pst_112.001 anderer Stelle sagt, "zu einem Endzweck überein1." pst_112.002 Wo aber Spannung vorherrscht, ist keine ruhige Vorstellung pst_112.003 mehr möglich. Da wird das Gegenständliche pst_112.004 bloßes Mittel zum Zweck, während der Epiker doch pst_112.005 sich des Gegenstands um sein selber willen erfreut. pst_112.006 Vom Unterschied der Gattungen ist in Lessings "Laokoon" pst_112.007 nicht die Rede. Und jedes reale poetische Kunstwerk pst_112.008 hat, wie immer wieder bemerkt sei, in verschiedenen pst_112.009 Graden und Arten an allen drei Gattungsideen pst_112.010 teil. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß Lessing pst_112.011 an die Dichtung allzusehr den dramatischen Maßstab pst_112.012 anlegt, schon in der Abhandlung über die Fabel, wo pst_112.013 er sich alle Schilderungen, die mit der moralischen pst_112.014 Schlußpointe nichts zu schaffen haben, verbittet und pst_112.015 wenig Verständnis hat für die reizvollen epischen Züge pst_112.016 bei Lafontaine.
pst_112.017
Damit wird jedoch Lessings These höchstens zurechtgerückt, pst_112.018 nicht widerlegt. Der Widerstreit zwischen Vorstellung pst_112.019 und fortschreitender Rede bleibt bestehen. Es pst_112.020 fragt sich nur, ob der epische Dichter ihn nicht auf eine pst_112.021 Weise schlichte, welche der Anschauung besser gerecht pst_112.022 wird als die dramatische Zielstrebigkeit.
pst_112.023
Im sechsten Gesang will Diomedes wissen, ob Glaukos, pst_112.024 den er noch nie gesehen, ein Sterblicher oder ein Gott pst_112.025 sei, und richtet folgende Rede an ihn:
pst_112.026
"Wer doch bist du, Edler, der sterblichen Erdebewohner?pst_112.027 pst_112.028 Nie ersah ich ja dich in männerehrender Feldschlacht
1pst_112.029 a. a. O. S. 603.
pst_112.001 anderer Stelle sagt, «zu einem Endzweck überein1.» pst_112.002 Wo aber Spannung vorherrscht, ist keine ruhige Vorstellung pst_112.003 mehr möglich. Da wird das Gegenständliche pst_112.004 bloßes Mittel zum Zweck, während der Epiker doch pst_112.005 sich des Gegenstands um sein selber willen erfreut. pst_112.006 Vom Unterschied der Gattungen ist in Lessings «Laokoon» pst_112.007 nicht die Rede. Und jedes reale poetische Kunstwerk pst_112.008 hat, wie immer wieder bemerkt sei, in verschiedenen pst_112.009 Graden und Arten an allen drei Gattungsideen pst_112.010 teil. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß Lessing pst_112.011 an die Dichtung allzusehr den dramatischen Maßstab pst_112.012 anlegt, schon in der Abhandlung über die Fabel, wo pst_112.013 er sich alle Schilderungen, die mit der moralischen pst_112.014 Schlußpointe nichts zu schaffen haben, verbittet und pst_112.015 wenig Verständnis hat für die reizvollen epischen Züge pst_112.016 bei Lafontaine.
pst_112.017
Damit wird jedoch Lessings These höchstens zurechtgerückt, pst_112.018 nicht widerlegt. Der Widerstreit zwischen Vorstellung pst_112.019 und fortschreitender Rede bleibt bestehen. Es pst_112.020 fragt sich nur, ob der epische Dichter ihn nicht auf eine pst_112.021 Weise schlichte, welche der Anschauung besser gerecht pst_112.022 wird als die dramatische Zielstrebigkeit.
pst_112.023
Im sechsten Gesang will Diomedes wissen, ob Glaukos, pst_112.024 den er noch nie gesehen, ein Sterblicher oder ein Gott pst_112.025 sei, und richtet folgende Rede an ihn:
pst_112.026
«Wer doch bist du, Edler, der sterblichen Erdebewohner?pst_112.027 pst_112.028 Nie ersah ich ja dich in männerehrender Feldschlacht
1pst_112.029 a. a. O. S. 603.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0116"n="112"/><lbn="pst_112.001"/>
anderer Stelle sagt, «zu einem Endzweck überein<notexml:id="PST_112_1"place="foot"n="1"><lbn="pst_112.029"/>
a. a. O. S. 603.</note>.» <lbn="pst_112.002"/>
Wo aber Spannung vorherrscht, ist keine ruhige Vorstellung <lbn="pst_112.003"/>
mehr möglich. Da wird das Gegenständliche <lbn="pst_112.004"/>
bloßes Mittel zum Zweck, während der Epiker doch <lbn="pst_112.005"/>
sich des Gegenstands um sein selber willen erfreut. <lbn="pst_112.006"/>
Vom Unterschied der Gattungen ist in Lessings «Laokoon» <lbn="pst_112.007"/>
nicht die Rede. Und jedes reale poetische Kunstwerk <lbn="pst_112.008"/>
hat, wie immer wieder bemerkt sei, in verschiedenen <lbn="pst_112.009"/>
Graden und Arten an allen drei Gattungsideen <lbn="pst_112.010"/>
teil. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß Lessing <lbn="pst_112.011"/>
an die Dichtung allzusehr den dramatischen Maßstab <lbn="pst_112.012"/>
anlegt, schon in der Abhandlung über die Fabel, wo <lbn="pst_112.013"/>
er sich alle Schilderungen, die mit der moralischen <lbn="pst_112.014"/>
Schlußpointe nichts zu schaffen haben, verbittet und <lbn="pst_112.015"/>
wenig Verständnis hat für die reizvollen epischen Züge <lbn="pst_112.016"/>
bei Lafontaine.</p><lbn="pst_112.017"/><p> Damit wird jedoch Lessings These höchstens zurechtgerückt, <lbn="pst_112.018"/>
nicht widerlegt. Der Widerstreit zwischen Vorstellung <lbn="pst_112.019"/>
und fortschreitender Rede bleibt bestehen. Es <lbn="pst_112.020"/>
fragt sich nur, ob der epische Dichter ihn nicht auf eine <lbn="pst_112.021"/>
Weise schlichte, welche der Anschauung besser gerecht <lbn="pst_112.022"/>
wird als die dramatische Zielstrebigkeit.</p><lbn="pst_112.023"/><p> Im sechsten Gesang will Diomedes wissen, ob Glaukos, <lbn="pst_112.024"/>
den er noch nie gesehen, ein Sterblicher oder ein Gott <lbn="pst_112.025"/>
sei, und richtet folgende Rede an ihn:</p><lbn="pst_112.026"/><lg><l>«Wer doch bist du, Edler, der sterblichen Erdebewoh<hirendition="#et">ner?</hi></l><lbn="pst_112.027"/><lbn="pst_112.028"/><l>Nie ersah ich ja dich in männerehrender Feldschlacht</l></lg></div></div></body></text></TEI>
[112/0116]
pst_112.001
anderer Stelle sagt, «zu einem Endzweck überein 1.» pst_112.002
Wo aber Spannung vorherrscht, ist keine ruhige Vorstellung pst_112.003
mehr möglich. Da wird das Gegenständliche pst_112.004
bloßes Mittel zum Zweck, während der Epiker doch pst_112.005
sich des Gegenstands um sein selber willen erfreut. pst_112.006
Vom Unterschied der Gattungen ist in Lessings «Laokoon» pst_112.007
nicht die Rede. Und jedes reale poetische Kunstwerk pst_112.008
hat, wie immer wieder bemerkt sei, in verschiedenen pst_112.009
Graden und Arten an allen drei Gattungsideen pst_112.010
teil. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß Lessing pst_112.011
an die Dichtung allzusehr den dramatischen Maßstab pst_112.012
anlegt, schon in der Abhandlung über die Fabel, wo pst_112.013
er sich alle Schilderungen, die mit der moralischen pst_112.014
Schlußpointe nichts zu schaffen haben, verbittet und pst_112.015
wenig Verständnis hat für die reizvollen epischen Züge pst_112.016
bei Lafontaine.
pst_112.017
Damit wird jedoch Lessings These höchstens zurechtgerückt, pst_112.018
nicht widerlegt. Der Widerstreit zwischen Vorstellung pst_112.019
und fortschreitender Rede bleibt bestehen. Es pst_112.020
fragt sich nur, ob der epische Dichter ihn nicht auf eine pst_112.021
Weise schlichte, welche der Anschauung besser gerecht pst_112.022
wird als die dramatische Zielstrebigkeit.
pst_112.023
Im sechsten Gesang will Diomedes wissen, ob Glaukos, pst_112.024
den er noch nie gesehen, ein Sterblicher oder ein Gott pst_112.025
sei, und richtet folgende Rede an ihn:
pst_112.026
«Wer doch bist du, Edler, der sterblichen Erdebewohner? pst_112.027
pst_112.028
Nie ersah ich ja dich in männerehrender Feldschlacht
1 pst_112.029
a. a. O. S. 603.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/116>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.