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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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Einer von ihnen ist Menesthios, der Sohn des himmelentsprossenen pst_115.002
Stromes Spercheios und der Polydora; als pst_115.003
Vater aber wurde öffentlich Boros, der Sohn Perieres' genannt. pst_115.004
Ein zweiter Führer ist Eudoros. Auch von ihm pst_115.005
wird erzählt, wer ihn gezeugt und geboren und wo und pst_115.006
wie er die Jugend verbracht. Dann hält Achill eine pst_115.007
Rede. Nach der Rede spendet er den Göttern, und wieder pst_115.008
wird ausführlich geschildert, wie er den Becher aus pst_115.009
dem Schrein nimmt, wie Schrein und Becher ausgesehen, pst_115.010
wie er den Becher wieder versorgt und endlich pst_115.011
aus dem Zelt hervortritt, um dem Aufbruch zuzuschauen. pst_115.012
Jetzt erst, nach 120 Versen, gelangt die Handlung pst_115.013
an ihr Ziel:

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"Jene nunmehr um Patroklos, den Mutigen, wohlgerüstet pst_115.015
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Zogen einher, in die Troer mit trotziger Kraft sich zu pst_115.017
stürzen."
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Es kommt also nicht auf den Endzweck an. Sondern, pst_115.019
wenn der Dramatiker sich der Menschen und Dinge nur pst_115.020
bedient, um große Entscheidungen darzutun, so sind pst_115.021
dem Epiker große Entscheidungen nur ein Anlaß, möglichst pst_115.022
viel von dem, was gewesen ist, zu erzählen. Er pst_115.023
schreitet nicht fort, um ans Ziel zu gelangen, sondern pst_115.024
er setzt sich ein Ziel, um zu schreiten und alles aufmerksam pst_115.025
zu betrachten. Von da aus hat Schiller die pst_115.026
epische von der dramatischen Exposition, die buchstäblich pst_115.027
nur en passant erfolgt, unterschieden. Er schreibt pst_115.028
darüber am 25. April 1797 an Goethe:

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"Da er (der Epiker) uns nicht so auf das Ende zutreibt pst_115.030
wie dieser (der Dramatiker), so rücken Anfang

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Einer von ihnen ist Menesthios, der Sohn des himmelentsprossenen pst_115.002
Stromes Spercheios und der Polydora; als pst_115.003
Vater aber wurde öffentlich Boros, der Sohn Perieres' genannt. pst_115.004
Ein zweiter Führer ist Eudoros. Auch von ihm pst_115.005
wird erzählt, wer ihn gezeugt und geboren und wo und pst_115.006
wie er die Jugend verbracht. Dann hält Achill eine pst_115.007
Rede. Nach der Rede spendet er den Göttern, und wieder pst_115.008
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dem Schrein nimmt, wie Schrein und Becher ausgesehen, pst_115.010
wie er den Becher wieder versorgt und endlich pst_115.011
aus dem Zelt hervortritt, um dem Aufbruch zuzuschauen. pst_115.012
Jetzt erst, nach 120 Versen, gelangt die Handlung pst_115.013
an ihr Ziel:

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«Jene nunmehr um Patroklos, den Mutigen, wohlgerüstet pst_115.015
pst_115.016
Zogen einher, in die Troer mit trotziger Kraft sich zu pst_115.017
stürzen.»
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  Es kommt also nicht auf den Endzweck an. Sondern, pst_115.019
wenn der Dramatiker sich der Menschen und Dinge nur pst_115.020
bedient, um große Entscheidungen darzutun, so sind pst_115.021
dem Epiker große Entscheidungen nur ein Anlaß, möglichst pst_115.022
viel von dem, was gewesen ist, zu erzählen. Er pst_115.023
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er setzt sich ein Ziel, um zu schreiten und alles aufmerksam pst_115.025
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darüber am 25. April 1797 an Goethe:

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[115/0119] pst_115.001 Einer von ihnen ist Menesthios, der Sohn des himmelentsprossenen pst_115.002 Stromes Spercheios und der Polydora; als pst_115.003 Vater aber wurde öffentlich Boros, der Sohn Perieres' genannt. pst_115.004 Ein zweiter Führer ist Eudoros. Auch von ihm pst_115.005 wird erzählt, wer ihn gezeugt und geboren und wo und pst_115.006 wie er die Jugend verbracht. Dann hält Achill eine pst_115.007 Rede. Nach der Rede spendet er den Göttern, und wieder pst_115.008 wird ausführlich geschildert, wie er den Becher aus pst_115.009 dem Schrein nimmt, wie Schrein und Becher ausgesehen, pst_115.010 wie er den Becher wieder versorgt und endlich pst_115.011 aus dem Zelt hervortritt, um dem Aufbruch zuzuschauen. pst_115.012 Jetzt erst, nach 120 Versen, gelangt die Handlung pst_115.013 an ihr Ziel: pst_115.014 «Jene nunmehr um Patroklos, den Mutigen, wohlgerüstet pst_115.015 pst_115.016 Zogen einher, in die Troer mit trotziger Kraft sich zu pst_115.017 stürzen.» pst_115.018   Es kommt also nicht auf den Endzweck an. Sondern, pst_115.019 wenn der Dramatiker sich der Menschen und Dinge nur pst_115.020 bedient, um große Entscheidungen darzutun, so sind pst_115.021 dem Epiker große Entscheidungen nur ein Anlaß, möglichst pst_115.022 viel von dem, was gewesen ist, zu erzählen. Er pst_115.023 schreitet nicht fort, um ans Ziel zu gelangen, sondern pst_115.024 er setzt sich ein Ziel, um zu schreiten und alles aufmerksam pst_115.025 zu betrachten. Von da aus hat Schiller die pst_115.026 epische von der dramatischen Exposition, die buchstäblich pst_115.027 nur en passant erfolgt, unterschieden. Er schreibt pst_115.028 darüber am 25. April 1797 an Goethe: pst_115.029   «Da er (der Epiker) uns nicht so auf das Ende zutreibt pst_115.030 wie dieser (der Dramatiker), so rücken Anfang

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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/119>, abgerufen am 04.05.2024.