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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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Strophen kaum zu unterscheiden sind, so in den Kommoi pst_157.002
des Sophokles oder in einigen Monologen Corneilles. pst_157.003
Und wie der lyrische Dichter den Satz in Satzfragmente, pst_157.004
ja sogar in einzelne Wörter auflösen kann, zerstört auch pst_157.005
der Pathetiker oft grammatische Zusammenhänge und pst_157.006
springt in seiner Rede gleichsam von einem Gipfel zum pst_157.007
andern hinüber.

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O pasan keina pleon amera pst_157.009
elthous' ekhthista de moi; pst_157.010
o nux, o deipnon arreton pst_157.011
ekpagl' akhthe;
pst_157.012
O, der mir anbrach, jener Tag, pst_157.013
Mehr denn alle feindlichster mir! pst_157.014
Nacht! Unsäglichen Gelags pst_157.015
Schreckliche Leiden!"

(Sophokles Elektra 201-4)

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"Pere, maitresse, honneur, amour, pst_157.017
Noble et dure contrainte, aimable tyrannie ..."
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(Corneille, Cid I, 3)

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"Das Mädchen ist mein! Ich einst ihr Gott, jetzt ihr pst_157.020
Teufel! Eine Ewigkeit mit ihr auf ein Rad der Verdammnis pst_157.021
geflochten - Augen in Augen wurzelnd - Haare zu pst_157.022
Berge stehend gegen Haare - auch unser hohles Wimmern pst_157.023
in eins geschmolzen - und jetzt zu wiederholen pst_157.024
meine Zärtlichkeiten, und jetzt ihr vorzusingen ihre pst_157.025
Schwüre - Gott! Gott!"   (Schiller, Kabale und Liebe IV, 4)

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Man hat das Pathos darum nicht selten der lyrischen pst_157.027
Gattung zugeordnet, von anderem Standpunkt aus mit pst_157.028
Recht, da Pathos und Lyrik, wie in der Ode, leicht ineinander pst_157.029
übergehen und eine neue, in eigentümlicher

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Strophen kaum zu unterscheiden sind, so in den Kommoi pst_157.002
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springt in seiner Rede gleichsam von einem Gipfel zum pst_157.007
andern hinüber.

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Ὦ πασᾶν κείνα πλέον ἁμέρα pst_157.009
ἐλθοῦσ' ἐχθίστα δή μοι· pst_157.010
ὦ νύξ, ὦ δείπνων ἀρρήτων pst_157.011
ἔκπαγλ' ἄχθη·
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O, der mir anbrach, jener Tag, pst_157.013
Mehr denn alle feindlichster mir! pst_157.014
Nacht! Unsäglichen Gelags pst_157.015
Schreckliche Leiden!»

(Sophokles Elektra 201-4)

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«Père, maitresse, honneur, amour, pst_157.017
Noble et dure contrainte, aimable tyrannie ...»
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(Corneille, Cid I, 3)

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  «Das Mädchen ist mein! Ich einst ihr Gott, jetzt ihr pst_157.020
Teufel! Eine Ewigkeit mit ihr auf ein Rad der Verdammnis pst_157.021
geflochten – Augen in Augen wurzelnd – Haare zu pst_157.022
Berge stehend gegen Haare – auch unser hohles Wimmern pst_157.023
in eins geschmolzen – und jetzt zu wiederholen pst_157.024
meine Zärtlichkeiten, und jetzt ihr vorzusingen ihre pst_157.025
Schwüre – Gott! Gott!»   (Schiller, Kabale und Liebe IV, 4)

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  Man hat das Pathos darum nicht selten der lyrischen pst_157.027
Gattung zugeordnet, von anderem Standpunkt aus mit pst_157.028
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/161>, abgerufen am 30.04.2024.