rede Stauffachers pst_162.008
auf dem Rütli, erwähnt, wo die Worte «eine große Bewegung pst_162.009
unter den Landleuten» auslösen und schließlich pst_162.010
alle, emporgerissen zur Begeisterung des Sprechers, pst_162.011
an ihre Schwerter schlagen und seine letzten pst_162.012
Worte wiederholen:
pst_162.013
«Wir stehn vor unser Land, vor unsre Kinder.»
pst_162.014
Ein συνομοιοπαθεῖν, wie es sich vollkommener nicht pst_162.015
ereignen könnte!
pst_162.016
Selbst wo ein Einzelner ohne bezeichneten Hörer sich pst_162.017
pathetisch äußert, der tragische Held im Monolog zum pst_162.018
Beispiel, aber auch der Dichter in eigener Person wie pst_162.019
Gryphius, Schiller in ihren gedankenlyrischen Versen, pst_162.020
bleibt das Gegenüber immer noch selbstverständlich pst_162.021
vorausgesetzt, nicht nur in dem Sinn, daß auch solche pst_162.022
Verse nach Rezitation vor einem Publikum verlangen, pst_162.023
sondern in dem entscheidenderen, daß hier der Redner pst_162.024
sich selbst zuspricht und mit höheren Kräften das Niedrige pst_162.025
seines Daseins verdammt oder überredet.
pst_162.026
Dem Hörer, wer immer er auch sei, geschieht von pathetischer pst_162.027
Rede Gewalt. Wenn das Pathos aber echt ist, pst_162.028
erleidet auch der Redner Gewalt. Darunter verstehe pst_162.029
ich nicht eine unheilvolle Situation, in der sich der pst_162.030
Redner vielleicht gerade befindet, nicht die Not der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |