Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

"Müssen wir? So, das müssen wir? Wer hat dir
das gesagt?" fragte der Großvater.

"Das hat mir kein Mensch gesagt, ich weiß es sonst",
entgegnete Heidi, "denn es hält Alles nicht mehr fest und es
ist der Großmutter angst und bang, wenn sie nicht schlafen
kann und es so thut, und sie denkt: Jetzt fällt Alles ein
und gerade auf unsre Köpfe, und der Großmutter kann
man gar nicht mehr hell machen, sie weiß gar nicht, wie
man es könnte, aber du kannst es schon, Großvater, denk'
nur, wie traurig es ist, wenn sie immer im Dunkeln ist
und es ihr dann noch angst und bang ist und es kann ihr
kein Mensch helfen, als du! Morgen wollen wir gehen
und ihr helfen, gelt, Großvater, wir wollen?"

Heidi hatte sich an den Großvater angeklammert und
schaute mit zweifellosem Vertrauen zu ihm auf. Der Alte
schaute eine kleine Weile auf das Kind nieder, dann sagte
er: "Ja, Heidi, wir wollen machen, daß es nicht mehr so
klappert bei der Großmutter, das können wir, morgen thun
wir's."

Nun hüpfte das Kind vor Freude im ganzen Hütten¬
raum herum und rief ein Mal um's andere: "Morgen
thun wir's! Morgen thun wir's!"

Der Großvater hielt Wort. Am folgenden Nachmittag
wurde dieselbe Schlittenfahrt ausgeführt. Wie am vorher¬
gehenden Tag stellte der Alte das Kind vor der Thüre der
Gaißenpeter-Hütte nieder und sagte: "Nun geh' hinein, und

5 *

„Müſſen wir? So, das müſſen wir? Wer hat dir
das geſagt?“ fragte der Großvater.

„Das hat mir kein Menſch geſagt, ich weiß es ſonſt“,
entgegnete Heidi, „denn es hält Alles nicht mehr feſt und es
iſt der Großmutter angſt und bang, wenn ſie nicht ſchlafen
kann und es ſo thut, und ſie denkt: Jetzt fällt Alles ein
und gerade auf unſre Köpfe, und der Großmutter kann
man gar nicht mehr hell machen, ſie weiß gar nicht, wie
man es könnte, aber du kannſt es ſchon, Großvater, denk'
nur, wie traurig es iſt, wenn ſie immer im Dunkeln iſt
und es ihr dann noch angſt und bang iſt und es kann ihr
kein Menſch helfen, als du! Morgen wollen wir gehen
und ihr helfen, gelt, Großvater, wir wollen?“

Heidi hatte ſich an den Großvater angeklammert und
ſchaute mit zweifelloſem Vertrauen zu ihm auf. Der Alte
ſchaute eine kleine Weile auf das Kind nieder, dann ſagte
er: „Ja, Heidi, wir wollen machen, daß es nicht mehr ſo
klappert bei der Großmutter, das können wir, morgen thun
wir's.“

Nun hüpfte das Kind vor Freude im ganzen Hütten¬
raum herum und rief ein Mal um's andere: „Morgen
thun wir's! Morgen thun wir's!“

Der Großvater hielt Wort. Am folgenden Nachmittag
wurde dieſelbe Schlittenfahrt ausgeführt. Wie am vorher¬
gehenden Tag ſtellte der Alte das Kind vor der Thüre der
Gaißenpeter-Hütte nieder und ſagte: „Nun geh' hinein, und

5 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0077" n="67"/>
        <p>&#x201E;&#x017F;&#x017F;en wir? So, das mü&#x017F;&#x017F;en wir? Wer hat dir<lb/>
das ge&#x017F;agt?&#x201C; fragte der Großvater.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das hat mir kein Men&#x017F;ch ge&#x017F;agt, ich weiß es &#x017F;on&#x017F;t&#x201C;,<lb/>
entgegnete Heidi, &#x201E;denn es hält Alles nicht mehr fe&#x017F;t und es<lb/>
i&#x017F;t der Großmutter ang&#x017F;t und bang, wenn &#x017F;ie nicht &#x017F;chlafen<lb/>
kann und es &#x017F;o thut, und &#x017F;ie denkt: Jetzt fällt Alles ein<lb/>
und gerade auf un&#x017F;re Köpfe, und der Großmutter kann<lb/>
man gar nicht mehr hell machen, &#x017F;ie weiß gar nicht, wie<lb/>
man es könnte, aber du kann&#x017F;t es &#x017F;chon, Großvater, denk'<lb/>
nur, wie traurig es i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie immer im Dunkeln i&#x017F;t<lb/>
und es ihr dann noch ang&#x017F;t und bang i&#x017F;t und es kann ihr<lb/>
kein Men&#x017F;ch helfen, als du! Morgen wollen wir gehen<lb/>
und ihr helfen, gelt, Großvater, wir wollen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Heidi hatte &#x017F;ich an den Großvater angeklammert und<lb/>
&#x017F;chaute mit zweifello&#x017F;em Vertrauen zu ihm auf. Der Alte<lb/>
&#x017F;chaute eine kleine Weile auf das Kind nieder, dann &#x017F;agte<lb/>
er: &#x201E;Ja, Heidi, wir wollen machen, daß es nicht mehr &#x017F;o<lb/>
klappert bei der Großmutter, das können wir, morgen thun<lb/>
wir's.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nun hüpfte das Kind vor Freude im ganzen Hütten¬<lb/>
raum herum und rief ein Mal um's andere: &#x201E;Morgen<lb/>
thun wir's! Morgen thun wir's!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Großvater hielt Wort. Am folgenden Nachmittag<lb/>
wurde die&#x017F;elbe Schlittenfahrt ausgeführt. Wie am vorher¬<lb/>
gehenden Tag &#x017F;tellte der Alte das Kind vor der Thüre der<lb/>
Gaißenpeter-Hütte nieder und &#x017F;agte: &#x201E;Nun geh' hinein, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0077] „Müſſen wir? So, das müſſen wir? Wer hat dir das geſagt?“ fragte der Großvater. „Das hat mir kein Menſch geſagt, ich weiß es ſonſt“, entgegnete Heidi, „denn es hält Alles nicht mehr feſt und es iſt der Großmutter angſt und bang, wenn ſie nicht ſchlafen kann und es ſo thut, und ſie denkt: Jetzt fällt Alles ein und gerade auf unſre Köpfe, und der Großmutter kann man gar nicht mehr hell machen, ſie weiß gar nicht, wie man es könnte, aber du kannſt es ſchon, Großvater, denk' nur, wie traurig es iſt, wenn ſie immer im Dunkeln iſt und es ihr dann noch angſt und bang iſt und es kann ihr kein Menſch helfen, als du! Morgen wollen wir gehen und ihr helfen, gelt, Großvater, wir wollen?“ Heidi hatte ſich an den Großvater angeklammert und ſchaute mit zweifelloſem Vertrauen zu ihm auf. Der Alte ſchaute eine kleine Weile auf das Kind nieder, dann ſagte er: „Ja, Heidi, wir wollen machen, daß es nicht mehr ſo klappert bei der Großmutter, das können wir, morgen thun wir's.“ Nun hüpfte das Kind vor Freude im ganzen Hütten¬ raum herum und rief ein Mal um's andere: „Morgen thun wir's! Morgen thun wir's!“ Der Großvater hielt Wort. Am folgenden Nachmittag wurde dieſelbe Schlittenfahrt ausgeführt. Wie am vorher¬ gehenden Tag ſtellte der Alte das Kind vor der Thüre der Gaißenpeter-Hütte nieder und ſagte: „Nun geh' hinein, und 5 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/77
Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/77>, abgerufen am 10.05.2024.